In Riot Mode

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Im Krawallmodus

Die Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt ebben ab, die Diskussionen darüber dauern an. Die Medien müssen sich fragen, ob sie die Gewalt befeuert haben. VON FRAUKE STEFFENS, NEW YORK

Der “Schwarze Freitag” nach Thanksgiving ist traditionell zum Einkaufen gedacht. Nie kann man so gute Schnäppchen bei Elektrogeräten oder Kleidung machen. Doch diesmal kursierten auf Twitter Boykott-Aufrufe. “Hands up, don’t spend” hieß es dort – in Abwandlung des “Hands up, don’t shoot”, das Demonstranten überall in den USA riefen, um gegen die Entscheidung im Fall Michael Brown zu demonstrieren.

So könnte man das System treffen, das einen allein gelassen hat, denken manche: den Konsum boykottieren, die Wirtschaft dort erwischen, wo es weh tut. Beim Elektroriesen Target in Ferguson postierten sich am Morgen des Schnäppchen-Freitags Demonstranten vor der Tür, um die Einkaufslaune zu stören. Aber kaum jemand glaubt, dass sich die Masse der Bevölkerung Tablets für die Hälfte des Normalpreises entgehen lässt, um ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt zu setzen.

Der Feiertag hat den Elan der Demonstranten überall im Land gebremst. Auch in Ferguson blieb es friedlich, nicht zuletzt weil Bürger und Polizei miteinander reden. Viele Amerikaner sind noch immer aufgewühlt nach der Entscheidung der Geschworenen, den weißen Polizisten Darren Wilson wegen der tödlichen Schüsse auf den Teenager Michael Brown nicht anzuklagen. In Zeitungen und Fernsehsendern werden die Aussagen von Wilson und den Dutzenden von Zeugen auseinandergenommen, die nun frei verfügbar sind.

Fernsehsender im Krawallmodus

Für Europäer sieht die Angelegenheit häufig einfach aus und der Fall Ferguson bestätigt scheinbar, was sie ohnehin zu wissen glauben: Amerikaner sind mehrheitlich blinde Rassisten, beeinflusst von dummen Fernsehmachern. Der britisch-französische Journalist Ben Judah zitierte ausgerechnet eine Führungskraft von Russia Today auf Twitter, die gesagt haben soll, wenn “die Amerikaner” nur das “richtige Fernsehen” schauten, könnten sie Ferguson in eine “Revolution” verwandeln. Aber die Amerikaner schauen eben CNN und Fox News.

Tatsächlich waren die US-Fernsehsender Anfang der Woche bereits im Krawallmodus, bevor eine einzige Flasche auf die Polizeistation von Ferguson geflogen war. Im Minutentakt setzten Reporter ihre Tweets aus Clayton, Missouri, ab, wo die Geschworenen darüber zu entscheiden hatten, ob sich der Polizist Darren Wilson für die tödlichen Schüsse auf den schwarzen Teenager Michael Brown vor Gericht würde verantworten müssen. Schon Tage vorher war auf CNN, auf Fox News und NBC die Rede von möglichen Krawallen.

Und als sie dann kamen, hatten manche Beobachter den Eindruck, dass die Reporter nur darauf gewartet hatten, sich selbst vor einer “bürgerkriegsähnlichen” Kulisse zu inszenieren. 81 Prozent der weißen und 50 Prozent der schwarzen Anwohner erklärten später in einer Umfrage, die Berichterstattung habe die Situation eher noch verschlimmert.

Konservative US-Medien verteidigen den Todesschützen

Auch die friedlichen Proteste in fast 200 Städten waren im Fernsehen zu sehen, in Oakland, in Philadelphia, in New York. Aber die Bilder aus Ferguson dominierten – brennende Autos sind spektakulärer als friedliche Demonstranten. Die Bildauswahl europäischer Zeitungen und Fernsehsender war da übrigens keine Ausnahme.

Das Sprachrohr der US-Rechten, Fox News, berichtete tagelang über die Zerstörungen in Ferguson. Die Reporter betonten immer wieder, hier zerstörten Schwarze ihr eigenes Gemeinwesen. Fox holte den ehemaligen Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, ins Studio, der die Aussage des Polizisten Darren Wilson als hundertprozentig glaubwürdig bezeichnete.

Für die Mehrheit der konservativen US-Medien ist klar: Darren Wilson hat nicht nur legal gehandelt – er war auch nicht von rassistischen Vorurteilen beeinflusst. Als Beleg dafür reichte Fox News Wilsons eigene Antwort, ob er bei einem Weißen anders gehandelt hätte – nein, natürlich nicht. Und während 67 Prozent der schwarzen Amerikaner glauben, Wilson sei eindeutig im Unrecht gewesen, sagen das in einer neuen Umfrage nur 22 Prozent der Weißen. ‘

Doch bedeutet das auch, dass sie die tiefer liegenden Konflikte und Probleme leugnen? “Die Medien” in den USA sind vielstimmig und so herrscht für die, die sie hören wollen, kein Mangel an nachdenklichen Stimmen.

Wird Ferguson Amerika verändern?

Die Diskussion über Rassismus, Polizeigewalt und darüber, wie beide zusammenhängen, wird in den USA nicht erst seit Ferguson geführt. Der Journalist Nicholas Kristof etwa veröffentlichte kürzlich eine Serie in der New York Times, die er “Wenn Weiße es einfach nicht kapieren” nannte. Die USA seien noch immer eine Post-Sklavenhalter-Gesellschaft und der Rassismus sei tief eingeschrieben in die sozialen, kulturellen und politischen Institutionen.

Kristof beschreibt die Spaltung zwischen Schwarzen und Weißen, die sich im täglichen Leben äußert. Darin, dass viele Weiße kaum schwarze Freunde haben und umgekehrt, darin, dass viele Schwarze immer wieder anlasslose Kontrollen von Polizisten über sich ergehen lassen müssen – und sogar darin, dass ein schwarzer Bekannter von Kristof seine Einkaufsbelege nie wegwerfen würde, um nicht des Diebstahls verdächtigt werden zu können.

Belege für den Rassismus in Justiz und Polizei

In seiner Serie führt der Journalist Belege an für den inhärenten Rassismus in Justiz und Polizei: Schwarze werden viel häufiger von der Polizei angehalten, sie bekommen für das gleiche Verbrechen längere Gefängnisstrafen als Weiße und wer einen Weißen umbringt hat ein viel höheres Risiko, dafür zum Tode verurteilt zu werden als wenn das Opfer schwarz ist. Viele Afroamerikaner fühlen sich vom Rechtssystem verraten und die Zahlen geben ihnen recht.

Eric Garner, den ein Polizist in New York so lange in den Schwitzkasten nahm, dass er an den Folgen starb, war schwarz. Akai Gurley, der mit seiner Freundin zufällig die Treppen eines New Yorker Sozialwohnungskomplexes hinaufging und von einem als Neuling bezeichneten Polizisten erschossen wurde, war schwarz. Und auch der 12-Jährige mit der Spielzeugpistole, der in Cleveland von einem Polizisten erschossen wurde, war schwarz.

Der Todesschütze in Ferguson, Darren Wilson, hat den 18-jährigen Michael Brown mit einem Dämon verglichen. Wer rassistische Stereotype im Verdacht hat, das Verhalten des Polizisten beeinflusst zu haben, reagiert nicht über.

Rufe aus Europa führen zu nichts

Doch die Wut darauf kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass soziale Konflikte nicht allein mit den Mitteln des Strafrechts gelöst werden können. Selbst wenn Darren Wilson angeklagt worden wäre – ein Freispruch in einem späteren Prozess gilt als sehr wahrscheinlich. Die Liste der Probleme, auf die die US-amerikanische Gesellschaft Antworten finden muss, ist lang: sie reicht von der personellen Besetzung der Polizei in Orten wie Ferguson bis hin zur noch immer nicht erreichten Chancengleichheit im Bildungssystem. Die Diskussion über praktische Verbesserungen – ein besseres Training für Polizisten, Kameras im Einsatz – hat vor Ferguson begonnen und geht weiter.

Im schlimmsten Falle verstärken die Ereignisse von Ferguson die Spaltung in Schwarz und Weiß noch. Im besten Fall intensivieren sie die Diskussion über Rassismus, Polizeigewalt und darüber, wie beides zusammenhängt. Und vielleicht passiert auch beides gleichzeitig, wie so vieles hier. Von Europa aus nach dem “richtigen Fernsehen” für Amerikaner zu rufen, wird wahrscheinlich noch viel weniger helfen als der versuchte Konsumboykott am “Schwarzen Freitag”.

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