“No, I Don’t Want to Be American!”

<--

Das Freihandelsabkommen mit den USA ist kein Gewinn, Europas Hürden müssen weiter bleiben. Denn unsere arbeitnehmerfreundliche Kultur steht auf dem Spiel. Wir brauchen Transparenz und Volksentscheide.

Will man über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA reden, findet man sich in der Situation wieder, über den Inhalt einer black box zu rätseln. Diese Situation scheint von den Verhandlungsführern gewünscht, vielleicht sogar bewusst herbeigeführt worden zu sein. Das auf Druck der Öffentlichkeit endlich am 9.10. 2014 publizierte Verhandlungsmandat der EU belegt das eindrucksvoll und ändert nichts an der fehlenden Information über den Stand der Verhandlungen.

“Welt”-Kommentatorin Dorothea Siems tritt ungeachtet dessen vehement für das Freihandelsabkommen ein. Den Kritikern und Gegnern wirft sie Heuchelei, gezielte Desinformation und Antiamerikanismus vor. Ihre Grundthese lautet, von den Globalisierungsgegnern wie Attac, den Verbraucher- und Unweltverbänden, den Gewerkschaften würden Ängste geschürt, die inzwischen sogar von Wählern der SPD und der Union geteilt würden.

Damit insinuiert sie, unmündigen Wählern würde von gefährlichen Demagogen etwas eingeredet. Die Frage, welchen Sitz im Leben diese Ängste haben, stellt sie hingegen nicht. Stattdessen behauptet sie, dass diejenigen, die “gezielte Desinformation” betreiben, von Ökonomie nichts verstünden und Ideologen seien.

Ziel des Freihandelsabkommens ist es, dass Handels- und Investitionshemmnisse abgebaut werden sollen und ein Wirtschaftsraum entsteht. Klingt toll. Aber haben diese “Hemmnisse” nicht auch einsehbare Gründe? Gibt es etwa gegen Fracking nicht berechtigte Einwände? Würde der Wegfall von “Hemmnissen” die Gesellschaft nicht substantiell verändern? Müssen wir “amerikanisch” werden?

Die Demokratie wäre am Ende

Befürworter blenden aus, dass die Leidenschaft, mit der über das Freihandelsabkommen gestritten wird, genau der Tatsache entspringt, dass wir nicht über ein x-beliebiges Wirtschaftsthema reden, sondern die sozialen, politischen, kulturellen und demokratischen Auswirkungen, die von diesem Abkommen ausgehen könnten, systemverändernd sein würden. Die Demokratie wäre am Ende, würde darüber nicht debattiert und jede kritische Nachfrage als Antiamerikanismus verunglimpft werden, zumal das Freihandelsabkommen mit Antiamerikanismus soviel gemeinsam hat wie der berühmte Kaffeesatz mit dem Satz des Pythagoras, nämlich nichts.

Bereits ohne Freihandelsabkommen ist es dem Unternehmen Amazon möglich, Arbeitsstandards in der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, die kritikwürdig sind. Es ist wahrscheinlich, dass das TTIP neue Standards setzen würde, die nicht arbeitnehmerfreundlich wären. Wer wissen will, was ein Freihandelsabkommen für die Arbeitnehmerrechte bedeutet, muss auf Amazon schauen.

Die amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff, der wohl man kaum Antiamerikanismus nachsagen kann, warnt vor dem Überwachungskapitalismus, der auch von Firmen wie Facebook und Google ins Werk gesetzt wird. Die Menschen werden letztlich nur noch zu “Datenabgasen”, die von Google und Facebook zur Profitmaximierung ausgenutzt werden. Arbeitnehmerrechte und Persönlichkeitsschutzrechte können auf zwei Wegen ausgehebelt werden, zum einen über “billigere Angebote”, die ja nur deshalb billiger sind, weil ein Teil der Kosten dem Staat, den Sozialkassen, also dem Steuerbürger aufgebürdet werden, und zum anderen über den sogenannten Investitionsschutz.

Dorothea Siems behauptet, dass Umweltschutzregeln oder der Verbraucherschutz nicht über den Investitionsschutz gelockert werden können. Das lenkt von einer anderen mindestens ebenso dramatischen Konsequenz ab. Erstens wird kein Firmenjurist gegen Umweltschutzregeln klagen, sondern er wird über einen ganz anderen Weg gehen und dadurch nicht de jure, aber de facto Umwelt- und Verbraucherschutzregeln außer Kraft setzen, beispielsweise über das Wettbewerbsrecht, das Diskriminierungsverbot, den Patentschutz oder den Gleichheitsgrundsatz.

Vattenfall will sich entschädigen lassen

Zum anderen wird er sich die angebliche Gewinnreduzierung durch Umweltregeln vergolden lassen. Vattenfall klagt gegen den deutschen Steuerzahler, weil der Konzern Anspruch auf eine Entschädigung für den behaupteten Gewinnausfall seiner deutschen Kernkraftwerke im Zuge der Energiewende durchsetzen will. Er kann das nach dem bisherigen Investitionsschutz schon, der aber durch das TTIP eine ganz neue Dimension bekommen könnte. Brisant dabei ist, dass Vattenfall als ausländischer Konzern klagen darf, ein deutscher Konzern hingegen nicht.

Was Befürworter des Freihandelsabkommens ebenfalls nicht berücksichtigen, ist die Tatsache, dass diese Klagen nicht vor ein deutsches oder EU-Gericht kommen, nicht vor die innerhalb der Gewaltenteilung vorgesehenen demokratischen Institutionen, sondern vor Schiedsgerichte, deren Existenz und Zusammensetzung demokratisch nicht hinreichend legitimiert ist. Zudem wird wie übrigens auch bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen hinter verschlossenen Türen getagt.

Die fehlende Transparenz lässt sich nur schwer mit den Grundprinzipien der Demokratie in Übereinstimmung bringen, scheint doch an dieser Stelle das Repräsentationsprinzip bei weitem überdehnt zu werden. Hinzu kommt, wie ein Mitglied eines Schiedsgerichtes, der deutsche Anwalt Klaus Sachs, in einem Interview erklärte, dass nur Konzerne Staaten, nicht aber Staaten Konzerne verklagen können und dass es für den Staat “keine Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichtes anzufechten”, gibt. Er kommt zu dem Schluss: “Wir brauchen mehr Waffengleichheit zwischen Staat und Konzernen.”

Das derzeit größte Problem der Debatte über das Freihandelsabkommen besteht darin, dass die Öffentlichkeit bisher nicht über die Inhalte und Regelungen des TTIP informiert wird. Es drängt sich die Vermutung auf, dass man keine öffentliche Diskussion über den Inhalt dieses gesellschaftsverändernden Vertrages wünscht. Die Veröffentlichung des Verhandlungsmandats der EU wäre nur dann ein Schritt in Richtung Transparenz, wenn eine aktuelle und lückenlose Information über den Verlauf der Verhandlung sich anschlösse.

Warum wollen wir nicht mehr Demokratie wagen? Warum nicht den Vertragsentwurf zum Gegenstand von Volksentscheiden in den EU-Staaten machen? Fragen wir die Bürger, ob sie diesen “Freihandelsraum” wollen! Dorothea Siems geht nicht fehl in der Annahme, dass das TTIP Wohlstand schaffen wird – es fragt sich allerdings: Wohlstand für wen und auf wessen Kosten? Das ist die entscheidende Frage. Sie ist nicht ideologisch, sondern ganz konkret. Wer diese Frage nicht stellt, ist der wahre Heuchler.

Der Autor ist Schriftsteller und Historiker. Zuletzt erschien von ihm die Biographie “Martin Luther. Prophet der Freiheit”.

About this publication