“Männer, die Männer schützen, die Frauen missbrauchen”
Der US-Frauenfußball wird von einem Missbrauchsskandal erschüttert. Er zeigt, wer selbst in der als fortschrittlich geltenden Liga die Macht hat: Männer.
Schützt die Spielerinnen. Das ist nun überall zu lesen. Auf Twitter genauso wie auf einem Transparent beim Heimspiel der Portland Timbers gegen Inter Miami am Sonntag, einem Spiel der Herren – alle Partien der Frauenliga in den USA waren fürs Wochenende abgesagt worden. In Portland, wo auch das Frauenteam Thorns FC zu Hause ist, hing noch ein zweites Banner: “Glaubt, unterstützt und schützt die Spielerinnen der NWSL” stand darauf. Die NWSL ist die National Women’s Soccer League.
Der Verband wird erschüttert durch einen Missbrauchsskandal. Der lässt kaum Zweifel daran, dass den Athletinnen, die den Mut hatten, an die Öffentlichkeit zu gehen, geglaubt werden muss. Dass sie und alle anderen geschützt werden müssen. Es ist auch ein Skandal, der zeigt, wie Machtstrukturen in einem vermeintlich progressiven und führenden Verband verlaufen. Und was das wiederum über die US-amerikanische Erzählung aussagt, dass der Sport für jede und jeden Rettung und Aufstiegschance sein kann.
“Männer, die Männer schützen, die Frauen missbrauchen. Ich sage es noch einmal: Männer, die Männer schützen, die Frauen MISSBRAUCHEN. Brennt alles nieder. Lasst all ihre Köpfe rollen.” Was war passiert, dass Superstar Megan Rapinoe, die bekannteste Fußballerin des Landes, die auch schon mal bei Joe Biden im Weißen Haus zu Gast ist, um für Lohngleichheit zu kämpfen, auf Twitter dazu aufrief, das gesamte Ligasystem zum Einstürzen zu bringen?
Ende vergangener Woche veröffentlichten die Washington Post und das Sportmagazin The Athletic unabhängig voneinander Recherchen über Missbrauch in der Frauenprofiliga. Paul Riley, Coach der North Carolina Courage, soll Meleana Shim und Sinead Farrelly sexuell belästigt und Shim zum Sex gezwungen haben. Und das über Jahre, wie die Spielerinnen offenbaren. “Ich fühlte mich unter seiner Kontrolle”, sagte Farrelly. Sie beendete bereits 2016 ihre Karriere. Auch Meleana Shim spielt nicht mehr. Sie schilderte unter anderem die Situationen, in denen Riley sie in seine Wohnung zitierte, um Spiele auszuwerten, und dabei lediglich eine Unterhose trug. Riley, der die Vorwürfe bestreitet, wurde von seinem Verein entlassen und die Liga entzog einem ihrer bekanntesten Coaches die Lizenz.
Richie Burke, Trainer des Washington Spirit, soll über Jahre hinweg Spielerinnen emotional misshandelt und beschimpft haben. “Er sorgte dafür, dass ich Fußball hasste”, sagte Kaiya McCullough der Post. Sie verließ das Team im vergangenen Jahr, weil sie es nicht mehr aushielt. Andere Spielerinnen bestätigen das drakonische Regiment des Trainers. Auch Burke wurde nun entlassen. Am Dienstag kündigte Steve Bladwin, Besitzer des Teams an, zurückzutreten. Die Spielerinnen sollen im einem Brief seinen Abgang gefordert haben.
Die Liga will die Vorwürfe untersuchen. Allerdings gibt es Berichte, wonach vor allem die Vorwürfe gegen Riley schon lange bekannt waren. Alex Morgan, neben Rapinoe eine über die Fußballwelt hinaus bekannte Spielerin, veröffentlichte auf Twitter Beschwerde-E-Mails und die abmoderierende Antwort von NWSL-Chefin Lisa Baird.
Auch Baird musste mittlerweile zurücktreten. Die US Soccer Federation kündigte am Sonntag an, Sally Yates, stellvertretende Generalstaatsanwältin unter Ex-Präsident Barack Obama, solle die Vorwürfe untersuchen. Auch die Fifa will sich mit dem Skandal befassen.
“Sie wussten es”
Doch können diese Ermittlungen helfen, um Missbrauch und systematische Ungleichbehandlung zu beenden, oder braucht es einen kompletten Neuanfang? Auch die ehemalige Weltfußballerin Abby Wambach schrieb über den Verband und seine Führung: “Sie wussten es.”
Anders als in Deutschland ist Frauenfußball in den Vereinigten Staaten beliebter als Männerfußball. Das Nationalteam wurde 2015 und 2019 Weltmeister. Das Finale 2019 sahen laut dem austragenden Sender Fox Sport etwa 14,3 Millionen US-Zuschauer. Das Finale der Männer 2018 schauten 11,4 Millionen. Rapinoe, die Teil des Nationalteams war und sich offen gegen den damaligen Präsidenten Donald Trump aussprach, wurde zum nationalen Star und Vorbild für Gleichstellung. Verdiente aber wie alle Athletinnen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen, obwohl die sportliche Bilanz der Frauen besser ist.
Schon 2019 berichteten US-Medien, dass der Frauenfußball im Land gewinnbringender ist als Männerfußball. Im September dieses Jahres kündigte die Soccer Federation schließlich an, Frauen wie Männern gleiche Verträge anbieten zu wollen. Doch eine finanzielle Gleichstellung – und ein Verbandsversprechen ist nur ein geringer Teil neben Vereins- und Sponsorenverträgen – bedeutet noch lange keine Gleichstellung in allen Machtfragen des Sports.
Der Skandal zeigt brutal, dass in einer Liga, die damit wirbt, Frauen ermächtigen und stärken zu wollen, immer noch männliche Dominanz regiert und Athletinnen als Sportlerinnen zweiter Klasse wahrgenommen werden. Es ist ein Skandal, der weit über den Fußball hinausreichen könnte. Denn es zerstört das Bild vom Sport als rettendes Element in der Gesellschaft. Es ist eine Variante des US-amerikanischen Traums: Selbst wer aus einfachen Verhältnissen kommt, kann es zu Ruhm, Respekt und Reichtum bringen, wenn er oder sie nur gut genug Körbe wirft, Bälle passt oder Tore schießt.
Nachdem Giannis Antetokounmpo im Juli mit den Milwaukee Bucks den NBA-Titel gewonnen hatte, erzählte er davon, wie er als Junge mit seiner Mutter als Straßenverkäufer gearbeitet hatte, ohne große Perspektive, ohne Heimat. Doch wer an seine Träume glaube, könne es schaffen. Der 26-Jährige mit griechischen und nigerianischen Wurzeln schauspielerte das nicht.
Profisport verspricht auch Mädchen im Land alles, hält es aber vielfach nicht ein. Männliche Athleten verdienen mehr, spielen zu besseren Fernsehsendezeiten, was die Werbeerlöse erhöht, haben bessere Sponsorenverträge und mehr Privilegien. Die Fußballerinnen gehören zu einer der am besten organisierten Frauenligen in den Vereinigten Staaten, aber bis auf wenige Ausnahmen ist auch deren Führung genau wie die Vereinsführungen männlich dominiert.
Erste Risse hatte das allzu schöne Sportmärchen bekommen, als der Arzt der US-Turnerinnen, Larry Nassar, wegen hundertfachen Missbrauchs überführt und 2018 verurteilt worden war. Auch dort soll der Verband jahrelang seine Machenschaften gedeckt haben. Unter den weit mehr als 100 Opfern ist auch Simone Biles. Biles ist eine der starken Stimmen ihres Sports, Rapinoe ist es nun für ihren. Ohne die prominenten Stimmen, die Machtverhältnisse verschieben können, sind Systemwandel schwer, vielleicht unmöglich.
Die Basketballerin Breanna Stewart war wie Giannis Antetokounmpo bereits die wertvollste Spielerin ihrer Liga und brach Punkterekorde. Doch sie ist die erste Athletin in mehr als zehn Jahren, die einen eigenen Schuh designt bekommt. Bei den Männern hatten allein in der vergangenen Saison 18 Spieler einen eigenen Schuhdeal. Stewarts Puma-Kollektion heißt Overdue, überfällig. Es sind auch diese ungleichen finanziellen Voraussetzungen und die Angst, das zu verlieren, was man als Profisportlerin erreicht hat, das Athletinnen schweigen lässt. Was Trainern, Ärzten und ganzen Verbänden die Kontrolle auf allen Ebenen garantiert. Ein Schweigen, das Meleana Shim, Sinead Farrelly und Kaiya McCullough für ihren Sport durchbrochen haben.
Megan Rapinoe teilte Stewarts Ankündigung auf Twitter und schrieb darüber “LFG”: Let’s fucking go. Es ist immer noch ein weiter Weg.
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