They Are Resigning in Droves

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Arbeitslosigkeit als Verheißung: Ausgerechnet in den USA geben immer mehr Menschen ihre Jobs auf, es sind so viele Stellen frei wie nie zuvor. Was ist da los?

Welcher Berufstätige hat nicht schon einmal davon geträumt, mit einem “Ich kündige!” seinen Job einfach hinzuschmeißen? Immer mehr Amerikaner träumen nicht nur davon, sondern verlassen tatsächlich den regulären Arbeitsmarkt. Seit dem Frühjahr 2021 haben mehr als 33 Millionen freiwillig ihre Kündigung eingereicht, ein Phänomen, das hier als “Great Resignation” bekannt wurde. Viele suchen sich einen neuen, besseren Job. Denn die Wirtschaft in den USA ist trotz der hochansteckenden Virusvarianten Delta und Omikron seit dem vergangenen Herbst auf Erholungskurs und Arbeitgeber suchen dringend nach Bewerbern. Die Arbeitslosenquote lag im vergangenen Monat bei 3,8 Prozent – im Februar 2020, bevor die Pandemie die USA in eine Rezession schickte, hatte sie bei 3,5 Prozent gelegen.

Kaum ein Restaurant, Laden oder Fabriktor, an dem nicht ein “Help-Wanted”-Schild hängt. Auch in Schulen, Kindertagesstätten, bei Speditionen und in Lagerhallen – quer durch alle Branchen fehlt Personal wie nie zuvor. Die Zahl der offenen Stellen im Januar belief sich laut dem Bureau of Labor Statistics auf 11,3 Millionen, so viele wie noch nie. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein Teil der Aussteiger offenbar keine Lust mehr auf eine reguläre feste Stelle hat. Ein Blick auf die Entwicklung der Erwerbsquote zeigt das, sie misst den Anteil der Erwerbstätigen und derjenigen, die eine Erwerbstätigkeit suchen, an der Bevölkerung im Alter über 16 Jahre. Sie ist um 1,1 Prozent geschrumpft. Demnach sind trotz des heiß gelaufenen Arbeitsmarkts immer noch 1,8 Millionen US-Bürger weniger in einem Angestelltenverhältnis als noch vor der Pandemie.

Die Älteren bleiben einfach zu Hause

Ein großer Teil des Rückgangs der Erwerbsquote ist auf die über 65-Jährigen zurückzuführen. In den USA wollen oder müssen viele Ältere weiter arbeiten, doch angesichts von Covid-19, das vor allem für diese Altersgruppe gefährlich ist, bleiben viele offenbar lieber zu Hause.

Schwerer zu erklären ist der ebenfalls statistisch messbare Rückzug der Arbeitnehmer zwischen 45 und 54 Jahren und der jungen Generation zwischen 25 und 34 Jahren. Die “Great Resignation” verblüfft Ökonomen, Personalabteilungen und Medien. Bis vor Kurzem gehörte die Frage nach dem Job zu den wenigen Themen, die beim Smalltalk noch unproblematisch waren. “Hard working” zu sein, war ein großes Lob und etwas, dass Amerikaner anspornte. Doch jetzt erfreuen sich Internetforen wie der Subreddit “Antiwork” wachsender Beliebtheit. Das Motto des Forums lautet: “Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen”. Im Oktober waren dort 180.000 Nutzer gemeldet, heute sind es über 1,8 Millionen.

In ihren Beiträgen berichten Teilnehmer oft von ausbeuterischen und ungerechten Vorgesetzten. Etwa der Reddit-Forist, der sich ChknShtOutfit nennt, der für wochenlange Überstunden und Mehreinsatz als Belohnung eine Pizza spendiert bekam. Oder die Kellnerin, die schildert, wie der Restaurantmanager den einzigen Mann im Team befördert, der erst wenige Wochen dabei ist, statt eine der zwölf langjährigen weiblichen Angestellten. Zwar spielt die Bezahlung nach wie vor die größte Rolle bei Kündigungen. Doch die Gefühle, keine Chance auf Weiterentwicklung zu haben und schlecht behandelt zu werden, sind fast ebenso so wichtig, wie eine Umfrage des Pew Research Center ergab. Sogenannte Idler erklären in dem Forum, wie sie zwar immer noch angestellt sind, jedoch ihren Job im Leerlauf absolvieren und tatsächlich nur das Mindeste leisten, um nicht gefeuert zu werden.

Andere Foristen setzen statt eines festen Gehalts auf gig work – kurze Projekte oder Tätigkeiten als Selbständige und Subunternehmer. Es ist sicher kein Zufall, dass die Zahl der Selbständigen im Land zehn Millionen erreicht hat – rund 400.000 mehr als noch vor Covid-19. Die “Post Paycheck Economy”, nannte das Wall Street Journal den massenhaften Abschied vom Gehaltsscheck kürzlich.

Ein Interview wie ein Autounfall

Doreen Ford, eine Pionierin der “Antiwork”-Bewegung, arbeitete jahrelang im Einzelhandel, bis die heute 30-Jährige sich entschied, stattdessen ihre Liebe zu Hunden auszuleben und ihren Lebensunterhalt als dog walkerin zu verdienen. Ford war eine der prominentesten Moderatorinnen des Subreddit “Antiwork” – bis sie im Januar dieses Jahres Fox News ein Interview gab, das der reaktionäre Sender unter der Schlagzeile “Der Krieg gegen Arbeit” laufen ließ.

Selbst Zuschauer, die Fords Einstellungen teilen, beschrieben das Livegespräch als einen “car crash”, einen medialen Unfall. Ford, die sich selbst als autistisch bezeichnet, erschien schlecht ausgeleuchtet und nicht zurechtgemacht vor ihrer Computerkamera in ihrem unaufgeräumten Zimmer. Ihr Gegner – als Interviewpartner kann man den Fox-Moderator Jesse Watters wohl kaum bezeichnen – brauchte drei Minuten und 23 Sekunden, um sie auf die Karikatur einer faulen, einfältigen Vertreterin der Millennial-Generation zu reduzieren. Ihre Reddit-Gemeinde fühlte sich von ihr verraten und sie verlor ihre Rolle als Moderatorin. Das Forum wurde sogar kurze Zeit für die Öffentlichkeit gesperrt und war nur noch Mitgliedern zugänglich.

Doch Populisten wie Watters übersehen in ihrer Schadenfreude, dass hinter Ford und anderen “Antiwork”-Teilnehmern ernst zu nehmende Fragen an das herrschende Wirtschaftssystem stehen. So populär ist die “Antiwork”-Bewegung inzwischen, dass die Investmentbank Goldman Sachs in einer Analyse davor warnte, der Arbeitsmarkt könnte langfristige Folgen davon tragen. Zumal die Sinnkrise schon lange vor dem Ausbruch von Covid-19 begonnen hat. In seinem Buch Bullshit Jobs kritisierte der Anthropologe David Graeber 2018, bei einem Großteil der heutigen beruflichen Tätigkeiten handle es sich um sinnentleerte Beschäftigungen, die psychologisch schädlich seien. Graeber, der 2020 starb, war einer der Mitinitiatoren der “Occupy-Wall-Street”-Aktionen, die oberflächlich ohne langfristige gesellschaftliche Wirkung blieben. Vielleicht geht der Wunsch vieler Unternehmer, konservativer Politiker und Ökonomen in Erfüllung, dass mit der Pandemie auch die Revolte der amerikanischen Beschäftigten wieder einschläft. Aber es besteht die Chance, dass vor allem die Jüngeren sich nicht mit ein paar Dollar abspeisen lassen. Dass sie einen ganz anderen American Dream von Selbstbestimmung träumen.

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