Sich hinter den Amerikanern verstecken geht nicht mehr
Die Bundesregierung sollte den Parlamentariern die Liste der NSA-Suchbegriffe zeigen und es nicht auf das Verfassungsgericht ankommen lassen. Ihre Taktik geht nicht auf. EIN KOMMENTAR VON MARTIN KLINGST
Die Kontrolle der Geheimdienste ist Aufgabe und Pflicht des Parlaments. Darum sollte sich die Bundesregierung einen Ruck geben und zumindest den Obleuten der deutschen Geheimdienstausschüsse einen direkten Blick auf die umstrittene Liste mit den Suchbegriffen der NSA gestatten.
Bislang darf sich nur der ehemalige Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich über diese ominöse Liste mit etwa 40.000 Selektoren – Telefonnummern, Emails, IP-Adressen – beugen. Er allein wurde mit der Prüfung beauftragt – und zwar von der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheit von CDU/CSU- und SPD-Abgeordneten im NSA-Untersuchungsausschuss. Anschließend soll Graulich den Geheimdienstausschüssen über seine Erkenntnisse berichten.
Eine direkte Inaugenscheinnahme der Liste jedenfalls hat die Bundesregierung den Abgeordneten bislang verwehrt, weil, wie das Kanzleramt behauptet, die Amerikaner dagegen seien. Ohne die Zustimmung aus Washington würde man gegen das Völkerrecht verstoßen.
Doch wie die ZEIT unter Berufung auf vertrauliche Auskünfte von ranghohen Mitarbeitern der Obama-Regierung berichtet, hat das Weiße Haus trotz großer Bedenken die letzte Entscheidung über eine Freigabe dieser Liste der Bundesregierung überlassen.
In einem Gespräch mit dem Spiegel widerspricht jetzt Kanzleramtsminister Peter Altmaier, CDU, dieser Darstellung. Er betont noch einmal, eine Herausgabe der Selektorenliste sei nur mit Genehmigung der Amerikaner möglich. “Hätte es tatsächlich eine Zustimmung zur Weitergabe aus den USA gegeben,” so Altmaier wörtlich, “hätten wir uns manche schwierige Debatte ersparen können.”
Damit steht Aussage gegen Aussage. Wobei es durchaus einen semantischen Unterschied zwischen ausdrücklicher “Zustimmung” und zähneknirschender Gewährung durch die Amerikaner gibt, wie sie in der ZEIT beschrieben worden war.
Der US-Kongress würde sich nicht so leicht reinreden lassen
Was die Bundesregierung überdies verschweigt: Nicht nur die Amerikaner, auch sie hat ein äußerst großes Interesse daran, die Liste so weit wie möglich verschlossen zu halten. Denn der genaue Blick darauf könnte Aufschluss geben, ob und in welchem Ausmaß der Bundesnachrichtendienst (BND) in seiner Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling für die Amerikaner europäische Nachbarn ausspioniert.
Auf dieser Liste sollen 40. 000 Suchbegriffe stehen, die der BND nach einer eigenen Prüfung bereits als unzulässig aussortiert hat. Weil sie sich entweder gegen deutsche Staatsbürger richten oder deutsche Interessen verletzen.
Doch wie bekannt wurde, rutschten dem BND immer mal wieder zweifelhafte Selektoren durch die Filter. Eine kurze Stichprobe kam bereits auf 2.000 kritische Beispiele. Sie sind allerdings nicht mehr auffindbar, weil sie inzwischen gelöscht wurden.
Der amerikanischen Regierung würde es im umgekehrten Fall nicht im Traum einfallen, den Geheimdienstausschüssen des US-Kongresses einen Einblick in vertrauliche Dokumente zu verwehren. Die Abgeordneten und Senatoren würden sich das auch niemals gefallen lassen. Schließlich verfügen sie über weit mehr Kontrollrechte und Druckmittel als ihre deutschen Kollegen im Bundestag.
Der Verdacht liegt nahe, dass sich die Bundesregierung immer wieder gerne hinter Amerika versteckt, um von eigenen Fehlern und Versäumnissen abzulenken. Bevor das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden muss, ob die Mitglieder der Geheimdienstausschüsse sich die Liste anschauen dürfen, sollte die Bundesregierung ihnen dieses Recht gewähren.
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