Gefährliche Warnung aus Washington
Von Ulrich Ladurner, Islamabad | © ZEIT ONLINE 24.4.2009 – 15:30 Uhr
Pakistan ist eine tödliche Gefahr für die Welt, warnt US-Außenministerin Clinton. Zu Recht – doch so, wie sie es tut, macht sie die Bedrohung nur noch schlimmer
Nuklearwaffen in den Händen der Taliban – das ist der ultimative Alptraum. Jetzt hat er konkretere Formen angenommen. Die Taliban sind nur mehr 100 Kilometer von Islamabad entfernt, der Hauptstadt des nuklear bewaffneten Pakistan. Überall schrillen die Alarmglocken, am lautesten in Washington. Bei einer Anhörung vor dem Kongress sprach US-Außenministerin Hillary Clinton von “existenzieller Gefahr für Pakistan” und einer “tödlichen Bedrohung” für die Welt.
Das sind dramatische Worte. Clinton hat guten Grund alarmiert zu sein. Ein zerfallendes Pakistan ist eine Gefahr für die Welt. Und das Land riskiert tatsächlich die Implosion. Das Symbol dafür sind die Taliban, die inzwischen so nahe an Islamabad herangerückt sind, dass einem Angst und Bange wird. Talibanisierung ist ein anderes Wort für den fortschreitenden Autoritätsverlust des Zentralstaates. Genau das geschieht derzeit in Pakistan. Dieser Staat ist in “tödlichen Gefahr”.
So sehr aber Hillary Clinton die Lage zutreffend beschreibt, so sehr sind ihre Äußerungen auch von einer politischen Absicht getragen. Clinton will internationalen Konsens um die neue Afghanistanstrategie der US-Regierung herstellen. Präsident Barack Obama stellte vor wenigen Wochen diese Strategie unter dem Begriff “Afpak” vor. Damit machte Obama klar, dass er Afghanistan nicht als isoliertes Problem sieht. Zu Recht hat er erkannt, dass Afghanistan nur über Pakistan zu gewinnen ist, und Pakistan nur über Afghanistan.
“Afpak” vollzieht nach, was längst schon Realität geworden ist: Der Krieg gegen den Terror ist nicht auf Afghanistan begrenzt. “Seht her, die Taliban greifen nach den Atomwaffen! Wir müssen in Pakistan aktiv werden. Afpak also ist die richtige Antwort” – das ist die Botschaft Clintons. Sie wird ihre Wirkung nicht verfehlen.
Der öffentlich vorgetragene Appell Clintons jedoch ist sehr problematisch. Er erweckt nämlich den Eindruck, als seien die Taliban eine feindliche Armee, die drauf und dran ist, die Hauptstadt eines 170-Millionen-Einwohner-Staates zu erobern. Er suggeriert, die Taliban könnten mir nichts dir nichts in den Kontrollraum der Atomwaffenstreitkräfte marschieren und nuklear bestückte Raketen abfeuern. Kurzum: Clinton trägt zur um sich greifenden Hysterisierung bei.
Die Wahrheit ist: Die Taliban sind eine ein paar Tausend Mann zählende Guerilla-Organisation, die über keine schweren Waffen verfügt. Sie können die 700.000 Soldaten starke pakistanische Armee nicht in einer Feldschlacht besiegen. Das Problem ist eine anderes, und es ist viel bedrohlicher. Die Taliban können diese Armee zermürben, ihre Moral untergraben. Das ist ihnen in den letzten Jahren schon erfolgreich gelungen.
In Islamabad debattiert man heute nicht mehr die Frage, ob die Armee überhaupt gegen die Taliban vorgehen will. Man fragt sich, ob sie – wenn sie es denn wirklich wollte – überhaupt noch kann. Sie ist innerlich erschöpft. Schuld an dieser Misere ist in erster Linie die pakistanische Armee selbst. Sie hat die Taliban unterschätzt. Längst sind diese nicht mehr, was sie einmal waren: eine Instrument in den Händen der Generäle; sie haben inzwischen ein Eigenleben entwickelt.
Doch ein gerütteltes Maß an Verantwortung an dieser Schwäche tragen auch die USA. Sie haben auf die Armee in den letzten Jahren erheblichen Druck ausgeübt, damit sie gegen die Taliban vorgeht. In der Sache mag das begründet gewesen sein, doch übten die USA meist öffentlich und spektakulär Kritik an Pakistan. Das begann unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Der damalige stellvertretende Außenminister der USA, Richard Armitage, flog wenige Tage nach den Anschlägen nach Islamabad und ließ den pakistanischen Machthaber, General Pervez Musharraf, wissen, er solle sich entscheiden, auf welcher Seite er stehe. “Sonst bomben wir euch in die Steinzeit zurück!”
Kein Wunder, dass die stolze pakistanische Armee den eigenen Leuten wie ein ungehobelter Schüler erschien, den man nach Belieben herumkommandieren kann. Außenministerin Clinton stellt sich mit ihren Aussagen nun in diese brachiale Tradition amerikanischer Außenpolitik. “Die pakistanische Regierung ergibt sich den Taliban”, sagte sie und appellierte an die pakistanischen Bürger, sich zu wehren. Das war eine gezielte Attacke auf die Glaubwürdigkeit der pakistanischen Autoritäten. Man fragt sich, warum sie das tut, wo doch genau das Gegenteil notwendig wäre, nämlich Pakistan den Rücken zu stärken.
Selbst wenn die Armee jetzt das Ruder herumreißt und eine ernsthafte Offensive gegen die Taliban beginnt, wird sie es nur unter dem Signum der in Washington verkündeten Afpak-Strategie tun können. Das wiederum wird sie dem alten Vorwurf aussetzen, dass sie nichts weiter sei als ein Büttel Amerikas. Die Armee, so die Propaganda der Taliban, töte im Auftrag Washingtons die eigenen Glaubensbrüder, die eigenen Bürger. Das trifft vor allem die Soldaten und unteren Offiziersränge hart.
Zweifellos muss Pakistan gegen die Taliban kämpfen – dafür braucht das Land entschiedene Unterstützung aus Washington und aus Europa. Clintons Vorstoß allerdings ist das Gegenteil davon.
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