»US-Regierung hat Al-Qaida einen Gefallen getan«
Von Johannes Schulten
30.11.2009
Hochrangige Berater der Bush-Regierung sind in Spanien wegen Folter in Guantánamo angeklagt. Ein Gespräch mit Gonzalo Boye Tuset
Gonzalo Boye Tuset ist chilenischer Anwalt. Neben dem Guantánamo-Prozeß vertritt er auch eine Klage von im Gaza-Krieg verletzten palästinensischen Zivilisten gegen die israelische Armee
JS: Sie haben im März beim spanischen Gerichtshof Strafanzeige gegen hochrangige Mitarbeiter der Bush-Administration gestellt, weil sie Folterungen im US-Gefangenenlager Guantánamo juristisch gerechtfertigt haben sollen. Wie kam es dazu?
GBT: Im Prozeß gegen die Bombenattentäter von Madrid im Jahr 2004 habe ich ein chilenisches Opfer vor Gericht vertreten. Wir fanden heraus, daß einer der Angeklagten ins US-Gefangenenlager Guantánomo verlegt worden war.
Alle Aussagen, die er dort zum Prozeß gemacht hat, waren vor Gericht wertlos, weil sie unter Folter entstanden sind. Nicht nur, daß Menschen dort unerträglichen Qualen ausgesetzt waren, durch Anwendung von Folter wurde auch noch ihre rechtsstaatliche Verfolgung behindert. Mit Guantánamo hat die US-Regierung Al-Qaida einen großen Gefallen getan.
JS: In diesem Prozeß wurden nur Juristen angeklagt. Warum haben Sie nicht gleich die großen Fische vor Gericht gebracht?
GBT: Die Angeklagten waren zwar keine Auftraggeber, aber sie waren diejenigen, die die rechtlichen Voraussetzungen für die Foltermethoden in Guantánamo geschaffen haben. Sie haben also die Folter erst ermöglicht, indem aufgrund ihrer Stellungnahmen bestehende US-Gesetze geändert wurden. Es handelt sich bei allen Angeklagten um hochrangige Mitarbeiter der Regierung Bush. Darunter sind Leute wie Alberto R. Gonzales oder David Addinton, die Rechtsberater von Expräsident und seinem Vize Richard Cheney waren. Aber klar, sie bilden nur den Ausgangspunkt, um den Rest der Beteiligten zu identifizieren und vor Gericht zu bringen.
JS: Wie unterscheidet sich die US-Definition für Folter von internationalem Recht?
GBT: Nach der heutigen US-Rechtslage beginnt Folter erst, wenn die Schmerzen, die einem Menschen dabei zugefügt werden, so intensiv sind, daß er kurz davor ist zu sterben. In den USA gibt es momentan insgesamt 18 erlaubte Folterpraktiken, die nach der UN-Antifolterkonvention verboten sind. Diese definiert Folter eindeutig als »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen.«
JS: Warum Madrid? Hätte man einen solchen Prozeß nicht auch woanders führen können?
GBT: In Spanien braucht man keine Staatsanwaltschaft, um Anklage zu erheben. Hier gilt das Prinzip der Individual- und der Volksklage. Jeder, der Opfer einer Straftat war, darf seinen eigenen Prozeß führen. Das gilt auch für Organisationen, die ein allgemeines Interesse vertreten.
Das ist ein Vorteil, weil Staatsanwaltschaften in der Regel politisch von der Regierung abhängig sind. Außerdem erlaubt das spanische Gesetz die Verfolgung für begangene Vergehen außerhalb des nationalen Territoriums, die sogenannte universelle Gerichtsbarkeit. Ein Prozeß teilt sich in drei Phasen: Wir befinden uns in der ersten, der Recherchephase, momentan warten wir auf Antworten der USA auf eine Untersuchungskommission, die durch den Richter Baltasar Garzón schon vor mehr als fünf Monaten ins Leben gerufen wurde. Darauf folgen die Phase der Beweiserhebung und die eigentliche Verhandlung.
JS: Im Oktober hat das spanische Parlament die universelle Gerichtsbarkeit aufgehoben. Steht die Entscheidung im Zusammenhang mit den Prozessen?
GBT: Ganz klar, das ist die Antwort einer schwachen Regierung auf zwei Prozesse, die ihr nicht gefallen: den Guantánamo-Prozeß und eine von mir eingereichte Klage von palästinensischen Zivilisten, die während des Gaza-Krieges von der israelsichen Armee vorsätzlich verletzt worden sind. Druck aus Washington hat es nicht gegeben.
JS: Worum geht es beim zweiten Prozeß?
GBT: Die israelische Armee wollte einen mutmaßlichen Hamas-Aktivisten mit Hilfe eines Sprengstoffanschlags ermorden. Dabei wurden 14 Menschen getötet. Anstatt ihn zu verhaften und vor Gericht zu stellen, wurde er umgebracht.
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