Ah, So This Is How One Thinks of Us Americans

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Lage der Vereinigten Staaten

Ach, so denkt man also über uns Amerikaner

Neulich listete hier ein Deutscher 45 Gründe auf, warum es mit Amerika den Bach runtergeht. Das kann so nicht stehenbleiben. Eine Gegenrede des ehemaligen amerikanischen Botschafters.

Alle sind sich einig: Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland ist heute ebenso wichtig wie zu Zeiten des kalten Krieges, wahrscheinlich sogar noch wichtiger. Für die europäischen Partner Deutschlands und vor allem die im Osten hat die transatlantische Verbindung die französisch-deutsche Entente als tragende Säule der europäischen Einheit abgelöst. Sie spüren, dass eine verantwortungsbewusste deutsche Führung in Europa in erheblichem Maße von einem harmonischen deutsch-amerikanischen Verhältnis abhängt. Letztlich braucht das übrige Europa eine ausgleichende amerikanische Präsenz, um sicherzustellen, dass die Europäische Union zu der Einheit findet, die nötig ist, um den zahlreichen Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Die vergangenen Jahre haben allerdings Zweifel geweckt, ob die enge Zusammenarbeit früherer Zeiten fortgesetzt werden kann. Es hat immer schon Meinungsverschiedenheiten gegeben. Wer sich noch an die siebziger und achtziger Jahre erinnert, dem fällt es schwer, nostalgische Gefühle für die Vergangenheit zu entwickeln. Doch zunehmend scheinen die dramatischen Probleme unserer Zeit zu einem fundamentaleren Streit zu führen. Vor allem in Deutschland hat sich die Debatte von der Politik der Regierung hin zu grundlegenden Urteilen über das Wesen unserer jeweiligen Gesellschaften und sogar unserer gemeinsamen Werte verlagert.

In den Vordergrund getreten

Trotz mancher Kritik zeigen Meinungsumfragen regelmäßig, dass die Amerikaner Deutschland mehr als irgendein anderes Land respektieren. Wahrscheinlich aufgrund der Ergebnisorientiertheit der Amerikaner zählen die deutschen Leistungen hier mehr als Debatten über Steuerpolitik oder über den Krieg gegen den Terrorismus. Doch in der Gegenrichtung sind deutsche Beschuldigungen und Gefühlsausbrüche derart in den Vordergrund getreten, dass sie inzwischen verheerende Auswirkungen auf unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit haben.

Als Präsident Obama im Juni 2013 Berlin besuchte, hob er Amerikas Interesse an der Rolle Deutschlands als einer der Führungsmächte des Westens hervor. Aber niemand hörte ihm zu. Warum das so war, bleibt ein Rätsel. Die deutsch-amerikanische Freundschaft hat zwei fürchterliche Kriege, einen Kalten Krieg und viele internationale Krisen überstanden. Ohne amerikanische Unterstützung wäre Berlin nicht frei geblieben, und die Wiedervereinigung wäre nicht möglich gewesen. Die enge Bindung an Amerika bietet einer erstklassigen Wirtschaftsmacht wie Deutschland zu erträglichen Kosten einen weltweiten Schutz, den es sonst nirgendwo finden könnte. Da Europa zunehmend zersplittert, kann nur eine gestärkte transatlantische Gemeinschaft Deutschland die nötigen Mittel an die Hand geben, um mit den aufstrebenden Industriemächten zu konkurrieren und mit den Gefahren regionaler Konflikte fertigzuwerden.

Das alles ist für uns klar ersichtlich, und so sind wir immer wieder erstaunt, wenn die politische und öffentliche Meinung Deutschlands 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer so verärgert über Amerika ist, dass die Grundlagen des Vertrauens schwinden. Wenn eine Ehe diesen Zustand erreicht, empfehlen Therapeuten meistens, nach tiefer liegenden Problemen zu suchen. Warum hat ein Partner plötzlich beschlossen, die Ehe nicht weiterzuführen? Diese Zeitung bot am 28.November wertvolle Einsichten zu dieser Frage. Stephan Richter, ein deutscher Blogger, der in Washington lebt, erhob den Anspruch, die Gründe für die Unfähigkeit Amerikas zur Führung bestimmen zu können.

Dynamisch und oft chaotisch

In einem Artikel mit dem Titel „Amerika, du hast es schlechter“ präsentierte er einen ganzen Katalog amerikanischer Schwächen und Fehler und sagte den Niedergang Amerikas als Weltmacht voraus. Die bloße Behauptung, diese Einschätzung sei weder zutreffend noch ausgewogen, wäre fast schon neben der Sache. Die umfangreiche Liste von 45 Gründen, weshalb Amerika nicht mehr funktioniert, ist schon deshalb wertvoll, weil sie einen ungeschminkten Blick auf die Schwierigkeiten Deutschlands gestattet, sich im 21.Jahrhundert einen Reim auf die dynamische und oft chaotische Kultur der Vereinigten Staaten zu machen. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass solch ein Artikel zu diesem schwierigen Zeitpunkt der Geschichte von der Frankfurter Allgemeinen veröffentlicht wurde. Diese Zeitung verkörpert den Kern des politischen und ökonomischen Establishments in Deutschland. Wenn man Argumente, die man möglicherweise ignorieren könnte, wenn sie anderswo erschienen wären, in der F.A.Z. liest, bekommen sie zusätzliches Gewicht.

Selbst bei oberflächlicher Lektüre dürften manche doch erstaunt sein über einige Aussagen dieses vermeintlichen Amerika-Experten. Obwohl Amerika die Welt weiterhin in fast allen Bereichen des modernen Lebens dominiert, erzählt uns der Blogger, als strukturkonservative Gesellschaft glaube Amerika zu sehr an Gott, bringe dem öffentlichen Dienst keine Achtung entgegen und habe die Fähigkeit zu kritischer Diskussion verloren. Die Innovationsfähigkeit des Landes sei längst von der übrigen Welt kopiert worden und seine technologische Führungsrolle im Schwinden begriffen. Wir lesen eine endlose Liste von Gründen, warum die Vereinigten Staaten heute nicht mehr funktionierten, warum Silicon Valley bald veraltet sein werde und warum Amerika inmitten seines dramatischen Niedergangs eher ideologisch als pragmatisch ausgerichtet sei. Beweise oder gar Statistiken zur Bekräftigung dieser Thesen bleibt der Artikel allerdings schuldig.

Die mangelnde Bereitschaft

Anders ausgedrückt: Unser Hauptproblem scheint letztlich darin zu bestehen, dass wir nicht deutsch sind. Manchmal, wenn ich sehe, wie gut Deutschland mit sozialen und ökonomischen Problemen umgeht, stimme ich dem zu. Aber ebenso oft schüttele ich den Kopf über die Schwächen des deutschen Systems: mangelnde Flexibilität, Unternehmerfeindlichkeit, zu wenig bahnbrechende Innovationen, die mangelnde Bereitschaft, sich an der gemeinsamen Verteidigung westlicher Interessen zu beteiligen, und vieles andere.

Deutschland und Amerika sind unvollkommene Gesellschaften. Doch seit nahezu 350 Jahren ist das amerikanische Experiment ebenso stark von deutschen Einwanderern geprägt worden wie von solchen aus anderen Ländern, einschließlich England. Ein Gutteil der amerikanischen Unvollkommenheiten lässt sich auf fundamentalistische deutsche Protestanten zurückführen, die den Kern der kolonialen Gesellschaft bildeten. Vor diesem Hintergrund sollte es nicht allzu schwierig sein, eine Synthese zwischen zwei eng miteinander verbundenen Kulturen zu finden, deren eine für einen kleinen, konfliktreichen Kontinent steht, während es der anderen auf großartige Weise gelungen ist, in den scheinbar endlosen Weiten Nordamerikas zu reüssieren. Doch laut F.A.Z. ist genau das schwierig.

Warum hat Deutschlands angesehenste Tageszeitung, die regelmäßig für mehr transatlantische Zusammenarbeit eintritt, sich zur Veröffentlichung dieses von Selbstmitleid gekennzeichneten Artikels entschieden? Warum bietet sie, als entschiedene Befürworterin der TTIP-Verhandlungen, wilden Anschuldigungen gegen Amerika Raum, die die bereits stark ausgeprägte Skepsis der Deutschen gegenüber einer weiteren transatlantischen Integration der Volkswirtschaften nur noch verstärken können?

Vielleicht findet sich die Antwort auf diese Fragen in der Geschichte. Beim Rückblick auf ähnliche Debatten über das Wesen Amerikas, die im achtzehnten Jahrhundert geführt wurden, gelangte der amerikanische Historiker Henry Steel Commanger (1902 bis 1998) zu dem Schluss: „Inzwischen ist klar, dass jene, die fragten, ob Amerika ein Fehler war, gar nicht über Amerika redeten, sondern über die Alte Welt, über Natur und Zivilisation, Merkantilisten und Physiokraten, über die Laster und Missgeschicke ihrer eigenen Gesellschaften.“

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