Demokratie in Amerika: die Republikaner in der Sackgasse
In den USA steht die Republikanische Partei vor einem historischen Entscheid: Entweder öffnet sie sich künftig für Wähler mit Migrationshintergrund, oder sie folgt weiter dem Trumpschen Ethnonationalismus. Letzteres aber dürfte der Demokratie schaden.
Demokratien sind nur dann lebens- und entwicklungsfähig, wenn sie glaubhaft mit der Akzeptanz der in Wahlen unterlegenen Parteien, Politiker und Wähler rechnen können und wenn diese sich ungeachtet hart geführter Wahlkampagnen darauf verlassen können, dass sie eines Tages wieder die politischen Geschicke massgeblich mitgestalten werden.
Seit dem Wahlsieg von Trump gilt dieses Selbstverständnis nicht mehr. Was Amerika heute durchlebt, ist eine Atrophie des politischen Diskurses, in deren Gefolge politische Gegner zu Feinden mutieren, politische Normen und Sitten verrohen und der politische Gegner zum Abschuss freigegeben und seiner Humanität beraubt wird. Für Trump und seine Wähler sind die Demokraten «‹animals›, denen jegliches menschliche Attribut fehlt»; das Einzige, was das Land davon abhalte, im Chaos zu versinken, sei seine Präsidentschaft.
Mehrheit wurde zur Minderheit
Als vorläufiger Höhepunkt in diesem neuen politischen Umfeld muss Trumps Twitter-Rundumschlag im Vorfeld des Impeachments gewertet werden. Dieses Impeachment, so Trump, sei nichts anderes als ein Coup, mit dem der Wählerwille, die Freiheit, die christliche Religion, das von der Verfassung garantierte Recht auf Waffenbesitz, die Grenzmauer zu Mexiko sowie die gottgegebenen Rechte amerikanischer Staatsbürger pervertiert würden – das Impeachment werde das Land in einen Bürgerkrieg stürzen, von dem es sich nie erholen werde.
Was hat zu diesen Auswüchsen geführt? Der Globalisierungsstress, die postindustrielle Wirtschaft, die wachsende Ungleichheit, der Einfluss der sozialen Netzwerke, die demografische Aussortierung der Wahlkreise, die demagogischen Provokationen des Präsidenten? Die USA erleben zurzeit Veränderungen, die bisher noch keine wohlhabende und stabile Demokratie durchlebt hat. Die historisch dominante Gruppe wird zur Minderheit, und die bisherigen Minderheiten fordern für sich bisher verwehrte Rechte und alle damit einhergehenden Privilegien ein. In den letzten beiden Jahrhunderten waren die meisten Amerikaner weiss und Christen. Dieses Amerika existiert jedoch nicht mehr. Wie werden diese Amerikaner reagieren, wenn tektonische ethnische und religiöse Veränderungen das Land völlig umkrempeln, wenn der nichtweisse Teil Amerikas die Mehrheit bilden wird?
Bereits 2002 kamen der Politikwissenschafter Ruy Teixeira und der Journalist John Judis in ihrem Buch «The Emerging Democratic Majority» zu dem Schluss, dass Amerika im Zuge der demografischen Veränderungen eine neue progressive Ära erleben werde, in deren Folge die Republikaner zur permanenten Minderheitspartei würden. Zehn Jahre später, nach der Wiederwahl von Barack Obama 2012, sagten sie gar, die Mehrheit der Demokraten sei unumkehrbar. Eine Einschätzung, die das Republican National Committee (RNC) in seiner Wahlanalyse teilte und zum Anlass nahm, die Republikanische Partei aufzufordern, sich den neuen Wählergruppen, insbesondere Hispanics, Asiaten, Pazifikern, Afroamerikanern, Indigenen, Frauen und der Jugend, zu öffnen. Andernfalls, so ihr Fazit, könne der Partei sehr bald der Makel einer permanenten Minderheitspartei anhaften.
Dann aber kam die Wahl von Donald Trump, die Analysen und Empfehlungen landeten in der Schublade. Mit einer rückwärtsgewandten Strategie zielten nunmehr alle Bemühungen darauf ab, die strukturellen Vorteile, die das Electoral College den Republikanern gibt, zu wahren, kritische Wählergruppen systematisch von den Wahlurnen zu verbannen und das Gerrymandering (das Ausnutzen der Wahlkreiseinteilung) zu instrumentalisieren mit dem Ziel, legislative Mehrheiten mit Minderheitsvoten abzusichern.
Simple Arithmetik
Eigentlich sind die USA in ihren Grundfesten ein konservativ ausgerichtetes Land. Konservative können in einem offenen Werte- und Prinzipienwettbewerb durchaus gegen das liberalere Amerika bestehen. Dass die konservativen Republikaner allerdings auf Dauer in einem Wettbewerb um die Wählergunst obsiegen können, der reduziert wird auf pure Identitätszugehörigkeit, muss alleine schon wegen der simplen Arithmetik bezweifelt werden. Ab einem gewissen Punkt sind Wahlen mit diesem Kalkül nicht mehr zu gewinnen. Es sei denn, die bisherigen demokratischen Spielregeln werden ausser Kraft gesetzt.
Trump hat die Republikaner in eine Sackgasse geführt, die ihn seine Wiederwahl kosten kann. Die Herausforderung für alle demokratischen Kräfte bei den Republikanern, insbesondere für wertkonservative Vertreter vom Schlage eines John McCain und eines Mitt Romney, ist es jetzt, die konservativen Wähler darin zu bestärken, dass der drohende Verlust politischer Führungsaufgaben immer temporär ist und dass selbst ihr vorübergehender Verlust immer noch attraktiver ist als das Abdriften des Landes in einen autoritären Staat. Es gilt also, die rechtsradikalen, chauvinistischen Elemente der amerikanischen Wählerschaft, die sich als Verteidiger der vergangenen Zivilisation sehen, einzubinden in eine neu zu konstituierende wertkonservative Partei, die nicht allein zur Verhinderung eines möglichen temporären Machtverlusts das demokratische Regierungssystem aufs Spiel setzt.
Wann immer die Trump-Präsidentschaft zu ihrem Ende kommt, die Republikanische Partei wird vor derselben Wahl stehen, die ihr die RNC-Wahlanalyse nach Romneys Niederlage 2012 prophezeit hat: Entweder sie stellt sich den neuen Realitäten und öffnet sich den Wählern mit Migrationshintergrund, oder sie folgt weiter den konservativen Ideen und Prinzipien des Trumpschen Ethnonationalismus.
Daher geht es im November 2020 um mehr als um die nächste Präsidentschaft: Es geht um nicht weniger als die Zukunft der amerikanischen Demokratie. Wenn es nicht gelingt, republikanische Wähler mehrheitlich davon zu überzeugen, dass demokratische Wahlen ihnen auch in einem ethnisch durchmischten Amerika immer den Weg zum politischen Erfolg offen halten werden und dass Wahlniederlagen nicht gleichbedeutend sind mit dem Verlust ihrer Bürgerrechte, dann wird die Trump-Präsidentschaft lange über ihr eigentliches Ende fortdauern – zum Schaden für Amerikas Demokratie.
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