Der neue US-Präsident setzt die altbekannte Außenpolitik Amerikas wieder in Betrieb. Darin liegt viel Verlässliches. Revolutionen müssen nun andere machen.
Joe Biden drückt sich nicht besonders präzise aus, wenn er die Rückkehr der USA in die Weltpolitik verspricht. Von Rückkehr kann keine Rede sein. Die USA waren nie verschwunden, sie sind immer Teil der Weltpolitik, ganz gleich wer im Weißen Haus sitzt. Wer über knapp zehn Millionen Quadratkilometer Landfläche und Küsten an zwei Ozeanen verfügt, wer 328 Millionen Menschen beherbergt, 21 Billionen Dollar volkswirtschaftlich umwälzt und 738 Milliarden Dollar für sein Militär ausgibt – der ist ein Faktor in der Welt.
Freilich ist es ein Unterschied, ob sich diese Macht mit Hilfe Donald Trumps oder des nun amtierenden Präsidenten austobt. In seiner grundstürzenden Art war Trump vermutlich der aktivste Außenpolitiker, den die USA in den vergangenen Jahrzehnten der Welt angetan haben. Es war die Angst vor der Unberechenbarkeit, die Amerikas Macht in dieser Zeit ausmachte. Richard Nixons Madman-Theorie – die Angst vor der Irrationalität zwingt alle zur Rationalität – wurde unter Trump in mehrfacher Hinsicht erfolgreich getestet.
Auch wenn die Welt nun auf die Biden-Revolution in den internationalen Beziehungen hofft: So dramatisch anders als seine Vorgänger (minus Trump) wird Biden ins Weltgeschehen nicht eingreifen. Das zeigt sein erster außenpolitischer Aufschlag, mit dem er routiniert die größten Irrlichtereien seines Vorgängers korrigiert (Truppenabzug aus Deutschland, Militärhilfe für den Jemen-Krieg) und ansonsten den richtigen und altbekannten Ton setzt.
Allerdings hat sich die Welt weiterentwickelt, während die US-Außenpolitik ihre Trump-Auszeit nahm. Drei Themen wurden dabei für Europa von größter Bedeutung: Erstens hat sich Putins Russland in eine gefährliche Sackgasse manövriert. Eine Politik der arroganten Nichtbeachtung wie unter Barack Obama ist Biden nicht mehr möglich. Zweitens braucht es für die raumgreifenden Ambitionen Chinas eine abgestimmte Strategie zwischen der EU und den USA. Hier offenbart sich die größte Kluft in Wahrnehmung und Analyse.
Eine Baustelle für Joe Biden wird Europa sein
Die dritte Biden-Baustelle wird Europa selbst sein. Dieses Europa gibt sich gerade mächtig selbstbewusst und schwört Stein und Bein, dass es nun endlich erwachsen und selbständig sein werde. Präsident Emmanuel Macrons Wort von der strategischen Autonomie wird in Seminaren auf seine akademische Tragfähigkeit getestet und für tauglich befunden.
Beim ersten Lüftchen fällt diese viel beschworene Autonomie aber wieder in sich zusammen. Sei es Nord Stream, die Impfpolitik, das Ringen um Einfluss auf dem Balkan, der Umgang mit der Türkei, Libyen – Europa ist selbstverständlich kein monolithischer Akteur. Und der eigentliche Test steht unmittelbar bevor, wenn in Deutschland ein neuer Kanzler gewählt wird, der nicht über die Integrationskraft und die Glaubwürdigkeit seiner Vorgängerin verfügen kann.
Das ist die alte Welt für den neuen US-Präsidenten. Auch wenn sie in Amerika immer gerne auf die Trümmerlandschaft im Inneren zeigen, umweht vom Pesthauch des Demokratiezerfalls: Die USA werden selbstverständlich als Gestaltungsmacht auftreten, auch in und für Europa. Die Regierung hat gar keine andere Wahl. Sie hat lediglich die Wahl der Mittel – und die werden bei Biden wenigstens weniger revolutionär sein als bei seinem Vorgänger.
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