Eine historische Wende – mehr nicht
Die Annäherung zwischen den USA und Kuba ist zwar historisch, einen Wandel für das Verhältnis USA-Lateinamerika bedeutet sie aber nicht. Denn die größtenteils linken südamerikanischen Staatschefs haben sich längst von den USA emanzipiert.
Wie aus der Zeit gefallen: Das Verhältnis zwischen den USA und ihrem Insel-Nachbarn Kuba war jahrzehntelang ein Anachronismus. Als die US-Diplomaten 1961 ihre Betonklotz-Botschaft an der Bucht von Havanna abschlossen und abreisten, war Barack Obama, dem die Geschichtsbücher die historische Wende in den bilateralen Beziehungen gutschreiben werden, noch nicht geboren. Seither hat sich die Welt gewandelt, wie sie es in einem halben Jahrhundert nun mal tut, aber zwischen Havanna und Washington änderte sich so gut wie nichts: Grimmiges Schweigen, das ab und zu von den immer gleich klingenden verbalen Angriffen unterbrochen wurde, dazu das stur verteidigte Handels-Embargo. Als wäre die Zeit 1961 stehengeblieben – und heute nehmen, nach der atemberaubenden Annäherung in den letzten Monaten, beide Länder wieder diplomatische Beziehungen auf, eröffnen sie in der jeweils anderen Hauptstadt ihre Botschaften.
Kein anderes Ereignis im 20. Jahrhundert hat sich so tief auf die Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika ausgewirkt wie die kubanische Revolution. „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam“ – Che Guevaras berühmte Kampfansage schien die USA in ihrem Hinterhof – so nannte man damals ungeniert alles südlich der US-Grenze zu Mexiko – zu bedrohen, und im Hintergrund zog immer Moskau die Fäden, bis knapp vor dem nuklearen Schlagabtausch in der Kuba-Krise 1962. So stellte sich die Welt jahrzehntelang für Washington dar. Eine Ausgangslage, mit der die übelsten Schurkereien der US-Außenpolitik gerechtfertigt wurden, von der Unterstützung der Militärputsche in Brasilien 1964 und Chile 1973 über die Waffenhilfe für Nicaraguas Contras in den Achtzigern bis zur Teilnahme am Staatsstreich gegen Venezuelas Präsidenten Chávez 2002.
Sympathie für Obama wird steigen
Was bedeutet die historische Wende – nach sechs Jahrzehnten ist die abgegriffene Vokabel tatsächlich gerechtfertigt – für das Verhältnis der Supermacht zu ihren südlichen Nachbarn? Erstaunlich wenig. In der Region werden die Sympathiewerte für Barack Obama wieder steigen, nachdem sie von ihrem Anfangshoch – ein junger, dynamischer und noch dazu nicht weißer US-Präsident! – stetig gefallen sind. Dass Obama das Lager Guantánamo nicht aufgelöst hat, dass seine Lauscher auch in Südamerika Präsidenten-Handys abhören, dass sich die US-Außenpolitik zu der tölpelhaften Anschuldigung versteigt, Venezuela gefährde die Sicherheit der USA – das alles hat in der Region Kopfschütteln ausgelöst. Die Wende in der Kuba-Politik bringt Obama nun einhelligen Beifall. Dagegen ist nur die Rechte in den USA. Was zur Vorsicht mahnt, denn nach Obama könnte schnell wieder alles anders sein.hat, dass seine Lauscher auch in Südamerika Präsidenten-Handys abhören, dass sich die US-Außenpolitik zu der tölpelhaften Anschuldigung versteigt, Venezuela gefährde die Sicherheit der USA – das alles hat in der Region Kopfschütteln ausgelöst. Die Wende in der Kuba-Politik bringt Obama nun einhelligen Beifall. Dagegen ist nur die Rechte in den USA. Was zur Vorsicht mahnt, denn nach Obama könnte schnell wieder alles anders sein.
Wandel schon längst da
Und sonst? Bedeutendere Folgen zöge so ein Wandel für das Verhältnis USA-Lateinamerika nicht nach sich. Die Veränderungen sind Obamas Kuba-Politik längst vorausgegangen. Was auch immer „links“ bedeuten mag – bis auf Kolumbien sind seit der Jahrtausendwende in praktisch allen Ländern Südamerikas linke Staatschefs ans Ruder gekommen. Politikerinnen und Politiker, die unter den US-unterstützten Diktaturen gekämpft und gelitten haben, die Washington mitunter feindlich, auf jeden Fall kritisch gegenüberstehen. Die sich jedenfalls nicht, wie die Politiker-Generation vor ihnen, als Ja-Sager oder gar als Befehlsempfänger Washingtons verstanden. Das neue politische Personal hätte nicht viel ausrichten können, wenn ihm nicht die Wirtschaft zu Hilfe gekommen wäre. Die fabelhaften Wachstumsraten im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts haben die ökonomischen Bande zu den USA kräftig gelockert, wenn auch um den Preis neuer, mitunter fataler Abhängigkeiten. Wenn heute China hustet, droht Lateinamerika zwar die Lungenentzündung. Aber dennoch hat sich die Region von der Herrschaft einer einzigen Vormacht befreit.
Die Multipolarität spiegelt sich auch auf politischer Ebene wider. Neben die stark von den USA beeinflusste Organisation Amerikanischer Staaten OAS ist die Unasur getreten, ein Staatenbündnis Amerikas, aber eben ohne USA und Kanada. Vor den demokratischen Defiziten Venezuelas drückt die Unasur zwar oft ein Auge zu. Aber zweifellos ist sie der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins, das der Region guttut. „Wir haben ja sogar gelernt, amerikanisch zu flirten und amerikanisch zu küssen“, beschrieb der vergangenes Jahr gestorbene brasilianische Autor João Ubaldo Ribeiro einmal die Auswirkungen, die die US-Kultur, vor allem das Kino, in seiner Jugend hatte. Auch das ist vorbei – die Faszination, die die USA und ihr Lebensstil in Lateinamerika ausübten, ist geschwunden.
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