Am siebten Tage sollst du shoppen
Von wegen Ladenschlussgesetz! In den USA wird auch am Sonntag gehämmert, geliefert und eingekauft. Ein wahres Paradies für die Verbraucher.
Von Beate Wild, San Francisco
Stellen Sie sich vor, es ist Sonntagvormittag. Sie sitzen beim Frühstück, als in der Wohnung über Ihnen ein infernalischer Lärm losbricht. Es wird gebohrt, gehämmert, gepoltert, als sollte ein Dezibelrekord gebrochen werden. Das Ganze ist nicht nach kurzer Zeit vorbei, nein, es dauert drei lange Stunden. Offensichtlich ist ein Abbruchkommando bei Ihren Nachbarn angerückt.
Der Krawall würde Sie vermutlich ziemlich stören, oder? Wahrscheinlich würden Sie hochgehen und an der Tür klingeln, um sich zu beschweren. Vielleicht würden Sie sogar mit der Polizei drohen? So würde es wohl in Deutschland ablaufen.
Wir hatten deshalb mit dem Schlimmsten gerechnet, als die Möbel für unsere neue Wohnung an einem Sonntag um zehn Uhr angeliefert wurden und die eifrigen Handwerker den Lärmpegel immer weiter in die Höhe trieben. Wir stellten uns auf alles ein: wütende Nachbarn, aufgebrachte Passanten und wer weiß, vielleicht würden wir sogar Bekanntschaft mit ein paar Cops des San Francisco Police Departments machen.
Passiert ist: nichts. Ein Wunder? Waren die anderen Bewohner nicht zu Hause? Hatte der Nachbar sein Hörgerät nicht eingeschaltet? Mitnichten. In den USA sind Arbeiten am Sonntag Normalität. Nicht nur, dass es für das schwedische Möbelhaus, bei dem wir unseren Hausstand gekauft haben, in den USA üblich ist, an einem Sonntag zu liefern. Auch die Möbelmonteure stören sich offenbar nicht an der Sonntagsarbeit. Und was die Lärmbelästigung angeht, ist man hier angenehm tolerant und lange nicht so schallempfindlich wie in Deutschland. Zumindest hat mich der Typ aus dem zweiten Stock am nächsten Tag noch freundlich gegrüßt.
Der Sonntag ist nicht heilig
Den heiligen Sonntag, wie man ihn in Deutschland kennt, gibt es in den USA nicht. Alle Läden haben geöffnet: Wann, wenn nicht am Sonntag, haben Otto-Normal-Büromenschen Zeit, um zu shoppen und den Konsum anzukurbeln?
Für einen Deutschen fühlt sich das zunächst einmal komisch an, doch bald ist es selbstverständlich. Man muss nie wieder am Samstagnachmittag an sämtliche Einkäufe denken und sich genügend Vorräte für den Sonn- oder Feiertag nach Hause schaffen. Paradiesische Öffnungszeiten, zumindest für die Verbraucher.
Aber nicht nur die Shops und Läden haben offen – manche Supermärkte gar 24 Stunden – es wird auch alles angeliefert, wenn man es nur möchte. Lieferdienste wie Google Shopping, Amazon Fresh, Ebay oder sogar der örtliche Bioladen bringen am Sonntag nicht nur Lebensmittel und Klopapier, sondern auch Elektrogeräte oder Kosmetikprodukte direkt an die Haustür. Und bei Wunsch sogar ins oberste Stockwerk.
Arbeitnehmerrechte? Freie Marktwirtschaft!
Der Luxus hat auch seine Schattenseiten, zumindest für den armen Verkäufer, der um drei Uhr nachts im Supermarkt kassieren muss, oder für den Handwerker, der am Sonntagvormittag Möbel zusammenschraubt. In Deutschland würde man auf Arbeitnehmerrechte pochen, hier sind die meisten froh, dass sie einen Job haben – und sie kennen es nicht anders. Und das alles, obwohl die USA doch eigentlich ein sehr christliches Land sind: An jeder Ecke sind Kirchen zu finden, die im Gegensatz zu deutschen Gotteshäusern sonntags noch recht gut besucht sind.
Ein Widerspruch? Nein, freie Marktwirtschaft. Vielleicht, schießt es einem da durch den Kopf, würde Deutschland ein Umdenken im Service auch nicht schaden. Der Supermarkt muss ja nicht 24 Stunden am Stück geöffnet sein, abends etwas länger als 20 Uhr wie in Bayern wäre schon mal ein Anfang. Denn ehrlich gesagt, um drei Uhr morgens liege ich entweder im Bett oder stehe in einer Bar am Tresen. Im Supermarkt beim Einkaufen zu finden, bin ich um diese unchristliche Zeit sicher nicht.
Und wenn demnächst beim Nachbarn am Sonntagvormittag ein lautes Hämmern zu hören ist, werde ich erleichtert lächeln und einfach nur froh sein, dass ich meinen Umzug schon hinter mir habe.
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