Die Ukraine-Hilfe der USA ist einstweilen gesichert, aber Europa darf sich nicht zu lange darauf verlassen
Der Besuch von Präsident Selenski in Washington war folgerichtig. Der Kongress hat soeben die grosse Hilfe an die Ukraine bis weit ins nächste Jahr bewilligt. Doch der Support wird ab dem nächsten Jahr ungewisser werden. Die Europäer sollten sich bereithalten dafür, notfalls einzuspringen.
Kurz vor Weihnachten ist der Administration Biden die Sicherung ihrer Finanzierung bis im kommenden September gelungen. Dafür hat sie die allerletzte Chance genutzt, bevor die Republikaner im Januar die Mehrheit im Abgeordnetenhaus übernehmen werden – mit der Absicht, möglichst alles zu blockieren, was die demokratische Administration ihnen vorlegen wird.
Dieser Erfolg der Demokraten ist umstritten. Auf der Negativseite steht eine Ausgabensteigerung von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese ist wenig geeignet, um den anhaltenden Inflationsdruck im Inland zu bekämpfen. Entgegen allen Beteuerungen liegen den meisten Politikern die Sonderinteressen wichtiger Wähler- und Lobbygruppen jeweils näher als die Geldwertstabilität. Da gibt es kaum Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten.
Die Senatoren sorgen für Stabilität
Besonders für internationale Beobachter, die nicht zur Finanzierung des amerikanischen Staates beitragen müssen, steht allerdings ein Teil des Ausgabengesetzes auf der Positivseite: das neue Unterstützungspaket von 45 Milliarden Dollar für die Ukraine. Die Finanzierung von Wirtschaftshilfe, Waffen- und Munitionslieferungen ist damit bis zum Ende des kommenden Sommers gesichert. Ohne dieses Gesetz wäre die Ukraine-Hilfe im neuen Jahr wohl rasch zum Spielball innenpolitischen Ringens geworden, mit dem Risiko gefährlicher Verzögerungen und Unsicherheiten für die ukrainischen Soldaten an der Front.
Zwar stehen grosse Teile sowohl der Demokraten wie der Republikaner hinter der grosszügigen Unterstützung des Weissen Hauses für den Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasoren. Das spiegelt sich im deutlichen Stimmenverhältnis von 68:29 bei der Abstimmung über das Gesetz im Senat, in dem die Demokraten bloss 50 Sitze haben. Viele republikanische Senatoren haben sich das Votum ihres Vorsitzenden, Mitch McConnell, zu Herzen genommen: «Der wichtigste Grund für die anhaltende Unterstützung der Ukraine im siegreichen Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren sind harte, praktische amerikanische Interessen.»
McConnell hat recht. Die insgesamt auf gegen 100 Milliarden Dollar kletternde Ukraine-Hilfe der USA ist gut investiertes Geld. Die Niederlagen und gewaltigen Verluste, welche die russische Armee an der Front hinnehmen muss, reduzieren Putins Gefahrenpotenzial für Frieden und Wohlstand in den USA und Europa. Nirgendwo sonst könnte eine solche Summe ähnlich hohe Effekte erzielen.
Die Einheit wird brüchiger werden
Es ist beeindruckend, wie breit sich diese Einsicht bisher in der sonst so polarisierten amerikanischen Bundespolitik durchgesetzt hat. Doch es ist ungewiss, wie sich diese Einheit im nächsten Jahr entwickeln wird, angesichts der knappen republikanischen Mehrheit und des Drucks nationalkonservativer Trump-Anhänger im Abgeordnetenhaus. Die Ukraine-Hilfe dürfte künftig umstrittener sein und öfter als Pfand für politische Konzessionen eingesetzt werden.
Das ist ein Grund mehr für Europa, sich nicht zu bequem auf die USA zu verlassen. Dass Präsident Selenski seine erste Auslandreise seit dem russischen Überfall vom 24. Februar nach Washington unternommen hat, ist eine logische Folge der grossen amerikanischen Unterstützung, ohne die es in der Ukraine heute ganz anders aussehen würde. Doch eigentlich ist diese Reise eine Schmach für Europa.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Selenskis natürliche Verbündete in Berlin, Brüssel oder Paris sein müssten. Doch weil von dort viel weniger Hilfe in die Ukraine fliesst, musste er den weiten Weg nach Washington unternehmen. Es ist höchste Zeit, dass die Europäer in Selenskis Reiseplänen in den Vordergrund rücken. Denn was für die USA richtig ist, gilt für sie noch viel mehr: Sie haben das grösste Eigeninteresse daran, dass die russische Aggression in Osteuropa durch eine schlagkräftige ukrainische Armee zurückgewiesen wird.
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