Einsame Spitze bei der Leichtathletik-WM
Die USA sind die erfolgreichste Leichtathletik-Nation. Doch die eigenen Landsleute nehmen ihre herausragenden Sportler kaum wahr, selbst vor der nun beginnenden WM. Doch auch in Deutschland muss sich etwas tun.
Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die an diesem Freitag beginnen und am Wochenende in den Sprints der Männer und der Frauen die ersten Höhepunkte im Programm haben, finden in einem Entwicklungsland statt: den Vereinigten Staaten. Zum ersten Mal seit der Premiere dieser Titelkämpfe in Helsinki 1983 – vorher verstanden die Leichtathleten Olympische Spiele als ihre Weltmeisterschaften – treten die erfolgreichsten Leichtathleten der Welt vor ihrem eigenen Publikum an.
169 Titel und 380 Medaillen haben Läuferinnen und Läufer, Werfer und Springer, Mehrkämpfer und Staffeln aus den Vereinigten Staaten bei den 17 Weltmeisterschaften bisher gewonnen. Das ist mehr als doppelt so viel wie das aus DDR und Bundesrepublik addierte statistische Deutschland geholt hat, Nummer zwei des kumulierten Medaillenspiegels. In den bevorstehenden zehn Tagen werden Amerikanerinnen und Amerikaner mit herausragenden Erfolgen voraussichtlich ihren Vorsprung vergrößern, während im deutschen Team allein Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo als Titelkandidatin gilt.
Die Hoffnung ruht auf Eugene in Oregon
Allerdings müssen die Leichtathleten Amerikas hoffen, dass ihr Heimpublikum sie und ihre Leistungen überhaupt bemerkt. Stars dieser Sportart sind in Amerika große Unbekannte. Alle vier Jahre, zu Olympia, erlaubt das amerikanische Sportpublikum ihnen, von der Serienunterhaltung abzulenken, die American Football, Basketball und Baseball bieten. Außerhalb der Sommerspiele aber führt die Kernsportart Olympias ein Dasein am Rand. Die Hochschulen, allen voran die Universität von Oregon in Eugene, und Sponsor Nike sichern der Leichtathletik in Amerika ihre Existenz.
Oft werde sie ungläubig gefragt, ob sie das wirklich beruflich mache, erzählt Stabhochspringerin Sandy Morris, Zweite der Olympischen Spiele von Rio 2016, Weltmeisterschafts-Zweite von London 2017 und Doha 2019 sowie zwei Mal Hallen-Weltmeisterin. Ob sie davon wirklich leben könne. Olympiasieger Mondo Duplantis, der Überflieger des Stabhochsprungs der Männer, lebt in beiden Welten. In Schweden, der Heimat seiner Mutter, für die er im Sport antritt, wird er auf der Straße erkannt. In Amerika, wo er geboren und aufgewachsen ist und über den Winter lebt, könne er sich, wie er nonchalant sagt, einer weitgehenden Anonymität erfreuen.
Nicht nur Sportlerinnen und Sportler hoffen, die Leichtathletik und damit sich selbst ins Scheinwerferlicht zu rücken. Auch World Athletics, der Weltverband unter Führung des Briten Sebastian Coe, will das Potential dieses Marktes endlich erschließen. Siege amerikanischer Athleten reichen dafür offenkundig nicht aus. Die Hoffnung ruht auf der kleinen Universitätsstadt Eugene in Oregon und deren Leichtathletik-affinem Publikum.
Track Town/USA nennen sie ihre Stadt, die Hochburg und Epizentrum der amerikanischen Leichtathletik ist. Wenn vom Hayward Field mit dem prächtigen neuen Stadion die Stimmung überspringt auf die Fernsehzuschauer, dürfte dies den Weltverband nicht nur wirtschaftlich erleichtern. Auch das zweifelhafte Verfahren, mit dem die WM nach Amerika vergeben wurde, dürfte, wenn Eugene 2022 ein Fest wird, nachträglich legitimiert werden.
Europa ist von dieser WM weitgehend abgehängt. Der Zeitunterschied von neun Stunden zwischen der amerikanischen Westküste und Zentraleuropa schiebt die spannendsten Entscheidungen für das Publikum der Alten Welt in die sehr, sehr frühen Morgenstunden. Viele werden nicht den Wecker dafür stellen, sondern ausschlafen. Auch für das Publikum gilt es, Kraft zu sammeln für die Europameisterschaften in München. Diese dürften in Deutschland und Europa größere Resonanz finden als die WM, auch wegen der besseren Erfolgsaussichten. Doch auch hier muss der Leichtathletik dringend etwas einfallen gegen ihren Mangel an Präsenz und Relevanz.
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