Es ist zu früh, um zu wissen, wer der nächste amerikanische Präsident wird. Wie viele vorhergesagt haben, kann es wegen des hohen Anteils an Frühwählern in entscheidenden Bundesstaaten, deren Stimmen noch nicht ausgezählt sind, noch Tage dauern, bis wir wissen, ob Joe Biden oder Donald Trump eine Mehrheit der Wahlmännerstimmen gewonnen hat.
Dennoch gibt es einige Erkenntnisse, die jetzt schon klar sind. Die wichtigste ist: Es hat keinen Erdrutschsieg von Joe Biden gegeben, die Amerikaner haben dem Trumpismus also nicht, wie viele gehofft hatten, eine kraftvolle Absage erteilt. Selbst wenn Biden das Rennen am Ende noch gewinnen sollte – und auch das ist fraglich.
Dann hat Trump in der Wahlnacht abermals gezeigt, dass er ein Demagoge ist, der seine eigenen Interessen über die des Landes stellt. Er hat sich zum Sieger erklärt, obwohl die Wahl alles andere als entschieden ist. Und so zu tun, als würde die anhaltende Auszählung aller abgegebenen Stimmen einen Wahlbetrug darstellen, wie Trump es vor den Kameras tat, oder dass Demokraten seinen angeblichen Wahlsieg stehlen wollen, ist einmalig in der amerikanischen Geschichte.
Es offenbart abermals die autokratischen Tendenzen Trumps und seine Missachtung demokratischer Regeln und Prozesse. Trump zündelt hier mit dem Feuer und bereitet den Boden für mögliche Gewaltausbrüche seiner Anhänger, falls Biden die Wahl gewinnen sollte. Das ist undemokratisch und verantwortungslos.
Dabei hat Trump, selbst wenn er verlieren sollte, Erstaunliches erreicht. Er hat erneut die Umfrageinstitute widerlegt und deutlich besser abgeschnitten, als die vorausgesagt hatten – und das, obwohl die ihre Modelle nach 2016 angepasst hatten.
Es ist ihm auch gelungen, noch mehr Wähler zu mobilisieren als 2016, was unter anderem die Annahme widerlegt, dass eine hohe Wahlbeteiligung stets in die Hände der Demokraten spielt. Der Präsident hat es auch geschafft, zumindest eine Hälfte des Landes davon zu überzeugen, dass die Corona-Pandemie kein so großes Problem ist und dass er der richtige Mann ist, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Er hat auch deutlich zugelegt bei hispanischen Wählern, was zeigt, dass nicht alle Minderheiten so eindeutig im demokratischen Lager stehen, wie die Linke oft annimmt.
Trump hat all das erreicht, obwohl das Land sich weiter in einer medizinischen und wirtschaftlichen Krise befindet, was in normalen Zeiten gegen einen amtierenden Präsidenten sprechen würde. Dass er trotz Pandemie weiter große Massenveranstaltungen abgehalten hat, während Biden sich zurückhielt, hat sich offenbar ausgezahlt. Trump hat sich jedenfalls abermals als starker Wahlkämpfer gezeigt, der im Endspurt noch etwas reißen kann.
Das wäre eigentlich ein guter Grund für Trump, stolz zu sein, selbst wenn niemand weiß, ob es am Ende erneut zum Sieg reichen wird. Seine absurden Äußerungen über angeblichen Wahlbetrug werfen aber einen großen Schatten auf das erstaunliche Comeback des Präsidenten.
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