The Mother of All Turnabouts

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Die Mutter aller Kehrtwenden

von Christian Schütte

Barack Obama bereitet seinen Kurswechsel in der Irakpolitik vor. Zum Glück. Denn alles andere würde die mühsam gewonnene Stabilität im Irak gefährden – und Glaubwürdigkeit zu Hause.

Die Bilanz seines ersten Monats als De-facto-Präsidentschaftskandidat der Demokraten ist eindeutig: Barack Obama verhält sich so elastisch wie jeder andere Politiker auch. Er wechselt Positionen und Loyalitäten, wann immer ihm das machtpolitisch notwendig erscheint.

Strittig zwischen Obama-Feinden und Obama-Fans ist nur, ob das jetzt eine schlechte oder eine gute Nachricht ist – verachtenswerter Opportunismus oder bewundernswerter Realitätssinn.

Eine gute Nachricht ist es in jedem Fall für den Irak. Denn der detaillierte Fahrplan für einen schnellstmöglichen Truppenabzug, mit dem Obama im vergangenen Herbst seine Kampagne als Präsidentschaftsbewerber begann, passt schlicht und einfach nicht mehr zur Lage, die sich deutlich verbessert hat.

Hält Obama noch weiter an seinem alten, rigiden Abzugsversprechen fest, dann riskiert er nicht nur die Glaubwürdigkeit bei den konservativen Demokraten und parteiungebundenen Wählern, auf die er für den Wahlsieg im November angewiesen ist. Er gefährdet auch die mühsam gewonnene Stabilität in der Region und damit letztlich außenpolitisches Kapital, das er als Präsident dringend brauchen würde.

Die ersten Korrekturen in der Irakpolitik hat sein Lager denn auch in den vergangenen Tagen schon signalisiert. Am Ende wird er den Wählern und der Welt ein Deutungsmuster anbieten, das ihm selbst größtmögliche Flexibilität lässt. Und das es auch erlaubt, etwaige weitere Verbesserungen im Irak auf das eigene politische Konto zu buchen.

Wandel in Serie

Dass er sich durch Prinzipientreue nicht unnötig behindern lässt, hat Obama zur Genüge gezeigt. Seine wahlkämpferische Kritik am Nafta-Freihandelsabkommen hat er zuletzt ebenso einkassiert wie sein Nein zu einem umstrittenen Abhörgesetz. Für die Todesstrafe und das Recht auf Waffenbesitz entwickelte er kürzlich neue Sympathien. Sein langjähriges Bekenntnis zur regulierten Wahlkampffinanzierung aus Steuermitteln zog Obama zurück, sobald klar wurde, dass er selbst deutlich mehr private Spendengelder erhalten wird als sein republikanischer Gegenkandidat John McCain.

Und auch von seinem radikalen langjährigen Pastor hat er sich vollständig losgesagt – obwohl er zunächst noch in einer gefeierten Rede erklärt hatte, er könne sich von Jeremiah Wright so wenig distanzieren wie von der eigenen Großmutter. Obamas Popularität hat das alles bisher nicht geschadet.

Sicher: Das Thema Irak hat noch einmal eine ganz andere Bedeutung. Nafta, Spenden oder Pastor Wright sind für Obama-Anhänger lediglich Nebensache. Der Ruf nach schnellstmöglichem Truppenabzug war und ist einer der Kernpunkte seiner Kampagne.

Gerade deshalb kann Obama es sich aber nicht leisten, hier allzu realitätsfern zu werden. Er müsse aufpassen, nicht in die “Falle des exzessiven Pessimismus” zu laufen, warnte einer der prominentesten Kommentatoren und Obama-Fans, Andrew Sullivan, bereits vor Wochen.

Selbst scharfe Kritiker des Kriegs und der Bush-Regierung beurteilen die Lage im Irak heute deutlich positiver als zu Beginn des vergangenen Jahres, als der Präsident gegen alle Widerstände die vorübergehende Aufstockung der Truppen (“Surge”) befahl. “Der Krieg ist verloren”, hatte seinerzeit der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, verkündet; es sei sinnlos, “Babysitter eines Bürgerkriegs zu spielen”, begründete Obama damals seine Forderung nach dem sofortigen Rückzug.

Inzwischen ist die “Surge” fast beendet, die Gewalt erheblich eingedämmt und von Bürgerkrieg erst einmal keine Rede mehr. Al-Kaida hat im Irak schwere Niederlagen erlitten, und die Regierung von Premier Nuri al-Maliki hat sich zuletzt auch mit eigenen Truppen gegen die Miliz des Predigers Muktada al-Sadr durchgesetzt.

Selbst wenn große Risiken bleiben – der Trend hat sich gedreht. Die Gründe dafür sind vielfältig, sie sind teilweise auch glücklichen Zufällen geschuldet. Aber das Ziel einer verantwortungsbewussten Politik kann es jetzt nur sein, das Erreichte zu sichern – statt möglichst schnell den Notausgang zu suchen.

Zumal sich die neue Lage auch zu den Wählern herumspricht. Der Irak kommt zwar in den Medien nur noch sehr selten vor. Nach einer neuen Umfrage glauben aber bereits 45 Prozent der Anhänger der Demokraten, dass sich die Dinge dort zum Besseren bewegen. Vor sieben Monaten lag der Anteil erst bei 34 Prozent.

Die angekündigte Verfeinerung

Selbstverständlich kann und wird Obama immer wieder darauf verweisen, dass er – als einer von ganz wenigen US-Politikern – von Anfang an gegen den Irakkrieg war. Die Qualifikation, die er daraus ableitet, heißt: Urteilsvermögen.

McCain kann und wird aber herausstellen, dass er – als einer von ganz wenigen US-Politikern – immer wieder jene Änderungen der Militärstrategie gefordert hat, die zuletzt zum Erfolg beitrugen. Im Vergleich dazu steht der Kandidat der Demokraten dann leicht als verantwortungsloser Defätist da.

Obama hat angekündigt, dass er noch im Sommer den Irak besuchen und danach seine Position “verfeinern” werde. Seine jüngsten Formulierungen lassen erkennen, wohin diese Reise geht: So rücksichtslos, wie einst Bush einmarschiert sei, so verantwortungsbewusst müsse jetzt der Abzug gestaltet werden; alle Entscheidungen würden in enger Absprache mit den Kommandeuren vor Ort getroffen.

Die absehbare Folge für den Wahlkampf ist, dass Obama jene 150-prozentigen Aktivisten vor den Kopf stößt, die seine Kampagne bisher besonders stark stützten. Selbst die “New York Times”, einflussreiche Stimme des linksliberalen Amerika, zeigt sich inzwischen verärgert über Obamas Beweglichkeit : “Wir wollen keine ,Verfeinerungen‘ in den großen Fragen. Dieses Land braucht Wandel, an den es glauben kann (change it can believe in)”, schrieb das Blatt indigniert in seinem Leitartikel vom Freitag.

Allzu große Sorgen muss sich Obama darum aber kaum machen. Diesen Teil der Wählerschaft hat er ohnehin längst sicher.

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