Das Ende des Wahlkampfs, wie wir ihn kennen
Nach und nach wird bekannt, mit welcher technologischen Unterstützung Trump gewonnen hat. Es war eine Kampagne kunstvoller digitaler Manipulation. Schon interessieren sich Europas Populisten für seine Strategien.
Es ist erst ein paar Wochen her, da belächelte noch halb Amerika Donald Trump als digitalen Analphabeten; einen Mann, dessen Mailverkehr daraus bestand, seinen Assistenten handgeschriebene Zettel zu reichen, und dessen digitale Fertigkeiten sich darin erschöpften, ungeschminkte Sätze über den Kurznachrichtendienst Twitter ins Netz zu blasen. Seine Rezeptur erschien simpel: Er konzentrierte sich aufs Poltern, Ätzen und Verletzen, für die Verbreitung sorgten andere. Die liberalen Medien transportierten ihre Empörung in einer endlosen Zahl von Artikeln. Und rechte Revolver-Seiten wie das Portal „Breitbart“ übernahmen die lautstarke Verbreitung von Attacken, Halbwahrheiten und Lügen.
Nun, nach seinem Sieg, werden nach und nach die Details einer lange gut getarnten digitalen Wahlkampfmaschinerie bekannt, die Trumps Erfolg nach Ansicht amerikanischer Politikstrategen maßgeblich befördert hat. Sie ringt seinen härtesten Konkurrenten Respekt ab und lehrt alle, die an traditioneller Politikvermittlung hängen, das Fürchten. Galten zunächst die Demokraten als die Meister des digitalen Wahlkampfes, so zeigt sich, dass Trumps Leute Methoden der Online-Vermarktung angewandt haben, die so konsequent wohl noch nie in der Politik genutzt wurden. Schon sollen italienische, französische und deutsche Populisten bei Trumps Dienstleistern Interesse signalisiert haben.
Trumps digitale Geheimtruppe
Das Ausmaß seiner digitalen Strategie wurde erst nach der Wahl offenbart, dank verschiedener Veröffentlichungen der „New York Times“, von „Forbes“ oder auch dem Schweizer „Magazin“. Demnach hatte Trump über Monate eine digitale Geheimtruppe beschäftigt, die ihn nach allen Regeln der Kunst unterstützte. Sie bestand aus Psychologen, Marketingspezialisten und Nerds, sie wurde geleitet von seinem engsten Vertrauten Jared Kushner, dem 35 Jahre alten Immobilientycoon und Ehemann seiner Tochter Ivanka. Er brachte offenbar genau das mit, was dem Präsidentschaftskandidaten so dringend fehlte: „Jared verstand die Online-Welt in einer Weise, wie es den traditionellen Medien-Leuten nicht gelang“, sagt ausgerechnet Eric Schmidt, der frühere Google-Chef und Unterstützer der digitalen Kampagne von Hillary Clinton. „Er schaffte es, mit kleinem Budget eine Präsidentschafts-Kampagne zu starten und mit neuester Technologie zu gewinnen. Das ist ein großes Ding.“
Was selbst den Google-Mann in Erstaunen versetzte, war die kompromisslose Ausbeutung der Nutzerprofile von Millionen Amerikanern für wahlpropagandistische Zwecke. Während die Welt noch über den Einfluss von „Fake News“ auf das Wahlergebnis debattiert, wird offenbar, dass Kushner eine ganz andere Dimension der neuen Netzwelt erschlossen hat. „Ich habe einige meiner Freunde aus dem Silicon Valley angerufen, die besten Vermarkter der Welt, und gefragt, wie wir unsere Sache besser skalieren können“, verriet Kushner dem amerikanischen Magazin „Forbes“, dessen Journalisten als einzige mit dem öffentlichkeitsscheuen Multi-Millionär sprechen konnten, „und sie haben mir ihre Dienstleister verraten.“
Drei Ebenen der digitalen Vermarktung
Die Kushner-Truppe nutzte drei maßgebliche Ebenen der digitalen Vermarktung: das gewaltige Datenwissen über die Online-Nutzer des Landes, einen psychologischen Filter zur Kategorisierung der Einstellungen einzelner Wähler und die modernen Distributionstechnologien für zielgerichtete Werbung im Internet. All das mit höchster Intensität und einem überragenden Ziel: die Adressaten mit Hilfe von Facebook emotionaler zu berühren als mit traditionellen Massenkampagnen im Internet und Fernsehen.
Das Dilemma klassischer Kampagnen sind stets die hohen Streuverluste: Etliche Menschen fühlen sich abgestoßen oder reagieren gleichgültig. Dabei ging es Protestwählern oftmals um eine dominante Angelegenheit. Einige wollten verhindern, dass ein Demokrat auf den frei gewordenen Richterstuhl am Supreme Court gelangt. Anderen ging Obamas Gesundheitsreform total gegen den Strich. Wieder andere wollten muslimische Einwanderung stoppen.
Um all diese Partikularinteressen präziser adressieren zu können, heuerte Kushner eine Datenfirma an, Cambridge Analytica. Die Spezialisten gehören zu dem britischen Beratungskonzern SCL Group, der bekannt ist für seine Techniken der psychologischen Kriegsführung im Anti-Terrorkampf. Zudem hatte Cambridge Analytica zuvor bereits versucht, sich als Beistand der Brexit-Befürworter in Großbritannien zu profilieren. Die Firma bot für den amerikanischen Wahlkampf einen Wissensschatz Orwellscher Dimension an: In jahrelanger Arbeit wollen sie psychologische Profile von mehr als 230 Millionen erwachsenen Amerikanern gesammelt haben – also fast aller potentiellen Wähler.
Gelungen war ihnen das mit einer simplen Taktik: Sie hatten auf Facebook massenhaft die bei vielen Online-Nutzern beliebten Persönlichkeitstests ausgespielt. Viele hunderttausend Nutzer machten mit und hinterließen so ein detailliertes psychologisches Profil. Über klassische Matching-Technologien der Online-Vermarktung – wer sich im Netz ähnlich verhält, ist auch von ähnlichen Interessen geleitet – kam eine gewaltige Datenbank zustande. Die Nutzer wurden darüber hinaus kategorisiert nach den fünf sogenannten Ocean-Faktoren, also emotionale Labilität, Begeisterungsfähigkeit, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Cambridge Analytica behauptet, dass es über jeden erfassten Nutzer 3000 bis 5000 Datenpunkte gespeichert hat.
Nun galt es, diesen Nutzern hochpersonalisierte Botschaften zuzuspielen, die unter Berücksichtigung ihrer psychologischen Disposition und ihrer Interessen geeignet waren, ihre Wahlentscheidung zu beeinflussen. Kushner hatte mittlerweile an die hundert Spezialisten in einem unscheinbaren Bürogebäude am Rand der texanischen Großstadt San Antonio versammelt, die eine gewaltige Social-Media-Kampagne in Gang setzten. Die Ängstlichen unter den Wählern bekamen Botschaften über steigende Kriminalität, farbigen Amerikanern wurden verunglückte Aussagen von Clinton zugespielt, in denen sie Schwarze als „Super-Raubtiere“ bezeichnet hatte. Zeitweise will das Datenteam mehrere zehntausend verschiedene und oft nur leicht abgeänderte Aussagen auf Facebook geposted haben. Das geschah über ein neues Facebook-Angebot für Werbende, die sogenannten „Dark Posts“, die nur ausdrücklich dafür markierte Nutzer erreichen.
Nüchterne Rhetorik funktioniert in der Aufregungssphäre nicht
War es früher für den Gewinn einer Wahl wichtig, sich die Übermacht in Radio und Fernsehen zu verschaffen, so bewiesen Kushners Leute nun, dass es mittlerweile darum geht, die sozialen Netzwerke zu dominieren, mit allen zur Verfügung stehenden Technologien. Nichts eignet sich heute besser zur Verbreitung von Empörung und Zorn. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die fortschrittlichste Kommunikationstechnik der Menschheit nicht primär ein Medium der Aufklärung ist, sondern ein Werkzeug für den Austausch emotionaler Botschaften. Allen populistischen Bewegungen ist gemein, dass sie auf Facebook weitaus mehr Fans haben als die etablierten Parteien. Nüchterne Rhetoriker wie Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier funktionieren in diesen digitalen Sphären der Aufregung schlicht nicht.
Was Kushners Team vorgemacht hat, wird nicht das Ende der Entwicklung sein. Dafür wird allein schon Stephen Bannon sorgen, Trumps Chefstratege und ranghöchster Berater, der wie keiner seiner Vorgänger mit den neuen Propagandatechnologien vertraut ist. Bannon saß bisher im Board von Cambridge Analytica und befehligte zudem die „Breitbart“-Seite. Kaum vorstellbar, dass er die im Wahlkampf erprobten Strategien nicht weiter einsetzen wird.
Ebensowenig ist vorstellbar, dass Europas Bewegungen des Zorns die Techniken der zielgerichteten Emotionalisierung ignorieren werden. Zwar ist der Datenschutz strenger, doch bisher hat noch keine Partei die schon jetzt weitgehenden Möglichkeiten des sogenannten Targetings konsequent genutzt.
Die Zukunft der politischen Kommunikation zeichnet sich bereits ab. Sie wird sich parallel zu den Technologien entwickeln, die derzeit für die Welt der Online-Vermarktung oder auch der Online-Medien absehbar sind. Alles deutet auf eine weitere Personalisierung in Ansprache und Information hin. Wie bei so vielen neuen Entwicklungen ist die Technologie selbst dabei neutral, sie ist nicht mehr als ein immer intelligenteres Werkzeug. Entscheidend ist, mit welcher Intention sie eingesetzt wird: Im Dienste von echter Aufklärung, für gewöhnliche Werbung, mit der klaren Absicht, politische Propaganda zu verbreiten oder gar mit einer desinformatorischen Intention, um einen Staat oder eine Gesellschaft zu destabilisieren. Das Fatale ist, dass sie gleichermaßen als nützliches Tool wie als destruktive Waffe genutzt werden kann.
Während bei diesem Wahlkampf die Verbreitung der Botschaften über die klassischen Formen der Online-Nutzung erfolgten, also über Schrift, Bild und Video, könnte der nächste Wahlkampf geprägt sein durch die neuen digitalen Assistenten – intelligente Mikrofon-Lautsprecher für den Wohnzimmertisch. Sie werden derzeit von allen großen Digital-Konzernen mit großer Energie entwickelt. Amazon, Google und Apple haben ihre besten Köpfe damit beauftragt, die künstliche Intelligenz hinter den bisher eher rudimentär anmutenden Assistenten zu verbessern. Für viele in den Spitzen der Digitalkonzerne ist das die nächste Revolution. Für Kushners Truppe wäre es das Werkzeug schlechthin: eine Art super-personalisiertes Radio. Jeden Morgen ein neuer Leitspruch von Trump, konfiguriert und vom Audio-Assistenten rechtzeitig zum Frühstück vorgetragen. Es wäre Facebook übertragen in die Audio-Welt, es wäre die akustische Filterblase. Schöne neue Politik-Welt. Man braucht nur Leute wie Kushner und Bannon, um die Chancen zu heben.
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