07.02.15
Deutsch-amerikanisches Zerwürfnis auf offener Bühne
Von Clemens Wergin
Die Amerikaner verstehen nicht, warum Deutschland einem Volk, das seine Freiheit gegen einen undemokratischen Aggressor verteidigt, keine Waffen an die Hand gibt. Merkel bleibt hart.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Vizepräsident Joe Biden
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Joe Biden: Der US-Vizepräsident vertrat die Ansicht, dass die Kosten für Russland steigen müssten, wenn Moskau keine friedliche Lösung des Konfliktes akzeptiere und weiter eskaliere
Es war ein Konflikt auf offener Bühne zwischen Amerika und Deutschland, der sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz abgespielt hat. Die Bundeskanzlerin hatte sich noch einmal vehement gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewandt. Und sie wiederholte ihr Mantra, es könne keine militärische Lösung dieses Konfliktes geben. “Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Putin annimmt, diesen Konflikt militärisch zu verlieren”, begründete sie ihre Haltung.
Das Gegenplädoyer dazu hielt der republikanische Senator und Außenpolitikexperte Lindsey Graham. “Ich denke, Sie machen einen großen Fehler”, sagte Graham an die Adresse Merkels gerichtet. “Die Kanzlerin versteht nicht, warum man Leuten, die für Demokratie und ihre Freiheit zu kämpfen und sterben bereit sind, helfen sollte. Nun, ich verstehe es. Es geht darum, die Kosten der russischen Intervention zu erhöhen und den Leuten in der Welt, die um ihre Freiheit kämpfen, zu zeigen, dass wir nicht nur reden.”
Es sei nicht die “beste Stunde” der Kanzlerin, wenn sie denjenigen, die für ihre Freiheit kämpfen, den Rücken zukehrt. Graham erinnerte auch daran, dass andere Nationen im Kalten Krieg über Jahrzehnte hinweg erhebliche Opfer gebracht hätten, um die Freiheit der Deutschen zu sichern.
Nun spricht Graham nicht für die amerikanische Regierung. Die überlegt aber gerade selbst, ob man die anhaltende russische Aggression gegen die Ukraine nicht mit einem weiteren Schritt beantworten sollte, der die Unterlegenheit der ukrainischen Armee gegenüber den schwer bewaffneten russischen Verbänden in der Ukraine ausgleichen könnte. Und wie der Senator berichtete, bildet sich im amerikanischen Kongress gerade ein überparteilicher Konsens heraus, den Ukrainern Hilfe zur Selbstverteidigung zu geben.
Joe Biden bleibt ambivalent
Eine entsprechende Empfehlung hatte in der vergangenen Woche auch eine Gruppe einflussreicher Außenpolitikexperten von den Think Tanks Brookings, Atlantic Council und Chicago Council on Global Affairs abgegeben. Die Obama-Regierung scheint dazu jedoch noch keine eindeutige Position gefunden zu haben und hatte in den vergangenen Tagen unterschiedliche Signale ausgesandt. Am weitesten hatte sich der designierte Verteidigungsminister Ashton Carter vorgewagt, der bei einer Senatsanhörung gesagt habe, er “neige sehr dazu”, den Ukrainern Waffen zu liefern. Vizepräsident Joe Biden blieb in München jedoch ambivalent.
Einerseits benutzte er die Worte der Kanzlerin und sagte, auch Amerika glaube nicht an eine militärische Lösung. Im selben Atemzug sagte er aber auch, “wir glauben, dass das ukrainische Volk das Recht hat, sich zu verteidigen”.
Bei seinem persönlichen Treffen mit Merkel vertrat Biden die Ansicht, dass die Kosten für Russland steigen müssten, wenn Moskau keine friedliche Lösung des Konfliktes akzeptiere und weiter eskaliere.
Unterstützung bekamen die Befürworter von Waffenlieferungen aus Osteuropa, wo man die Haltung Berlins zum Teil ebenfalls kritisch sieht. Merkel hatte es für ausgeschlossen erklärt, dass selbst eine besser ausgerüstete ukrainische Armee diesen Konflikt militärisch gewinnen könne. Darum, so meinen Kritiker, gehe es aber auch gar nicht. “In diesem Konflikt benutzt eine Seite eine militärische Lösung”, sagt etwa Radoslaw Sikorski, ehemaliger polnischer Außenminister und nun Parlamentspräsident, der “Welt”, “und zu Waffenstillständen kommt es in der Regel, wenn beide Seiten festgestellt haben, dass sie nicht gewinnen können”. In dieser Logik würden Waffenlieferungen an die Ukraine dazu dienen, den Vormarsch der russischen Kräfte zu stoppen, ein Patt herzustellen und Moskau damit zu echten Verhandlungen zu bringen.
“Diplomatie ohne Armee ist wie Musik ohne Instrumente”
Auch im Publikum in München war eine deutliche Zweiteilung wahrnehmbar. Merkel hatte für ihre Verweigerungshaltung viel Beifall bekommen, vor allem von Vertretern aus Europa. Aber auch der ehemalige britische Verteidigungsminister Malcolm Rifkind bekam Beifall, als er an ein Zitat von Friedrich dem Großen erinnerte, wonach Diplomatie ohne Armee wie Musik ohne Instrumente sei. Wie wolle man Putin überzeugen, die Aggression gegen die Ukraine einzustellen, wenn man den Einsatz nicht erhöhe, fragte Rifkind. Auch der estische Präsident Toomas Hendrik Ilves erntete Beifall, als er Merkel entgegenhielt, es gebe nur zwei Alternativen für die Ukraine, wenn die Diplomatie scheitere: entweder vom Westen aufgerüstet zu werden oder sich zu ergeben. Die Experten und Regierungsvertreter des Westens waren in dieser Frage ganz offensichtlich gespalten.
Der Konflikt über Waffenlieferungen bringt die Obama-Regierung nun in eine unangenehme Lage, wenn die Gespräche mit Putin scheitern und der Westen sich dann weitere Maßnahmen überlegen muss. Schließlich war man auf beiden Seiten des Atlantiks stets bemüht, den Russen eine geschlossene Front zu präsentieren. In der Bundesregierung geht man deshalb davon aus, dass die amerikanische Regierung in dieser Frage keinen Alleingang gegen den Willen der Kanzlerin unternehmen wird.
Das mag sein und es entspräche auch dem zögerlichen und abwartenden Stil, den Präsident Barack Obama in der Außenpolitik pflegt. Aber es wird nicht einfach werden, den freiheitsliebenden Amerikanern zu erklären, warum der Westen einem Volk, das seine Freiheit und seine Demokratie gegen einen undemokratischen Aggressor verteidigt, nicht wenigstens die Mittel an die Hand gibt, diesen Kampf auch bestehen zu können.
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