Selbst die Bibel muss herhalten
Sommerdrama Die Gegner des Atomabkommens mit dem Iran schießen seit Wochen aus allen Rohren
Selbst die Bibel muss herhalten
Auf den Straßen New Yorks hat das Atomabkommen nicht den besten Leumund
Foto: Kena Betancur/AFP/Getty Images
Für höllischen Lärm und für verqualmte Talkshows sorgt der Aufruhr gegen die Iran-Politik Barack Obamas. Doch der US-Präsident hat bessere Karten. Er muss nur aufpassen, dass ihm die eigenen Leute aus der Demokratischen Partei nicht davonlaufen. Also lädt er trotz Sommerhitze Parteifreunde zum Golfen ein.
Die Attacken von rechts kamen, bevor die Politiker überhaupt Zeit zum Lesen des 159-seitigen Vertrages haben konnten, der den Iran am Bau nuklearer Waffen hindern soll. Die Gegner bezweifeln die Nachprüfbarkeit und bedauern, dass der Iran nach Aufhebung der Sanktionen wohl wirtschaftliche Zugewinne verbuchen kann: Teheran werde dann mit diesen Mitteln eine konventionelle Aufrüstung vorantreiben und „Unruhe stiften“. Das Abkommen sei inakzeptabel, sagt John Boehner, republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses. Und Präsidentschaftsanwärter Scott Walker aus der gleichen Partei sekundiert, er werde den Vertrag „am ersten Tag im Amt zerreißen“.
Überhitzte Rhetorik rückt den Iran in die Nähe der Nazis. Präsidentenbewerber Mike Huckabee spricht von „der Tür zum Ofen“, die Obama mit dem Abkommen „für die Israelis“ geöffnet habe. Der britische Premier Neville Chamberlain habe sich 1938 in Hitler getäuscht, raunt der republikanische Kongressabgeordnete Robert Pittenger im SiriusXM-Radio. Die Konsequenzen des Iran-Deals würden „Hitler aussehen lassen wie einen zweitrangigen Spieler“. Auch die Bibel muss herhalten: Senator Tom Cotton vergleicht Außenminister John Kerry mit dem römischen Statthalter Pontius Pilatus, der Jesus Christus zum Tod verurteilt und danach seine „Hände in Unschuld“ gewaschen habe.
Republikaner trauen offenbar Obama ebenso wenig wie dem Iran. Den Kritikern geht es nicht nur um das Abkommen. Sie haben ein parteipolitisches Auge auf die Geschichte. Obama darf nicht als starker Präsident in Erinnerung bleiben. Im Augenblick steht der Amtsinhaber gar nicht so schlecht da. Nicht passend zu seinem Image als „lahme Ente“ nach dem republikanischen Siegeszug bei den Zwischenwahlen im November 2014 hat der Präsident in den zurückliegenden Monaten ziemliche Erfolge eingefahren: Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kuba nach einem halben Jahrhundert Eiszeit, innenpolitisch das höchstrichterliche Ja zur gleichgeschlechtlichen Ehe, dazu die Gesundheitsreform, Obamas bedeutendstes sozialpolitisches Projekt. Und jetzt dieser historische Deal mit der Islamischen Republik nach jahrelangen, oft für aussichtslos gehaltenen Verhandlungen.
Stimmung machen gegen den Iran ist in den USA nicht sonderlich schwer. Das Land ist der Super-Bösewicht seit der Besetzung der US-Botschaft im revolutionären Teheran 1979 und dem 444-Tage-Arrest für amerikanische Diplomaten. Der einstige Präsident Mahmud Ahmadinedschad (2005–2013) galt wegen antisemitischer Töne als Politiker, in dessen Händen man definitiv keine Atomwaffe sehen wollte. Gegenwärtig hält die iranische Justiz einen Journalisten der Washington Post in Haft, angeblich wegen des Verdachts auf Spionage, ein evangelikaler Prediger aus den USA teilt sein Schicksal.
Der große Gegenspieler
Die Republikaner haben sich stets mächtig ins Zeug gelegt gegen ein Atomabkommen. Im März lud Boehner Israels Premier Benjamin Netanjahu ein, um Obamas Iran-Diplomatie mit einer Rede im US-Kongress zu torpedieren. Wochen später schrieben 47 republikanische Senatoren einen warnenden Brief an die iranische Regierung, der Kongress könne etwaige Verhandlungsergebnisse jederzeit kippen. Nun liegt das Abkommen vor, und es dämmert den Briefschreibern, dass sie den Mund zu voll genommen haben. Obama braucht nicht einmal eine Mehrheit im Kongress. Das Agreement wurde ausgehandelt von sieben Nationen (neben Iran und den USA von Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Deutschland). Es ist kein Vertrag, der im Senat eine Zweidrittelmehrheit benötigen würde. Letztendlich reicht schon ein Drittel. Im April hat der Kongress mit seinen republikanischen Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus ein Iran-Abkommen-Gesetz beschlossen. Demnach können Abgeordnete und Senatoren binnen 60 Tagen nach Erhalt des Vertragstextes ihr Missfallen zum Ausdruck bringen und sich gegen gelockerte Sanktionen aussprechen. Die Uhr tickt nun seit dem 20. Juli. Für den Fall einer (wahrscheinlichen) Mehrheit gegen die Übereinkunft hat Obama ein Veto angekündigt. Um das zu überstimmen, bräuchten die Republikaner Zweidrittelmehrheiten in beiden Häusern des Kongresses. Spätestens da wird es schwierig, selbst wenn die Republikaner bis zum letzten Mann und zur letzten Frau gegen das Veto stimmen, müssten sie 13 demokratische Senatoren und 44 demokratische Abgeordnete auf ihre Seite ziehen. Aber die republikanische Mehrheitspartei im Kongress hat sich nie sonderlich um gute Beziehungen zu den Demokraten gekümmert, auf die man jetzt zurückgreifen könnte.
Zudem stecken die Republikaner im Vorwahlkampf. 17 Kandidaten wetteifern um die Nominierung. Wer gehört werden will, muss laut sprechen; griffige Wortwahl ist gefragt, keine diffizilen Analysen. Jeb Bush warnt vor „Appeasement“ mit Teheran. Sein Rivale Lindsey Graham insistiert, das Abkommen sei eine „Todesstrafe für Israel“. Donald Trump, Autor von The Art of the Deal, verurteilt die Verhandlungsführung. Man wisse doch, dass Iraner betrügen.
Der große Gegenspieler, der auch gute Drähte zu Demokraten hat, ist derzeit das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), das laut Washington Post einen neu gegründeten Verband namens „Bürger für ein nuklearfreies Iran“ unterstützt. Der drängt mit einer 40-Millionen-Dollar-Fernsehkampagne Kongressmitglieder zum Nein – und das mit gedrosselter Rhetorik. Im beratenden Ausschuss der „Bürger“ sitzen demokratische Politiker wie der ehemalige Vizepräsidentschaftskandidat Joseph Lieberman, der erklärt, der Deal sei gefährlich, habe der Iran doch gegen mehr als 20 Abkommen verstoßen. Seine Klage wie die der demokratischen Ex-Senatorin Mary Landrieu: Das Abkommen erlaube dem Iran die Entwicklung von Interkontinentalraketen. Das AIPAC präsentiert sich als „Amerikas Pro-Israel Lobby“ mit dem Unterton, man sei die Stimme der jüdischen US-Bürger schlechthin. Freilich sind Umfragen zufolge deren Meinungen gespalten. Wie das Jewish Journal schreibt, sind 54 Prozent für den Vertrag, 35 Prozent dagegen.
America first
Barack Obama hat in einem New-York-Times-Interview geradezu nostalgisch über Ronald Reagan, Richard Nixon und deren Bereitschaft zu diplomatischen Initiativen gesprochen. Reagan habe sogar mit dem „evil empire“ Sowjetunion Verträge geschlossen, wenn er von deren Überprüfbarkeit überzeugt gewesen sei. Und Richard Nixon habe gesehen, dass China möglicherweise einen „anderen Weg einschlagen wird“. Nixon zufolge habe man dieses Potenzial testen müssen, solange man dabei nichts aufgebe „und unsere Freunde und Verbündeten schützt“, lobte Obama. Diplomatie bringe keine perfekten Resultate. In der Diplomatie bekomme man nicht alles, aber man könne die Zukunft so gestalten, dass man eine gute Chance habe, Probleme zu lösen, so der Präsident. Und das Iran-Abkommen biete diese Chance. Damit distanzierte sich Obama von der verbreiteten Macho-Vorstellung, die USA könnten sich immer und überall durchsetzen, und zwar zu 100 Prozent.
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