In the Valley of Lies

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Im Tal der Lügen

Netz Die kalifornische Ideologie verbindet Technikoptimismus und Wirtschaftsliberalismus mit altem Hippiegeist

Haben Sie schon mal von der kalifornischen Ideologie gehört? Selbst wenn Sie noch nichts davon gehört haben, Ihr Leben ist von dieser Ideologie durchsetzt: Laptop von Apple, Account bei Facebook, googeln, twittern und eine Ferienwohnung bei Airbnb suchen – das alles sind Ergebnisse der kalifornischen Ideologie.

Die kalifornische Ideologie ist eine Ideologie, weil die eben aufgezählten Phänomene nicht einfach mit einer punktuellen Veränderung unseres Alltags, sondern mit dem Umbau aller unserer Lebensbereiche einhergehen. In der kalifornischen Ideologie – die so heißt, weil ihre Begründer und ihre radikalsten Vertreter aus dem Silicon Valley in Kalifornien kommen – verbinden sich ganzheitliches Denken, Technikdeterminismus und Wirtschaftsliberalismus zu einem Projekt, dessen Folgen wir noch gar nicht absehen können. Der Begriff wurde in den 90er Jahren von den englischen Medientheoretikern Richard Barbrook and Andy Cameron geprägt. Die beiden beschrieben damit die „Verschmelzung der kulturellen Boheme aus San Francisco“ mit den „High-tech-Industrien des Silicon Valley” zu einem radikalen „Dot.com-Neoliberalismus“. Im Fokus stand das falsche Freiheitsversprechen dieser Bewegung.

Man muss sich nur mal die Rhetorik der Founder und CEOs aus dem Silicon Valley anschauen, um zu erkennen, dass es ihnen um ein gesamtgesellschaftliches Projekt geht und ihre Apps, Programme und Gadgets nur die Mittel sind, dieses zu verwirklichen. Diese Leute wollen nichts weniger als die Welt retten.

Rachel Botsman zum Beispiel kündigt in ihrem Buch What’s Mine is Yours das Ende aller gesellschaftlichen Probleme an. Botsman ist eine ehemalige Managerin, die heute nur noch mit der Verbreitung der Sharing-Economy-Idee in Artikeln, Büchern und bei den sogenannten TED-Talks (Technology, Entertainment, Design) beschäftigt ist, und damit steht sie nicht allein da: Der Programmierer Steve Dekorte hat den Rechtsstreit, den das Start-up Uber in den USA führt, bereits mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verglichen.

Einfacher, entspannter?

In einem Tweet schrieb Dekorte: „Ja, Uber hat das Gesetz missachtet. Genau das Gleiche hat auch (die afroamerikanische Bürgerrechtlerin) Rosa Parks getan.“ Einen ähnlichen Ton schlägt Brian Chesky, Mitgründer und CEO von Airbnb, an. Am 13. Februar 2015 twitterte er: „Gandhi ist während seines Salzmarschs in Häusern untergekommen. Glücklicherweise gab es damals keine Regierung, die einen Mindestaufenthalt von 30 Tagen festgelegt hatte.“ Chesky bezog sich auf eine neue Regelung in New York, die bezweckt, Mietraum für tatsächliche Mieter freizuhalten und den Ferienwohnungsmissbrauch einzudämmen. Als Vergleiche müssen mindestens Ikonen des Widerstands herhalten, drunter macht es ein kalifornischer Ideologe nicht.

Zurück zu Uber, dem Start-up aus dem Silicon Valley, dem Dienstleistungsunternehmen, das mit Hilfe einer entsprechenden App zwischen privaten Fahranbietern und potenziellen Fahrgästen vermittelt. Uber ist nicht nur eine Erleichterung bei der Transportmittelwahl, Uber ist ein Projekt, das nicht nur das Verkehrswesen, sondern auch die Arbeitswelt revolutionieren möchte – wofür es ja erst mal auch gute Argumente gibt. Und warum es attraktiv ist, Uber-Fahrer zu werden, liegt auf der Hand. Die Kandidaten haben vielleicht ein Auto, aber gerade keinen Job. Sie wollen vielleicht nicht in einem Büro arbeiten, aber sich trotzdem nicht an einen festen Taxijob binden. Weil Uber an keine fixen Tarife gebunden ist, sind die Fahrten oft günstiger als mit vergleichbaren Transportmöglichkeiten. Uber-Fahrer sind oft jung und up to date. Inzwischen lässt sich sogar die eigene Spotify-Playlist in einem Uber-Wagen abspielen. Auf den ersten Blick scheint es also so, wie die Fürsprecher der kalifornischen Ideologie sagen: Das Leben wird irgendwie einfacher und entspannter.

Doch so einfach ist es nicht. Es gibt auch Verlierer. Als Erstes natürlich die Taxifahrer, deren Verdienste zumindest in Deutschland – wo Uber auch immer noch verboten ist – tariflich geregelt sind. Man könnte nun einwenden, dass sich manche Geschäftsmodelle eben überleben und dafür ja andere entstehen. Das ist aber falsch. Am Ende sind nicht nur die Taxifahrer, sondern wir alle die Verlierer. In einer Gesellschaft, in der die Sharing Economy eines der zentralen Standbeine ist, existiert keine Trennung mehr zwischen Freizeit und Arbeit. Jeder ist sein eigener Unternehmer. Es gibt keinen Kündigungsschutz, keine Elternzeit, keine Krankentage und keinen Feierabend. Schlechte Laune wird es auch nicht mehr geben, denn die kann sich keiner leisten. In der Sharing Economy sind alle von den guten Bewertungen der Kunden abhängig.

Der Technikoptimismus kommt unscheinbar daher. Wer nicht als konservativ gelten möchte, kritisiert die Unternehmen besser nicht. Dabei hat die Technikgläubigkeit der Silicon-Valley-Jünger nichts mit echtem Fortschritt zu. Am Ende wartet der Hyperkapitalismus. Die Firmen des Silicon Valley, allen voran Google, verfolgen ein ehrgeiziges Projekt, dessen Erfolg heute fast zwangsläufig erscheint. Dabei ist Google nicht einfach ein Unternehmen, das eine Suchmaschine für das Internet gebaut hat, Werbung verkauft und die Mitarbeiter einmal im Jahr zum „Burning Man Festival“ einlädt. Google hat eine Mission.

In dieser Hinsicht ist die Unternehmensumstrukturierung von Google in Alphabet spektakulär: Mit der Suchmaschine und der Online-Werbung verdienen sie das Geld, das sie in Forschung und Entwicklung jener Geräte und Tools stecken, die das ganzheitliche Leben, die Utopie der Verschmelzung von Mensch und Maschine verwirklichen sollen. Das selbststeuernde Google-Auto und die Google-Brille sind erst der Anfang, am Ende steht der gläserne Mensch. Klingt das nach Freiheit?

Die Versprechungen der kalifornischen Ideologie sind so großartig, dass kaum registriert wird, wenn sie nicht eingelöst werden. In den 90er Jahren kündigte das Magazin Wired – bis heute das Zentralorgan der kalifornischen Ideologie – zum Beispiel den „Long Boom“ an. Jahrzehntelange Prosperität (und die Lösung der Umweltprobleme) stünden uns bevor. Der grenzenlose Optimismus ließ sich auch nicht durch so lapidare Ereignisse wie das Platzen der Spekulationsblase Anfang der 2000er aufhalten, er gebar einfach neue, radikalliberale Theorien.

Der ehemalige Wired-Chefredakteur Chris Anderson schrieb in seinem Buch The Long Tail – der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt – das Geschäft der Zukunft, dass durch die massenhafte Verbreitung von Kleinstunternehmern, die sich mit Hilfe des Internets vernetzten, zwangsläufig eine Demokratisierung des Markts einhergehen würde. Andersons These gilt mittlerweile als widerlegt. Auch heute dominieren ausschließlich große Konzerne die Wirtschaft.

Eine Dystopie

Um die Ausstrahlungskraft des Vorhabens zu begreifen, muss man einen Blick auf seine Ursprünge werfen. Die kalifornische Ideologie ist ein Projekt der Hippies und hat ihre Wurzeln in der US-amerikanischen Gegenkultur der 60er Jahre. Die Hippies träumten von einer neuen, besseren Welt. Sie wollten das graue Leben ihrer Eltern hinter sich lassen und stattdessen einen ganzheitlichen Lebensstil verwirklichen. In der kalifornischen Bay-Area um San Francisco, in der damals schon Technikunternehmen und Programmierer angesiedelt waren, verschmolzen grenzenloser Technikoptimismus, Hippiekultur und ehrgeiziges Unternehmertum. Der Kernglaube: Technik verbessert die Welt.

Selbst im Herzen, in der Seele der Bestie, in den Vorstandsetagen des Silicon Valley, ist vom Erfüllen dieser Versprechungen nichts zu merken. Dort hat keine Demokratisierung stattgefunden. Auch wenn die Unternehmenskultur des Silicon Valley offen, demokratisch und unhierarchisch wirkt, sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Während in den Vorstandsetagen der restlichen US-Wirtschaft die Frauenquote bei 53 Prozent liegt, übersteigt der weibliche Anteil in den Tech-Unternehmen 25 Prozent seit Jahren nicht. Und Afroamerikaner machen in den Führungsetagen der Top-Tech-Unternehmen gerade mal ein Prozent aus. Eine Unternehmenskultur, die an Vielfalt interessiert ist, sieht definitiv anders aus.

Die Apologeten der kalifornischen Ideologie versprechen eine Utopie, die sich bereits jetzt, da ihre Verwirklichung noch in den Anfängen steckt, als Dystopie offenbart. Es ist höchste Zeit, die Predigten und Prophezeiungen der Silicon-Valley-Jünger als Lügen zu entlarven und nach Alternativen zu suchen.

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