Obama vergisst die Welt
Großer Auftritt für Barack Obama: An diesem Dienstag richtet sich der US-Präsident in seiner State-of-the-Union-Rede an die Amerikaner. Um Außenpolitik wird es dabei nur am Rande gehen. Eine vertane Chance.
In ihrer zweiten Amtszeit widmen sich US-Präsidenten für gewöhnlich mit Vorliebe der Außenpolitik. Wer daheim schon als politische lame duck gilt, der sucht sich sein primäres Betätigungsfeld gern in Übersee. Nicht so Barack Obama. Der 44. US-Präsident bricht an dieser Stelle mit der Tradition seiner Vorgänger.
Und das ist keine gute Nachricht für den Rest der Welt.
Man wird das heute Abend beobachten können, wenn Obama seine alljährliche State-of-the-Union-Rede vorm Kongress und vor erwarteten 30 Millionen Amerikanern an.
Das Leitmotiv des Präsidenten bei diesem Auftritt: Kampf der wachsenden Ungleichheit. Höhere Steuern auf Kapitalerträge, Ermäßigungen für Familien – all das wird er fordern, auch wenn es dafür im Parlament keine Mehrheiten gibt. Ja, für Amerika ist das zweifellos eine wichtige Debatte, denn vom wirtschaftlichen Aufschwung kommt bei den Leuten nicht viel an, mehr Umverteilung ist geboten.
Aber das Gegenstück des Strebens nach einem besseren, gerechteren Amerika ist das Streben nach einer besseren, gerechteren Welt. Und das fehlt derzeit auf Obamas Agenda. Manch einer in Europa mag sagen: Gut so, sollen sich die Amis mal schön raushalten! Nur: Wenn sich die Amis raushalten, dann läuft meist gar nichts.
Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht um völkerrechtswidrige Kriege nach der Methode Bush-Cheney. Die alten Bush-Krieger mögen längst wieder zu selbstgerechten Auftritten neigen, doch diese Leute gehören nicht in die Talkshows sondern nach Den Haag. Obamas ursprüngliche Reaktion auf dieses Erbe der Machtüberdehnung war klug und richtig: Eine Politik des graduellen Rückzugs (Retrenchment), mehr internationale Kooperation. Amerikas Interventionen in der muslimischen Welt, das ist der Ansatz, haben die Gesamtlage kaum jemals verbessert. Vor Bush, so hat es Obama mal gesagt, habe es keine al-Qaida im Irak gegeben.
Doch Obama hat seine eigene Rückzugspolitik diskreditiert, indem er sie zeitweise als Raushaltepolitik interpretierte: Den moderaten syrischen Rebellen lieferten die USA lange Zeit keine Waffen, dem Aufstieg des “Islamischen Staats” (IS) schaute Obama entgegen vieler Warnungen zu. Bis heute ist trotz anhaltender Luftschläge keine kohärente Syrien-Strategie zu erkennen. Und warum ist der US-Präsident eigentlich nicht nach Paris zum Charlie-Hebdo-Schweigemarsch gereist? Warum nennt das Weiße Haus derzeit Terrorismus nicht Terrorismus, sondern “gewalttätigen Extremismus”? Klare Sprache, klare Strategie: Dafür böte sich die State-of-the-Union-Rede an.
Obama bastelt derzeit an seinem Erbe als Innenpolitiker. Doch er sollte darüber nicht sein Erbe als Außenpolitiker vergessen. Denn sonst bleibt von der Retrenchment-Politik nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus nichts übrig, egal ob ein Republikaner oder ein Demokrat einzieht. Das Pendel könnte rasch in die Gegenrichtung schwingen – und wir würden wieder mehr US-Einmischung erleben, als uns lieb ist.
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