Warum Obama es schaffen wird
Von Joschka Fischer | © ZEIT ONLINE 2.9.2008 – 09:11 Uhr
Der Visionär ist zum Politiker geworden, ohne dabei ein Jota von seinem Charisma einzubüßen. Eindrücke nach der Obama-Rede in Denver
In Denver war die Angst der Delegierten fast mit den Händen greifbar. Nach den desaströsen acht Jahren von George W. Bush hätte man eigentlich Selbstgewissheit und Angriffslust erwartet. Stattdessen galt: Angst essen Seele auf. Die Demokraten waren durch den endlosen Vorwahlkampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama tief gespalten. Zudem waren die Umfragen wenig positiv, denn John McCain hatte den Vorsprung von Obama aufgeholt und ihn in manchen Umfragen sogar überholt. Zu allem Überfluss drohte dann auch noch die Georgienkrise, die Wahlchancen des Republikaners zu verbessern.
Obamas Nominierungsrede übertraf dann aber alle Erwartungen. Am Ende dieser 45 Minuten waren selbst konservative Beobachter von der Kraft der Persönlichkeit des schwarzen Senators und seiner außergewöhnlichen Rede tief beeindruckt. Der Visionär war zum Politiker geworden, ohne dabei auch nur ein Jota von seinem Charisma einzubüßen. Es war ihm mit diesem brillanten Auftritt endgültig gelungen, die Partei geschlossen hinter sich zu versammeln und jedweden Zweifel an seiner Befähigung für das Amt des amerikanischen Präsidenten auszuräumen.
Dennoch spricht vieles dafür, dass es am Wahltag knapp ausgehen wird, vielleicht sogar sehr knapp. Die Kandidaten liegen in den Umfragen Kopf an Kopf, und bei einer solchen Lage kann jedes Ereignis den entscheidenden Ausschlag geben.
Der Krieg in Georgien: Hier gilt eindeutig Vorteil McCain, weil er und seine Partei für eine Politik der militärischen Stärke stehen. Allerdings bleibt es eine offene Frage, wieweit sich die Wähler durch die Krise im Kaukasus und die Konfrontation mit Moskau überhaupt beeindrucken lassen. Für die Wähler steht die Wirtschaftskrise im Mittelpunkt.
Zudem werden sich die Demokraten die jahrelangen Intimitäten zwischen Präsident Bush und Wladimir Putin nicht entgehen lassen. Obama wird, wie McCain, eine harte Linie in der Georgienkrise einschlagen bis zum Wahltag. Was danach die amerikanische Politik sein wird, ist angesichts der fast nicht vorhandenen westlichen Optionen im Kaukasus bei beiden Kandidaten eine ganz andere Frage.
Hurrikan Gustav: Möglicher Vorteil Obama. Die Erinnerung an das katastrophale Versagen der Regierung Bush beim Hurrikan Katrina wird dadurch wieder aufgefrischt. Die Regierung Bush wird diesmal allerdings entschlossener handeln, und Obama wird achtgeben müssen, dass er seine eigene Rolle klar definiert. Wenn die Regierung handelt, ist es für die Opposition nicht leicht, erkennbar zu bleiben; siehe die Elbeflut im Bundestagswahlkampf 2002.
Irak: Gleichstand. Obama war gegen den Krieg, McCain dafür. McCain war für die Truppenverstärkung, Obama dagegen. Obama für einen Abzugsplan bis 2010, McCain dagegen. Wenn Obama jedoch so geschickt argumentiert, wie in seiner Rede in Denver gegen den Krieg und für einen realistischen Abzugsplan -, wird es für McCain eng werden, und dies im Kernbereich seiner sicherheitspolitischen Kompetenz.
McCains Wahl von Sarah Palin für die Vizepräsidentschaft: Ein Spiel auf alles oder nichts, also extremes Risiko für McCain. Dies war zwar ein guter Konter nach Obamas Triumph in Denver, aber kaum von Bedeutung über den Tag hinaus. Die junge Gouverneurin von Alaska ist national wie international ohne jede Erfahrung. Ihre Berufung zielt auf frustrierte Hillary-Wähler, und damit ist zugleich die Rolle von Hillary Clinton im weiteren Wahlkampf der Demokraten definiert.
Zudem bleibt abzuwarten, ob Sarah Palin den Test durch die Presse besteht, die nun in ihrem Leben das Unterste zuoberst kehren wird. McCain ist bisher angetreten, das Land an die erste Stelle zu setzen. Eine Anfängerin zur Vizepräsidentin machen zu wollen einen Herzschlag von Präsidentenamt entfernt -, ist aber eindeutig wahltaktisch motiviert.
Weitere unvorhersehbare Überraschungen werden in den verbleibenden Wochen gewiss noch folgen. Fehler werden bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen kaum verziehen und könnten den entscheidenden Ausschlag geben.
Dennoch meine ich, dass Barack Obama es schaffen kann und wird. Dass er als erster Afroamerikaner überhaupt bis zur Präsidentschaftskandidatur einer der beiden großen Parteien gelangt ist, grenzt an ein Wunder. Barack Obama ist auf diesem Weg gewachsen und hat eine Klasse und ein Durchhaltevermögen bewiesen, die ihn zu einem ernsthaften Anwärter auf den Wahlsieg machen.
Entscheidend für beide Kandidaten werden auch nicht die landesweiten Umfragen sein, sondern die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der einzelnen Bundesstaaten. Gelingt es Obama, einige der bisher von den Republikanern gehaltenen Staaten zu holen etwa Colorado, Virginia und verschiedene Südstaaten -, dann ist er am Ziel.Und dort sehen die Umfragen sehr viel versprechend aus.
Jenseits der Unwägbarkeiten der kommenden Wochen werden die Amerikaner zwischen jung und alt, zwischen Erneuerung und Weiter so entscheiden müssen.
Diese Entscheidung wird auch die Zukunft des Westens bestimmen, denn ohne eine Erneuerung der amerikanischen Politik, die es mit John McCain nicht geben wird, ist der Niedergang des Westens nicht aufzuhalten.
Und selbstverständlich wird dabei auch die Antwort auf jene Frage eine entscheidende Rolle spielen, die in Denver offiziell niemals thematisiert wurde und dennoch in aller Munde war: Wird am Ende die Hautfarbe über den 44. Präsidenten der USA entscheiden?
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