The Trust Is Gone

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Das Vertrauen ist weg

Gerade noch mal gut gegangen: Joe Biden war gewählt, Donald Trumps Zeit vorbei. Dann griff ein gewaltbereiter Mob das Kapitol in Washington an. Seither ist alles anders.

Es gibt diese Momente, die man im Leben beinahe verpasst, um sich dann später, vielleicht für immer, an jedes Detail zu erinnern: die Struktur des funktionalen, derben Stoffsofas im Hotelzimmer, der Laptop auf den Knien, die Aussicht auf den heruntergekommenen Parkplatz. Es war die Normalität eines Korrespondentinnen-Arbeitstages, durchbrochen von den immer drängender klingenden Stimmen der Nachrichtenmoderatoren, denen ich bis dahin keine große Beachtung geschenkt hatte, denn auf CNN ist immer irgendetwas drängend.

Ich war in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia, um von der dortigen Stichwahl für die zwei Senatssitze zu berichten, die über die Kontrolle des Senats in Washington entscheiden würden. In der Nacht zum 6. Januar 2021 gewannen Jon Ossoff und Raphael Warnock, beides Demokraten. Der Tag fing gut an für alle, die sich nach vier Jahren Donald Trump einen politischen Wandel gewünscht hatten, fast euphorisch. Es war alles noch einmal gut gegangen. Joe Biden würde ins Weiße Haus einziehen und die Mehrheit im Kongress haben.

Bei aller Anspannung in den Monaten des Wahlkampfs war immer ein Grundvertrauen spürbar gewesen, dass die Demokratie in den USA siegen würde – zumindest in den Unterhaltungen mit denen, die gegen Trump kämpften. Amerika gibt nie auf, sich selbst schon gar nicht. Diese Resilienz habe ich immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Verwunderung beobachtet.

An diesem Mittwoch im Januar lief der Fernseher in meinem Hotelzimmer, weil Noch-Präsident Trump angekündigt hatte, zu seinen Anhängerinnen und Anhängern, die seine Niederlage nicht akzeptieren wollten, zu sprechen. Nach Trumps trotziger Weigerung, Biden als künftigen Präsidenten anzuerkennen, war niemand so naiv, diesem Tag in Washington keine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich rechnete, während ich über den neuen demokratischen Hoffnungsträger Ossoff schrieb, mit Unwahrheiten in Trumps Rede, mit aggressivem Protest seiner Anhänger, vielleicht mit Handgreiflichkeiten in den Nebenstraßen, mit Frust und großer Polizeipräsenz; dem mittlerweile Üblichen eben. Aber eigentlich war die Wahl für Trump ja verloren, der Kongress auf dem Weg, um Bidens eindeutigen Sieg zu bestätigen. Was sollte da noch Entscheidendes passieren?

Der Text über Jon Ossoff erschien nie.

“We’re in”

Es war kurz nach 14 Uhr, als der 6. Januar zu einem Tag wurde, der die Vereinigten Staaten entscheidend veränderte. In einem unfassbaren Chaos durchbrachen Freaks, gemeinsam mit dem average Joe, neben dem ich in unzähligen Wahlkampfveranstaltungen gestanden hatte, die Barrieren vor dem Kapitol und stürmten in das Gebäude. “Wir sind drin, wir sind drin. Los geht’s.” Knapp fünf Stunden dauerte der Angriff auf das Gebäude – der Sturm im ganzen Land hat sich seither nicht gelegt.

Vom derben Sofa aus versuchte ich, kommentierend in Worte zu fassen, was passiert war. Lange gelang es mir nicht, ich blickte immer wieder auf den Fernseher, auf die sich wiederholenden Bilder. Auf die Aggression, die Gewalt, die Zerstörung. Plötzlich fühlte ich mich als Reporterin am völlig falschen Ort, obwohl er am Morgen noch genau richtig gewesen war, denn hier hatte sich die kurzfristige politische Zukunft des Landes entschieden. Aber die Distanz half auch zu fassen, was ich nicht begreifen wollte.

Alles fühlte sich falsch an

Ich wartete auf eine Reaktion von Trump, auf eine eindeutige Aussage, dass dieser Angriff auch für ihn eine Grenzüberschreitung war. Obwohl ich eigentlich ahnte, dass das nicht passieren würde. Denn diese Aktion zahlte geradezu ein auf alles, was Trump in den vergangenen Monaten gesagt und getan hatte. Die heilige Verfassung? Ihm egal. Seine eigene Macht? Allein darum geht es ihm. Das Grundvertrauen, dass am Ende alles gut gehen würde, gab es auf einmal nicht mehr.

In diesem Moment war es schwer, nüchtern auf ein Land zu blicken, das mir eine zweite Heimat ist. Hier bin ich mit so vielen Menschen verbunden, habe eine American Mom, wie alle meine Freundin Ann nennen. Sie schrieb mir aus Ohio nur eine besorgte Frage: “Wo bist du gerade?” Zeit, sie zu fragen, wie es ihr während des Angriffs ging, hatte ich nicht. Ich war selbst schockiert und rettete mich in meine Arbeit. Wie sollte es ihr erst gehen beim Anblick der Menschen, die das Kapitol zerstörten, ihr Kapitol, ihre Heimat!

Später sprachen wir darüber sowie mit vielen anderen auch. Und immer noch führen wir diese Gespräche über die Zerbrechlichkeit der amerikanischen Demokratie, über die Rolle der Republikanischen Partei, über die Spaltung, die Identitäten und über eine Zukunft, in der nicht mehr garantiert ist, dass sie von einem Präsidenten geführt wird, der der Verfassung und den Grundsätzen der Demokratie verpflichtet ist.

Am nächsten Morgen saß ich mit einer Kollegin und Freundin am Flughafen in Atlanta, um den ersten Flieger zurück in die Hauptstadt zu nehmen. Es war ein schöner Morgen, wir starteten in einen Postkarten-Sonnenaufgang, aber alles daran fühlte sich falsch an. In Washington dann sicherten gepanzerte militärische Geländewagen den Flughafen, auch daran fühlte sich alles falsch an. Die Stadt war eine Hochsicherheitszone, das Kapitol, in dem der Kongress in der Nacht um 3.42 Uhr Bidens Sieg dann doch bestätigt hatte, war abgeriegelt. An das Kreisen von Hubschraubern ist man in Washington gewöhnt, aber in den Tagen bis zur Amtseinführung hörte es gar nicht mehr auf. Und überall hingen Fahndungsfotos, der Mob sollte zur Rechenschaft gezogen werden.

Heute ermittelt das FBI immer noch, mehr als 160 Menschen haben sich schuldig bekannt, mehr als 700 wurden festgenommen, nach 350 wird noch gefahndet. Auch ein Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses arbeitet den Tag auf. Die sichtbaren Zeichen des gewaltsamen Aufstands verschwanden mit der Zeit. Die Soldaten der Nationalgarde, die zum 24-Stunden-Schutz auf dem Boden des Kapitols schliefen, zogen sich zurück, die Barrieren vor dem Gebäude und dem Weißen Haus wurden in Teilen abgebaut, die Geräusche der Hubschrauber wurden seltener.

Jeder Tag ein 6. Januar

Die politischen Folgen dieses 6. Januars jedoch sind bleibend. Für Trump, für große Teile der Republikanischen Partei und für Millionen Menschen im Land ist seither jeder Tag ein 6. Januar. Der Angriff war für sie nur ein Anfang im Kampf für ein Amerika, wie sie es sich vorstellen.

“Die Republikanische Partei muss eine Entscheidung treffen: Wir können gegenüber unserer Verfassung loyal sein oder gegenüber Donald Trump. Aber nicht beides.” Das sagte Liz Cheney kürzlich, die von der Partei so gut wie verstoßene Konservative, die sich gegen Trump und seine Lüge vom gestohlenen Wahlsieg stellt und gegen die Verharmlosung des Aufstands vor einem Jahr.

Auf allen Ebenen der Republikanischen Partei haben Politikerinnen und Politiker seit einem Jahr diese Entscheidung wieder und wieder getroffen. Und zwar für Trump. Gegen die Verfassung. Sie reden den Angriff auf das Kapitol klein, sie unterstützen Trump, indem sie seine Lügen nicht als solche benennen, sie sind bereit, mit antidemokratischen Mitteln wieder an die Macht zu kommen. Wer, wie sie, manchen Menschen den Zugang zu Wahlen bewusst erschweren will, schert sich nicht mehr um die Demokratie.

Während meiner Reisen durch die Vereinigten Staaten nach dem 6. Januar 2021 hat es, egal um welche Recherche es in Oregon, Texas, Wyoming oder South Carolina ging, kaum ein Gespräch gegeben, das sich nicht irgendwann um die Frage drehte: Hält Amerika das aus? Hält die Demokratie das aus?

Darauf gibt es eine sorglose Antwort von all jenen, denen es vor allem um ihre Macht geht, ihren Vorteil, ihre Vorstellung von Amerika. Eine Antwort, die nichts damit zu tun hat, wie alle Menschen in diesem großen Land zusammenleben und die Gesellschaft mitgestalten können. Und es gibt eine sorgenvolle Antwort darauf, die voller Unsicherheit und Angst ist, dass die Demokratie das alles nicht aushält. Eine Antwort derer, die verstanden haben, dass die Erleichterung nach Bidens Vereidigung zwei Wochen nach dem Sturm auf das Kapitol nur eine Illusion war.

Nicht wiederzuerkennen

Wie ich das alles den Leserinnen und Lesern in Deutschland erklären würde, fragte mich meine Freundin Ann viele Monate nach dem 6. Januar. Da waren die zerbrochenen Glasscheiben des Kapitols längst ersetzt, doch niemand glaubte mehr, dass alles noch mal gut gegangen sei. Denn Trump macht weiter mit seinen Lügen, mit seinen Manipulationen und auch mit seinem Spendensammeln. Dass er noch einmal antreten wird, damit kokettiert er permanent. Und seine Partei spielt weiter mit. Die Rede von der one united nation, dem vereinten Amerika, ist nur noch eine verkommene, irrelevante Phrase amerikanischer Selbstvergewisserung.

Vielleicht ist es das, was ich zu erklären versuche: Es gibt nicht mehr das eine Amerika. Wir müssen uns endgültig trennen von einer Vorstellung von den USA, die wir so gut zu kennen geglaubt hatten. Zwei Tage vor dem ersten Jahrestag des 6. Januars bekam ich nach Deutschland eine Postkarte aus Ohio: “Dein anderes Zuhause vermisst dich.” Auch ich vermisse meine zweite Heimat. Aber ich habe auch Angst, irgendwann nicht mehr in die USA fahren zu wollen, weil ich sie nicht mehr wiedererkenne.

Der 6. Januar 2021 hat schonungslos offengelegt, was in Amerika derzeit geschieht. Es ist etwas endgültig auseinandergebrochen, das der Wahlsieg von Biden über Trump nicht zu retten vermag. Weil ein Teil der Gesellschaft diese Rettung gar nicht will. Weil die Idee eines national-autoritären Staates in den Vereinigten Staaten viele nicht mehr erschreckt, sondern elektrisiert. Amerika ist ein anderes Land geworden.

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