Nach dem Feindbild
Von Bert Hoffmann
20. 12. 2014
Als die USA noch jung waren, schrieb George Washington der neuen Nation ins Stammbuch: „Eine Nation, die sich gegen eine andere in gewohnheitsmäßigem Hass ergeht, wird in gewissem Sinne zum Sklaven ihrer eigenen Feindseligkeit“, so der erste Präsident der USA in seiner Abschiedsrede.
Genau darum ging es Präsident Obama, als er diese Woche die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba verkündete: die USA aus einer solch selbstverschuldeten Unfreiheit zu befreien. Denn die Kuba-Politik des Landes ist längst von einem außenpolitischen Instrument zu einem innenpolitischen Glaubenssatz mutiert. Dass sie keinen Wandel auf Kuba bewirkt; dass sie die Geschäftsinteressen von US-Firmen schädigt; dass sie die Rechte der US-Bürger beschneidet, wenn sie ihnen Besuche der Insel verwehrt – all diese Argumente prallten an der ritualisierten Beschwörung der Feindschaft ab.
Vielleicht musste gerade deshalb der Schritt jetzt so groß und so symbolkräftig sein. Sicherlich, nicht abgeschafft ist das Wirtschaftsembargo. Das haben die Hardliner per Gesetz so einbetoniert, dass nur der US-Kongress die Sanktionen aufheben kann, nicht der Präsident. Doch schon jede einzelne der Maßnahmen in Obamas Paket hätte Schlagzeilen gemacht – ob der Gefangenenaustausch oder die Einrichtung von Botschaften, die Reiseerleichterungen oder die Ankündigung, Kuba von der Liste der Terrorunterstützer zu streichen.
Obama hat die Eskalation der Vergangenheit abgerüstet. Doch mittelfristig ist die Herausforderung für die kubanische Regierung sehr viel größer. Denn für die Kader an den Schalthebeln der Macht in Havanna ist die Feindschaft zu den USA eigentlich unverzichtbar. Sie ist zentraler Baustein ihrer Legitimation. Es darf nur eine einzige Partei geben, weil der Imperialismus jede zweite Partei zur Zerstörung der Revolution nutzen würde. Oppositionelle sind Söldner der USA, Abweichler eine „fünfte Kolonne“. Es kann keinen Medienpluralismus geben, denn im Krieg mit den USA sind die Reihen fest geschlossen zu halten.
Für Kuba gehen die Fragen tiefer
In den USA wird die alte Garde Miamis noch eine Weile toben und die Republikaner werden ihre Anti-Castro- und Anti-Obama-Reflexe ausleben. Doch die Unternehmen werden auf einen neuen Markt hoffen, zwischen Idaho und Virginia wird man andere Probleme wichtiger finden, und auch in Florida wird die Mehrheit der „Cuban Americans“ in zwei Jahren den US-Präsidenten nicht danach wählen, ob in Havanna eine US-Botschaft steht oder nicht.
Doch für Kuba gehen die Fragen tiefer. Sie gehen an die Identität des aus der Revolution erwachsenen politischen Systems. Und dies zu einer Zeit, in der Kubas Gesellschaft längst nicht mehr im Freund-Feind-Modus tickt. Man hat Vetter, Tante oder Bruder, die in den USA leben und Geldsendungen schicken. Man kennt das Internet, man weiß, welche Marken in Miami angesagt sind, und man fiebert mit den kubanischstämmigen Stars der US-Baseball-Liga.
Raúl Castro hat den Kubanern die Nachricht in seiner Generalsuniform verlesen. Er hat die fortbestehende Wirtschaftsblockade angeprangert. Er hat die Freilassung der in den USA inhaftierten kubanischen Agenten ins Zentrum gerückt, nicht die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Das soll Stärke zeigen, aber es ist auch Pfeifen im Wald. Was wird aus der Logik der belagerten Festung, wenn der Feind nicht mehr belagert? Was wird aus David, wenn der Goliath schrumpft?
Zweifelsohne kann die Regierung in Havanna einen politischen Sieg verbuchen. Nach mehr als 50 Jahren hat die US-Regierung nachgegeben, nicht sie. Aber vielleicht hat Obama nicht nachgegeben, sondern vielmehr die USA aus ihrem Gefängnis versteinerter Feindschaft befreit. Havanna steht diese Probe erst noch bevor.
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