Botschafter des besseren Amerika
Jon Stewart verlässt seine “Daily Show” auf Comedy Central. Welch ein Verlust, hat er doch mit politischer Satire der ganzen Welt ein Gegenbild der USA vor Augen geführt.
Während des US-Wahlkampfs 2004 war Jon Stewart als Gast eingeladen in eine politische Talkshow des Nachrichtensenders CNN, Crossfire hieß die Sendung, das “o” im Logo eine Zielscheibe. Wenn man verstehen will, welche Bedeutung Stewart für die amerikanischen Medien, die Politik, die Unterhaltungsindustrie hat, dann hilft es, sich diesen Auftritt noch einmal bei YouTube anzusehen. Denn ohne Formate wie Crossfire wäre der Erfolg von Stewarts eigener Late-Night-Show The Daily Show nicht möglich gewesen – der Sendung, von der er sich jetzt, nach 16 Jahren, als Moderator verabschieden wird. “Das hier ist Theater. Ihr macht Theater, obwohl Ihr eigentlich Debatten zeigen solltet”, flehte Stewart die beiden CNN-Moderatoren von Crossfire an, die dafür bekannt waren, besonders hitzige Diskussionen zwischen politischen Gegner zu inszenieren.
Von dieser Travestie politischer Kultur profitierte Stewart. Dieses Theater, brachte er sein Programm auf den Punkt, verschaffe seiner Sendung das beste Material. “Also, nebenbei, Danke euch beiden.” Es war allerdings eine verzweifelte Danksagung, eine, der man anhörte, dass Stewart weniger Material lieber gewesen wäre. “Stop hurting America”, bettelte er, ernsthaft besorgt, die CNN-Leute an. Crossfire wurde einige Monate später tatsächlich abgesetzt – an der amerikanischen Medienlandschaft und der 24-Stunden-Nachrichten-Hysterie änderte das natürlich nichts.
Bis heute liefern sie die Vorlagen, die Stewart in seiner Daily Show verwandelt, kurze Einspieler, in der die TV-Meinungsmacher, meistens die des konservativen Senders Fox News, wieder irgendeinen Irrsinn erzählen, um ihre Sendezeit füllen. Stewart kommentiert das oft nur mit seiner Körpersprache, mit der er so unnachahmlich die tiefe Resignation ausdrücken konnte, die er empfand – und die war oft viel lustiger und befreiender als jede Schadenfreude.
Der vertrauenswürdigste Nachrichtenmoderator
Als Stewart seinen berühmten Auftritt bei Crossfire hatte, war er bereits auf dem Weg, eine Institution zu werden für diejenigen Amerikaner, die sich während der Bush-Ära mehr und mehr von ihrem Land entfremdet hatten. Der 1962 in New York als Jon Jonathan Stuart Leibowitz geborene Komiker hatte 1999 die eher unbedeutende Daily Show im Kabelsender Comedy Central übernommen. Es lag vor allem an der Enttäuschung über die US-Medien, die sich mit ihrer unkritischen Haltung gegenüber dem Irakkrieg unglaubwürdig gemacht hatten, dass Stewarts Medienkritik so populär wurde. Bei einer Wahl zum vertrauenswürdigsten Nachrichtenmoderator erhielt er einmal mehr Stimmen als die großen Namen, die echten Nachrichtensprecher von CNN und NBC – Stewart selbst verstand natürlich, dass es nicht um ihn ging dabei, sondern nur um das Misstrauen, das sich breitgemacht hatten.
Der Irakkrieg und die Falschinformationen, mit denen der Einsatz begründet wurde, die Tatsache, dass die Bush-Regierung nie dafür zur Verantwortung gezogen wurde, waren Stewarts große Themen. Einmal, bei einem der vielen, vielen Fernsehpreise, die er und sein Autorenteam für die Daily Show gewannen, ließen sie im Vorstellungsvideo vor jeden der Autorennamen eines dieser denkwürdigen “I don’t recall”- und “I don’t remember”-Statements schneiden, die Mitglieder der Bush-Regierung in Untersuchungsausschüssen von sich gegeben hatten, als sie nach ihren Verfehlungen gefragt wurden. Die Montage war ein tragendes Element seiner Show, gerne schnitt er die Aussagen eines Politikers zusammen mit Schnipseln, die denselben Politiker dabei zeigten, wie er früher einmal genau das Gegenteil behauptet hatte. Stewart freute sich dann wie ein Kind: Wow, was für einen Ärger es gäbe, wenn die beiden Typen mal aufeinanderträfen!
Als Stewart Dienstagnacht zum Abschluss seiner 2.597. Sendung in einer emotionalen Ansprache verkündete, mit der Daily Show in absehbarer Zeit – vielleicht schon im September, vielleicht erst im kommenden Jahr – aufzuhören, rief ein Mann im Publikum “We love you, Jon!”. Die Social-Media-Kanäle stimmten in die Bekundung ein, auf der ganzen Welt dankten Menschen Stewart für seine Sendung und waren traurig über den Abschied. Selbst in Deutschland, wo bis 2009 zwar eine gekürzte Version der Daily Show beim hiesigen Ableger von Comedy Central zu sehen war, aber kaum jemand die Sendung im Fernsehen verfolgt hat. Die Daily Show war aber, bis vor Kurzem – und das ist eine Seltenheit in dem internationalen Mediendschungel aus geografischen Restriktionen – überall auf der Welt abrufbar, jede einzelne Folge, ungekürzt auf der Website. So konnte die Show auch in Deutschland ein kleines, aber sehr begeistertes Publikum finden. Vielleicht hatten die Macher verstanden, dass Jon Stewart nicht nur für sein einheimisches Publikum wichtig ist, sondern auch für Amerikas Außenbild – ein Aushängeschild, das zeigte: Auch wir hier in den USA schütteln den Kopf über all das, was man aus Europa heraus seltsam finden mag an Amerika, die Auftritte von Sarah Palin, die hochgejazzten Nachrichten, diese unglaubliche Polarität in der politischen Landschaft.
Was die politische Haltung angeht, rannte Jon Stewart bei den deutschen Zuschauern offene Türen ein. Sein Vermächtnis in Deutschland ist nicht die Kritik an der konservativen Politik und den Medien in den USA – Amerika hat hierzulande ja schon genug Kritiker. Sein Verdienst war es, ein Gegenbild aufzuzeigen, vielleicht wäre der Antiamerikanismus noch stärker durchgeschlagen seit dem Irakkrieg, hätte Stewart nicht das offene, smarte, lustige Amerika hochgehalten. Und dabei ging es nicht um Politik, sondern um alles – amerikanische Kultur, Unterhaltung, Wissenschaft. Die Daily Show, das ist Stewarts bisher am wenigstens gewürdigte Leistung, wurde auch zu einer Kulturschleuder, zu einem Botschafter. Gewissermaßen ersetzte sie, was in den neunziger Jahren Die Simpsons waren – ein Fenster in eine immer noch große Kulturnation USA, in dem deren Leistungen mit mal liebevoller, mal böser Ironie kommentiert werden. Die Hit-Serie Game of Thrones, das Erfolgsbuch Fifty Shades of Grey, das alles waren Phänomene, die der Daily-Show-Zuschauer mit seinem wochentäglichen Ritual von 20 Minuten Jon-Stewart-Infusion kennenlernte, bevor sie auch in den deutschen Medien groß verhandelt wurden. Stewart hatte für seine Interviews regelmäßig statt der üblichen Stars und Sternchen auch Autoren politischer, wissenschaftlicher und zeitgeschichtlicher Sachbücher eingeladen, die Furore machten. Er bot ein Bildungsprogramm, ein Fernsehfeuilleton an als Gegenentwurf zu dem Nachrichtenjournalismus, den er attackierte.
Einer seiner Kritikpunkte war stets, dass es die hektischen Newsmacher nicht ertrugen, ein Geschehnis in Ruhe zu beleuchten, sie mussten gleich schon immer zum nächsten – was sind die Folgen, wie wirkt sich das aus, was heißt das für die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren? Genauso passiert es auch jetzt, wenn die US-Medien sofort spekulieren, wer seinen Platz im Moderatorenstuhl der Daily Show übernehmen könnte. Weil Stewart seine Anfänge in der Stand-up-Comedy-Szene nie vergessen hat und stets neue Talente förderte, hat die Daily Show schon zahlreiche Komiker-Größen hervorgebracht, von Steve Carell über Stephen Colbert bis zu John Oliver. Auch ein Nachfolger für Stewart wird jetzt unter einem der vielen jungen Talente gefunden werden. Vielleicht aber, und das ist ja stets das große Dilemma der besten Satiriker, müsste es Jon Stewart am liebsten sein, er bräuchte keinen Nachfolger – weil der Show das Material an Irrsinn ausgeht, das es zu kommentieren gibt.
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