Über die zerstörerische Wirkung der Lobbyarbeit auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft der USA wurde viel geschrieben. Doch das Problem hat eine noch größere Dimension. Denn die aggressive Kampagne von US-Unternehmen für Deregulierung – gepaart mit laxer Umsetzung bestehender Normen und Richtlinien seitens der Regierung – untergräbt eine der tragenden Säulen für die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft.
Für eine Nation, die in jüngerer Vergangenheit mit Konzepten wie Transparenz, Offenlegung und Rechenschaftspflicht von sich reden machte, ist es schmerzhaft, die Harmlosigkeit und das Komplizentum mit ansehen zu müssen, mit denen Bundesbehörden vorsätzliches Wegschauen und eine unbekümmerte Haltung der Unternehmen – wenn nicht gar direkte und systematische Verstöße – billigen und ermöglichen.
Sobald etwas “Schlechtes” passiert – müssen wir den Ölkonzern BP extra erwähnen? -, darf man sicher sein, dass die Mitglieder des US-Kongresses genauso schnell protestieren, wie Prozessanwälte bereit sind, Sammelklagen einzureichen. Keine dieser beiden Reaktionen ist ein besonders intelligenter Ansatz für die Führung einer komplexen modernen Zivilisation. Die selbstgerechte Art des US-Kongresses, Entsetzen vorzutäuschen, ist deshalb so unverfroren, weil sich diese Institution unerbittlich darum bemüht, Regulierungen zu lockern, die Unternehmen womöglich ab und an für hinderlich erachten könnten.
Lässt man das Finanzwesen außen vor, ist dieser Trend vor allem im Bereich Umweltschutz ausgeprägt – von der Wasseraufbereitung und Abgasnormen bis hin zur effizienten Treibstoffnutzung und Gewinnung von Bodenschätzen. Vollkommen übersehen wird bei aller Rhetorik, welch verheerende Wirkung dieser Akt des stillschweigenden Duldens durch die Politik letztlich auf Wissenschaft und Technik hat – und auf die Erträge dieser Disziplinen für die gesamte Gesellschaft.
US-Konzerne hören ständig die Versprechen der Politiker, alle starren und einschränkenden Richtlinien zu lockern, Versprechen, die die Konzerne zweifellos mit verführerischen Wahlspenden herbeigeführt haben. Unter diesen Umständen wäre es nur “vernünftig”, die internen Anstrengungen der Unternehmen so auszurichten, dass das politische System optimal ausgenutzt wird.
Die Alternative wäre, schwer dafür zu arbeiten, die strengen Auflagen und Regulierungen zu erfüllen. Aber das ist suboptimal. Denn es ist immer noch billiger, über “das Washingtoner Büro” erfolgreich Lobbyarbeit für lockerere Normen zu betreiben als mit großen Teams aus Managern und Wissenschaftlern viel Zeit und Geld zu investieren, um die Anforderungen zu erfüllen.
Anders gesagt, die Botschaft aus Politik wie Wirtschaft lautet, dass ein wissenschaftsbasierter Ansatz nicht unbedingt nötig ist, um die US-Wirtschaft voranzubringen. Dieses Mantra führt letzten Endes zur Schwächung der Wissenschaft.
Dieser Zustand herrscht auch heute noch in Washington vor. Und er könnte durchaus hauptverantwortlich dafür sein, dass Wissenschaft und Technik in der US-Gesellschaft kontinuierlich an Ansehen verlieren – und für den damit in direktem Zusammenhang stehenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Amerikas.
Andere Faktoren kommen hinzu, etwa dass Wissenschaftler weniger verdienen als Anwälte und Investmentbanker und dass seit mittlerweile zwei Jahrzehnten die universitäre Ausbildung in Wissenschaft und Technik auf ausländische Studenten verlagert wird.
Doch der Fisch stinkt vom Kopf her. Und hier kommen die Folgen von Lobbyarbeit und Deregulierung, Washingtons bevorzugtem Modus Operandi, ins Spiel.
Vielleicht klopfen sich die Republikaner ja gegenseitig auf die Schulter, weil sie es geschafft haben, Versuche zu blockieren, mit denen in praktisch allen Bundesbehörden Auflagen und Regulierungsvorschriften hätten an Bedeutung gewinnen sollen – von der Umweltschutzbehörde EPA über die Arzneimittelzulassungsbehörde FDA bis hin zur Auftragsvergabe des Pentagon. Und bei der US-Handelskammer ist man wahrscheinlich zufrieden, dazu beigetragen zu haben, US-Unternehmen vom Joch der Regulierung zu “befreien”, als gehe es um eine Art zweiten Kampf gegen den Kommunismus. Für die USA besteht die Tragödie darin, dass die Konzerne sich nicht mehr darauf konzentrieren, strikte Richtlinien einzuhalten und die Erträge einzustreichen, die es mit sich bringt, im Bereich Technologie weltweit führend zu sein.
Wer an den Vorteilen strenger Regulierung zweifelt, braucht nur nach Europa und Japan zu blicken. Die Volkswirtschaften dieser Regionen haben zwar ihre Probleme, aber trotz staatlich verordneter strikter Richtlinien ziehen europäische und japanische Unternehmen gegenüber den US-Wettbewerbern nicht den Kürzeren.
Die Tatsache, dass führende US-Unternehmen wie GE ihr Personal für Forschung und Entwicklung (F&E) in Europa aufstocken – was kaum ein billigerer Standort ist als die USA -, dürfte auf viel mehr hindeuten als auf die Globalisierung von F&E. Es unterstreicht, dass solche Unternehmen erkannt haben, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein kann, in einer Region mit strengen Auflagen zu agieren.
Die Folge all der Lobbyarbeit und der Bereitschaft des US-Kongresses, den Wünschen nachzukommen, ist, dass US-Unternehmen in vielen Umwelttechnologien wertvolle Zeit und Einfluss verloren haben. Zum Unglück der wirtschaftlichen Zukunft Amerikas gilt diese perverse Logik nicht nur für den Bereich Klimawandel.
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