Auch die “New York Times” sagt jetzt online first
Der Wandel im digitalen Mediengeschäft erfasst nun auch das legendäre Blatt an der amerikanischen Ostküste mit aller Macht. Die Erscheinungstermine der Artikel lösen sich von der Druckausgabe.
“Online first” ist beim britischen “Guardian”, bei der “Welt” und manch anderer Nachrichtenmarke schon seit einigen Jahren die Arbeitsmethode in der Redaktion. Das bedeutet, dass die digitalen Plattformen im Internet und in den Apps der wichtigste Platz für die Artikel sind. Schon bei den Themenideen wird bei uns überlegt, wann und wie die Geschichte im Web publiziert wird. Die gedruckte Zeitung, die ja immer erst am Morgen danach erscheint, ist dagegen im Arbeitsrhythmus nach hinten gerückt. Eine Entwicklung, die unsere Arbeit als Journalisten sehr verändert hat.
Bei der berühmten “New York Times”, die so viel ins Digitalgeschäft investiert und dabei grandiose Ideen umsetzt, war es bislang immer noch so wie bei uns früher: Die Platzierung und Länge einer Geschichte in der Zeitung ist Ausdruck dafür, welche Bedeutung dem Artikel zugeschrieben wird. Dementsprechend wichtig war dafür bisher die tägliche Entscheidung darüber, welche Story auf der Titelseite der “New York Times” landete.
Doch nun findet auch dort der digitale Wandel statt: Chefredakteur Dean Baquet hat seiner Redaktion mitgeteilt, dass die täglichen Meetings sich von nun an auf die digitalen Kanäle fokussieren sollen und weniger auf die Frage, was denn zum morgendlichen Seite-eins-Thema werden soll.
Unabhängig von den Druckerei-Deadlines
In einer Mitteilung an die Mitarbeiter erklärte Baquet, Ziel dieser Verfahrensweise sei, “dass wir endlich unabhängig von den Druckerei-Deadlines” für die Zeitung arbeiten. “Wir dürfen unsere besten Geschichten nicht erst am späten Abend online stellen, sondern dann, wenn die Internetleserschaft der ‘New York Times’ aktiv ist: zwischen sieben Uhr morgens und sieben Uhr abends.” Eine Erkenntnis, der wir bei der “Welt” schon länger folgen. Auch bei uns war ein Platz auf der Seite eins lange das erstrebenswerte Ziel für unsere Reporter: Wer dort landete, hatte gute Arbeit geleistet.
Noch heute sehe ich bei Twitter und Facebook Journalisten, die stolz ein Foto der Titelseite posten, wenn ihre Geschichte oder die eines Kollegen dort abgedruckt ist. Natürlich behält bei uns und bei der “New York Times” die Seite eins große Bedeutung, aber sie ist weniger als früher der Gradmesser für die Bedeutung eines Themas.
Darüber wird jetzt schon am Vortag entschieden, unter Berücksichtigung des Leserinteresses an unseren Online-Aufbereitungen. So suchen wir fortlaufend den ganzen Tag auf welt.de den besten Zeitpunkt und die beste digitale Präsentation eines Artikels. Das hat unsere Arbeit erheblicher hektischer gemacht, aber dafür sind wir mit unseren Geschichten viel näher an den Interessen unserer Leser.
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