Embarrassing Pose or Political Punk?

 

 

<--

Peinliche Pose oder politischer Punk?

»The medium is the message« – »Das Medium ist die Botschaft«, mit diesem berühmten Slogan des Medientheoretikers Marshall McLuhan ordnete die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ihr Erscheinen auf der diesjährigen Met-Gala ein, der jährlichen Spendengala des Metropolitan Museum of Art. Ein Satz, der auf vielen Ebenen richtig ist – oder eben auch nicht.

Am Montagabend fand wieder das exklusive Schaulaufen prominenter und wohlhabender Menschen in New York statt. Am meisten sorgte die Demokratin Ocasio-Cortez für Aufsehen. In ihrem schulterfreien, weißen Satinkleid erinnerte sie an eine Braut, der rote Teppich hier der glamouröse Weg zum Altar.

Doch symbolisierte ihr Gewand keineswegs eine Vermählung mit der New Yorker Oberschicht, zu der sie aufgrund ihres politischen Aufstiegs längst zwangsläufig zählt. Denn auf der weißen Kleidwand stand in großen roten Lettern über Rücken, Po und Beine geschrieben: »Tax the Rich« – Besteuert die Reichen. Bei einer Veranstaltung, deren Eintrittskarten um die 35.000 Dollar pro Person kosten, wobei noch 200.000 bis 300.000 Dollar für eine Tischreservierung hingelegt werden müssen, allen Anwesenden mit dem eigenen Dress zu kommunizieren, dass man speziell sie zur Kasse bitten möchte, ist – eine Kampfansage. Das Fashion Statement war auch Statement Fashion.

Es gibt mindestens drei Möglichkeiten, solch einen performativen Akt zu bewerten: als peinliche Pose, als politischen Punk oder als professionellen Protest.

Zuvor hatte Ocasio-Cortez bereits selbst versucht – schließlich ist sie Internetprofi –, erwartbare Kritik zu entkräften. In den sozialen Medien verkündete sie, dass sie zum einen nicht selbst für die Eintrittskarte bezahlen muss, da Politiker und Politikerinnen zur Met eingeladen werden, und zum anderen war das Kleid geborgt, nicht gekauft. Hier kann man ihr also keinen bigotten Widerspruch zwischen Forderung und Handeln vorwerfen.

Aber dennoch wirkte etwas zu gefällig, zu harmlos an diesem textilen »Tax the Rich«-Tritt ins Gesicht der Gastgeber. In ihrem Instagram-Post verkündet sie, dadurch »die Türen der Met aufzustoßen«, denn die Zeit sei reif für Kinderbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Klimamaßnahmen für alle. Aber mit der Form ihrer Botschaft rannte sie höchstens Türen ein, die schon weit offen standen. Türen, die ihr begeistert geöffnet wurden, aus Dankbarkeit für vorzeigbare Gesellschaftskritik in Satin. Alle Anwesenden, inklusive sie selbst, wussten, dass ihr Imperativ keine echten Konsequenzen für die Gäste hat – denn sonst würde man sie niemals einladen. Mit einer echten Bedrohung machen Reiche und die Met keine Selfies.

Es war die maßgeschneiderte Nicht-Provokation für diesen Abend: ein Luxusprotest auf einer Luxusveranstaltung gegen Luxusmenschen, für die Aktivismus gern auch ein instagramtaugliches Accessoire ist. Insofern hat Ocasio-Cortez alles absolut richtig gemacht, da sie die Met-Gala, die hier Medium wie auch Botschaft ist, hundertprozentig verstanden und nach den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie für sich genutzt hat.

»Don’t hate the player, hate the game«, heißt es. Hasse nicht den Spieler, hasse das Spiel beziehungsweise die Regeln. Ist also meine Kritik an der reinen Performativität ihres politischen Auftritts im Rahmen einer ansonsten lapidaren Veranstaltung unfair und modisch kleinkariert?

Eine Aussage ließ mich aufhorchen. »Wir begannen ein Gespräch darüber, was es bedeutet, eine Frau of Color aus der Arbeiterklasse auf der Met-Gala zu sein«, sagte die Kongressabgeordnete auf dem roten Teppich der »Vogue«, und sie erklärte weiter: »und wir sagten uns, dass wir nicht einfach mitspielen können, sondern die vierte Wand durchbrechen und einige der Institutionen infrage stellen müssen. Und während die Met für ihr Spektakel bekannt ist, müssen wir eine Auseinandersetzung darüber haben.«

Ocasio-Cortez ist sich über ihre eigene Vereinnahmung im Klaren und hat in diesem Bewusstsein versucht, mit den Regeln des Spiels ihr eigenes zu spielen – und hat genau dadurch das der Met gespielt. Es geht hierbei nicht um das Auflösen performativer Widersprüche und das Finden der durchgehenden kohärenten Superaktivistin, das wäre ehrlich gesagt auch gruselig. Wir erinnern uns an Greta Thunbergs Atlantiküberquerung auf einem Segelboot, die durch die umständliche Logistik, die nötig war, um ihr Team zu transportieren, durchaus umweltproblematisch war – aber darum ging es auch nicht, sondern um die Bilder.

Ist Haltung die neue Handtasche?

Vielleicht spricht aus mir eine Ernüchterung über das symptomatischere Problem mit gesellschaftlichem Engagement, das sich in eine Verwertungslogik einordnet, um wirken zu können. Protestierende müssen nicht nur von ihrer Sache überzeugt sein, sie müssen werbliche Selbstvermarkter ihrer Causa werden, um genau die Menschen von ihren Inhalten zu überzeugen, die eben nicht mit Politik belästigt werden möchten. Diese Beziehung funktioniert beidseitig gut, solange die Angesprochenen glauben, dass sich nichts für sie zum Negativen ändern wird. Aber jetzt, wo die Wirtschaft gesellschaftspolitisches Engagement als Ressource entdeckt hat, befinden sich engagierte, öffentliche Figuren im Distinktionsdilemma:

Wie sehr macht sich ein Aktivist, eine Politikerin, ein Demonstrant zum Werbekörper der eigenen politischen Inhalte, wenn Politik als Lifestyleprodukt beworben wird? Ist Haltung die neue Handtasche? AOCs Auftritt war hierbei der perfekte Schaulauf dieser Entwicklung, der Aushebelung politischen Protests durch dessen Ausverkauf. Wir erinnern uns an die von unterbezahlten Näherinnen produzierten Fast-Fashion-T-Shirts auf denen »Feminist« prangte. Der US-Sender CBS präsentiert ab Oktober eine neue Realityshow, The Activist, in der Aktivisten um Geld für ihr Engagement kämpfen können. Marktgiganten wie Amazon und Netflix entdecken Gesellschaftspolitik in ihrer Besetzungslogik, deutsche Privatsender ihr soziales Bewusstsein in Form kritischer Aufklärungsformate und neuer politischer Talkshows.

Vorläufiger Höhepunkt des industriellen Protest-Komplexes ist nun eine elitäre, formfixierte Spektakelveranstaltung wie die Met-Gala, auf der Model Cara Delevingne auf ihrem Oberteil »Peg the Patriarchy« fordert, »Hebelt das Patriarchat aus«, und die Chefredakteurin der »Teen Vogue«, Versha Sharma, ihre Clutch mit dem Imperativ »Kill the Filibuster« präsentiert.

Die performative Politisierung ist das Must-have dieser Saison, schön, aber nicht subversiv, öffentlich, aber nicht wirksam, und durch nur vermeintliches Infragestellen des Status quo den Status quo beibehaltend. Also alles eher Botschaften ohne Message.

About this publication