Der Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, Bastian Hermisson, hat auf dem Grünen-Parteitag in Münster wenige Tage nach dem Wahlsieg Donald Trumps eine aufrüttelnde Rede gehalten. Sie fand mehr Aufmerksamkeit als die Reden der Parteiprominenz.
Herr Hermisson, Sie haben nach der Wahl von Donald Trump massiv vor den Folgen für Deutschland gewarnt. Sind Sie immer noch so beunruhigt wie bei Ihrer Rede auf dem Parteitag in Münster? Oder hat sich das gelegt?
Die Beunruhigung ist nicht geringer geworden. Angesichts der Personalentscheidungen von Donald Trump und seines Stils, die Regierungsgeschäfte anzugehen, muss man gleichermaßen besorgt und wachsam sein. Er hat an allen Institutionen vorbei seinen Wahlkampf geführt. Und es deutet sich jetzt an, dass er an den Institutionen vorbei auch die Regierungsgeschäfte führen will. Trump bringt den extremen Narzissmus, der ihn auszeichnet, in dieses Amt ein und scheint mehr Interesse an kleinlichen Twitter-Streitereien als an Sicherheits-Briefings zu haben. Die demokratische Kontrollfunktion der Medien lehnt er ab und verweigert sich jeder Transparenz, beispielsweise was die Vermischung seiner Geschäftsinteressen mit dem Amt angeht. Wladimir Putin hingegen scheint in vielerlei Hinsicht sein Vorbild zu sein.
Wie ist ansonsten die Stimmung in der deutschen Community von Washington, mehr als einen Monat nach der Wahl?
Auf der einen Seite gilt es jetzt natürlich, abzuwarten, was von dem Wahlkampfgetöse Realität wird. Auf der anderen Seite gibt es durchaus Besorgnis, was einige Grundfesten der transatlantischen Beziehungen betrifft. Stichwort Bündnis-Politik und die Frage der Verpflichtungen im Rahmen der Nato. Oder Stichwort Klimapolitik. Das sind für Deutschland existenzielle politische Fragen.
Apropos Folgen: Sind die Verhältnisse in beiden Ländern überhaupt vergleichbar?
In vielerlei Hinsicht sind sie nicht vergleichbar. Gott sei Dank, aus deutscher Sicht. Während sich die amerikanische Politik zunehmend polarisiert hat, sind die Parteien in Deutschland in der Mitte immer mehr zusammen gerückt. Wir haben auch noch eine größere Stabilität in der Medienlandschaft, gerade was die öffentlich-rechtlichen Anstalten angeht. In den USA erreichen etablierte Medien einen relevanten Teil der Bevölkerung gar nicht mehr.
Sie haben in Münster gesagt, nicht zuletzt die Grünen müssten ihre kommunikative Blase verlassen. Was genau wollten Sie denn damit sagen?
Es geht nicht nur um die Grünen, sondern um unsere gesamte Gesellschaft. Es ist ja nicht verkehrt, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. In den USA sind aber gerade viele Trump-Wähler nur noch in ihren eigenen Informationsblasen unterwegs. Da haben die etablierten Medien ihre Funktion als Informationsvermittler verloren. Das ist eine Gefahr, wenn diese Leute ihr Weltbild nur noch aus stark gefärbten Informationen und teilweise aus Falschnachrichten und Lügen zusammensetzen.
Und das ist in Deutschland nicht so?
In Deutschland ist die Gesellschaft noch nicht so stark gespalten, aber auch bei uns gibt es Teile der Gesellschaft, die sich anscheinend von den demokratischen Parteien nicht repräsentiert fühlen, die den professionellen Medien misstrauen und die sich dann ihrerseits abgrenzen. Um die zu erreichen, sind gerade die progressiv eingestellten Teile der Bevölkerung gefordert, einschließlich der Parteien, aus ihren eigenen Diskursräumen raus zu kommen und aktiv auf diese Leute zuzugehen, online und offline – selbst wenn das anstrengend ist. Wir müssen denen zuhören, rausfinden, was uns eint, und klar argumentieren, wo wir – bei allem Respekt und aller Empathie – Demokratie und Grundwerte infrage gestellt sehen.
Was bedeutet das konkret?
Das fängt mit dem Gespräch mit den eigenen Nachbarinnen und Nachbarn an oder mit dem Liken, Lesen und Kommentieren andersgesinnter Medien und Gruppen auf Facebook. Zum Urlaub auf’s Land fahren, statt um die halbe Welt zu fliegen. Oder sich in lokalen Vereinen und Initiativen engagieren. Was die Parteien betrifft, geht es darum, möglichst breite Teile der Bevölkerung zu erreichen und nicht nur die eigene Klientel – von der Sprache her und auch mit neuen Formaten. Hillary Clinton zum Beispiel hat eine Zuhör-Tour durch die ganzen USA gemacht. Daraus ist eine Reihe von politischen Initiativen entstanden, die sie vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Das war richtig, auch wenn sie die Wahl damit nicht gewonnen hat.
Es gibt in Deutschland die durchaus auch selbstkritische These, die Linken hätten gleichsam die Rechtsdrift zu verantworten – durch ein Zu-viel an politischer Korrektheit. Stimmen Sie dem zu?
Alle müssen sich fragen, was sie besser machen können, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die offenen Gesellschaften zu erhalten. Aber die linke Selbstkritik geht mir an manchen Stellen zu weit. Der Begriff „Politische Korrektheit“ als Kampfbegriff der Rechten ist ja nichts anderes als Korrektheit, nichts anderes als Respekt vor dem Gegenüber und der Menschenwürde aller. Das gebietet es, Mexikaner nicht als Vergewaltiger zu bezeichnen, wie Trump das getan hat. Die Diskriminierung von Gruppen darf in einer Demokratie nicht geduldet werden.
Was kann geduldet werden?
Es braucht eine größere Anstrengung, zwischen politisch Gewolltem und Notwendigem zu unterscheiden. Mein fünfjähriger Sohn sagt, wenn ich meine: „Wir müssen los.“, „Nein, Papa, wir müssen nicht. Du willst.“ Ich denke, auch in der Demokratie gibt es Dinge, die will man. Andere existenzielle Dinge müssen sein.
Eine andere These lautet, die Linken hätten zu sehr auf die Rechte von Minderheiten gepocht und zu wenig auf soziale, sprich materielle Gleichheit.
In den USA ist die soziale Frage zentral. Es gibt eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich und eine dramatische wirtschaftliche Spaltung zwischen ländlichen Regionen und urbanen Zentren. Aber ich denke, es ist falsch, sozialen Fortschritt auszuspielen gegen kulturellen Fortschritt. Wer Kritiker fragt, wo denn die Förderer kulturellen Fortschritts konkret zu weit gegangen seien, der bekommt keine konkreten Antworten. Bei der Gleichstellung von Frauen? Es gibt immer noch gravierende Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Oder bei der Ehe für alle? Die ist ja in Deutschland immer noch nicht Realität – obwohl sie sozial Benachteiligte nichts kostet. Ich denke, es geht bei kulturellem Fortschritt im Sinne von Gleichheit vor dem Gesetz und gleichen Chancen in der Gesellschaft vor allem darum, besser deutlich zu machen, dass es hier nicht um die Durchsetzung von Gruppeninteressen geht, sondern um gleiche Rechte für alle.
Aber ist es nicht trotzdem ein Problem, dass Leute, die in Georgetown oder Prenzlauer Berg leben und denen es da gut geht, den Leuten, denen es in Detroit oder Marzahn schlecht geht, auch noch sagen, dass sie bitte schön bei der gegenderten Sprache mithalten sollen? Und dass diese Leute vielleicht denken: „Lasst uns mit Eurem Mist in Ruhe. Wir haben ganz andere Sorgen.“
Wenn das allein im Vordergrund stünde, wäre das vielleicht so. Aber bei Clintons Kampagne war das nicht der Fall. Sie hatte umfassende Vorschläge für Sozialreformen. Das Bild, das von den Demokraten entstand, war gleichwohl, dass sie die weiße Arbeiterklasse kaum mehr berücksichtigten. Die Frage ist also, wie Antidiskriminierung besser als Teil von umfassender Inklusion vermittelt werden kann. Es darf nicht um ein Ausspielen wirtschaftlich Abgehängter gegen gesellschaftlich Diskriminierte gehen. Fest steht aber auch: Vieles, was wir über lange Zeit für selbstverständlich hielten, ist in Teilen der Gesellschaft, auch in Deutschland, nicht mehr selbstverständlich, also das gemeinsame Europa, die Grundregeln unserer Demokratie, die Grundrechte. Der gesellschaftliche Konsens darüber muss ständig neu erarbeitet und begründet werden.
Blüht uns ein deutscher Trump, wenn das alles nicht gelingt?
2017 wohl nicht. Das hängt auch mit der relativen Stabilität unserer Institutionen zusammen. Aber die Frage ist, inwieweit ein zunehmend rechtsnationalistischer Diskurs in Europa die etablierten Parteien dazu bringt, solche Positionen zu übernehmen und Grundpfeiler der Bundesrepublik wie beispielsweise die feste Verankerung in der Europäischen Union infrage zu stellen.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Seit wann sind Sie jetzt eigentlich in den USA?
Derzeit seit zwei Jahren. Insgesamt habe ich sechs Jahre meines Lebens hier verbracht; es waren mit die schönsten Jahre.
Haben Sie seit Trumps Wahl manchmal Fluchttendenzen?
Amerikanische Freunde haben solche Gefühle schon geäußert. Ich habe sie nicht. Es gilt jetzt erst recht, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit in diesem Land einzustehen. Und meine Kinder sind deutsch-amerikanische Doppelstaatler. Es geht auch um ihre Zukunft.
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