Die einzige Weltmacht sucht ihre künftige Rolle
Eine Kolumne von Matthias Naß
© Michael Heck
Im US-Wahlkampf wird nur oberflächlich über die Außenpolitik diskutiert. Nach der Wahl im November steht eine Grundsatzdebatte an – nicht allein in Washington.
12. Oktober 2016, 8:04 Uhr 146 Kommentare
Wenn der hässlichste und primitivste Wahlkampf der jüngeren US-Geschichte vorüber, die Schlacht geschlagen und Hillary Clinton ins Weiße Haus zurückgekehrt sein wird, dann wird eine strategische Debatte über Amerikas künftige Rolle in der Welt beginnen müssen. Über die ist in den vergangenen Monaten nicht gesprochen worden, jedenfalls nicht mit dem Ernst, den das Thema verdient. Obwohl die Vereinigten Staaten dieser Tage im Trump-Sumpf zu versinken drohen, bleiben sie doch die einzige Weltmacht, von der noch immer unser aller Wohl und Wehe abhängt.
Bei Gesprächen in New York und in Washington wird dem Besucher schnell klar, wie groß der Bedarf an einer solchen Bestandsaufnahme ist. Der frühere parteiübergreifende Konsens des außenpolitischen Establishments ist dahin. Und zwar in sehr grundsätzlichen Fragen.
Eigentlich wollte sich Amerika unter Barack Obama Asien zuwenden, schließlich boomte dort die Wirtschaft. Zugleich sollte sich am Pazifik entscheiden, wer im 21. Jahrhundert weltpolitisch den Ton angibt, das etablierte Amerika oder das aufstrebende China. Das schien alles sehr plausibel zu sein, und ist es auch bis heute.
Aber die Visionen wurden von der Realität eingeholt. Plötzlich provozierte eine Macht, die man in Washington gar nicht mehr auf dem Zettel hatte: Russland kehrte durch die Annexion der Krim und die Intervention in Syrien mit kaltblütigem Zynismus auf die Weltbühne zurück. Niemand nennt das Reich Putins heute noch eine “Regionalmacht”, wie es Obama in einem übermütigen Moment tat.
Die altvertrauten Konfliktherde beanspruchen wieder die Aufmerksamkeit der amerikanischen Strategen. Die USA schicken mehr Soldaten nach Europa, aus dem sie sich eigentlich Schritt für Schritt zurückziehen wollten; sie überweisen mehr Geld nach Israel als je zuvor und arrangieren sich von Ägypten bis nach Saudi-Arabien mit jenen Autokratien im Nahen Osten, deren Ende sie im “Arabischen Frühling” bereits kommen sahen.
Und in Asien: Brechen sich nicht auch dort die Visionen an der Wirklichkeit? In China verlangsamt sich das Wachstum. Im Konflikt um das Südchinesische Meer, im Inselstreit mit Japan schlägt die Führung der Volksrepublik unangenehm scharfe Töne an. Die Philippinen, über Jahrzehnte ein enger Verbündeter der USA, drohen unter dem Brutalo-Präsidenten Duterte damit, die Amerikaner aus dem Land zu schmeißen und sich China und Russland zuzuwenden.
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Und dann ist da noch der Konflikt, der allen die meisten Sorgen bereitet: der Streit um die nukleare Aufrüstung Nordkoreas. Als Folge von Kim Jong Uns Bomben-Wahn könnten China und die USA ernsthaft aneinander geraten, könnte in Südkorea, sogar in Japan der Ruf nach eigenen Atomwaffen lauter werden – könnte, mit anderen Worten, Asien in eine Katastrophe schlittern. Von der “härtesten Nuss, die wir knacken müssen”, spricht ein hoher US-Diplomat.
Weil die Lage weltweit ebenso unübersichtlich wie bedrohlich ist, spricht ein früherer US-Außenminister von der Notwendigkeit einer Neudefinition der amerikanischen und generell der westlichen Außenpolitik. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage nach dem künftigen internationalen System: Soll es die bestehende, in der Nachkriegszeit geschaffene Ordnung weiterentwickeln und China in diese einbeziehen? Oder muss diese Ordnung den Vorstellungen der “neuen Mächte” – neben China auch Indien, Brasilien, Indonesien und andere – angepasst werden?
Klar ist aber auch: Ein außenpolitischer Neustart setzt voraus, dass der Westen die eigenen Probleme anpackt. Nationalismus, Populismus und Protektionismus – sie sind in erster Linie hausgemacht. Wenn sich die liberale, westlich geprägte Weltordnung gegen die neue autoritäre Versuchung chinesischer, russischer oder auch türkischer Provenienz behaupten soll, dann müssen Amerikaner und Europäer sich mit großer Entschiedenheit daran machen, die sozialen Brüche in ihren Gesellschaften zu kitten.
So also sieht die westliche Agenda nach der US-Wahl am 8. November aus. Auch in Berlin wartet man auf das Ende der lähmenden Übergangszeit in Washington, setzt man darauf, dass eine Regierung Clinton Amerikas Rolle in der Welt mit neuem Elan und Ehrgeiz definiert. “Hillary”, sagt ein hoher Ministerialer, “wird als erstes versuchen, den Westen wieder zusammenzubringen.” Nötig wär’s!
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