Die Ölpest könnte der von US-Präsident Obama forcierten Energiewende zum Durchbruch verhelfen. Tatsächlich bedroht die Katastrophe die neuen Klimagesetze.
Die Worte des Präsidenten waren deutlich. Die USA müssten die Abhängigkeit von den internationalen Öl-Reserven beenden, sagte der Regierungschef in seiner lange erwarteten Fernsehansprache. Alternative Energien wie Solarenergie müssten dringend vorangetrieben werden.
Das war im Jahr 1974. Der Präsident hieß Richard Nixon.
Seit Nixon ist es fast zu einer Tradition für amerikanische Präsidenten geworden, die Energiewende auszurufen. Sie alle haben es getan: von Gerald Ford über die beiden Bushs bis zu Bill Clinton. Grundlegend gewandelt hat sich im Land trotzdem jahrzehntelang nichts. Die Amerikaner verbrauchen pro Kopf weiterhin so viel Energie wie kein anderes Volk, nur die Chinesen stoßen noch mehr Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre.
Damit sich das endlich ändert, fordert Barack Obama nicht nur Ökostrom, sondern fördert ihn auch. Bis 2012 soll der Anteil auf zehn Prozent steigen und bis 2025 ein Viertel des gesamten Stromverbrauchs ausmachen. 35 amerikanische Bundesstaaten bauen derzeit ihre Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien aus. In Texas etwa steht der größte Windpark der Welt, mitgebaut vom deutschen Energieriesen Eon. Und in Kalifornien sollen bis 2016 rund drei Milliarden Dollar in Solarprojekte fließen. Wird Amerika nun also tatsächlich grün?
“Mit Obama hat sich viel geändert”, sagt Robert Pollin, Professor an der University of Massachusetts-Amherst. “Es tut sich was, wir bewegen uns endlich in die richtige Richtung.” Der Präsident setzt für seine Öko-Wende bis zu 100 Milliarden Dollar aus dem Konjunkturpaket ein, mit denen die Wirtschaft wieder angekurbelt werden soll. Hausbesitzer etwa bekommen Fördergeld, wenn sie ihre Immobilien sanieren und so den Energieverbrauch spürbar senken. Obama will aber noch mehr. Das grüne Amerika soll eine Jobmaschine für das 21. Jahrhundert werden – so wie in der Modellstadt Toledo, die nur wenige Meilen von Detroit entfernt liegt. Nirgendwo sonst im Land gibt es so viele Start-ups, die auf erneuerbare Energien setzen wie hier.
In Toledo waren die meisten Arbeiter einst in der Autoindustrie beschäftigt. Das ist Vergangenheit, seit sich die großen amerikanischen Hersteller gesundschrumpfen. Auch Dan Klear arbeitete Jahre lang bei General Motors heute installiert der 57-Jährige Solaranlagen. “Die grüne Energie ist ein Glücksfall für uns alle”, sagt Dan Klear. Tausende Arbeitsplätze sind in Toledo dank der Solarbranche entstanden.
“Toledo zeigt: Wir entwickeln uns in die richtige Richtung”, findet Pollin, “aber ganz ehrlich: das reicht längst nicht.” Das Tempo des Wandels sei zu langsam, die Fortschritte zu klein. Ein Beispiel, das Leuchttürme wie Toledo relativiert: In den USA stehen Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtkapazität von geschätzten 1,6 Gigawatt – in Europa dagegen sind es bereits rund 16 Gigawatt. “Wir müssen in größeren Dimensionen denken und handeln”, sagt Pollin. Und: Ohne ein umfassendes Klimagesetz sei nichts gewonnen. Ausgerechnet das aber ist alles andere als sicher.
Zwar hat das Repräsentantenhaus bereits ein Klima- und Energiegesetz beschlossen, das den Ausstoß von Treibhausgasen dramatisch senken soll. Doch nun steckt das Paket im Senat fest. Die meisten Republikaner sind kategorisch gegen die Einführung eines Emissionshandels nach europäischem Vorbild, in den USA cap and trade genannt. Doch ohne ein Limit für den Kohlendioxidausstoß macht das ganze Vorhaben wenig Sinn, da sind sich die meisten Klimaschützer einig. Aktuell schwirren verschiedene Vorschläge durch die Ausschüsse des Senats – von einer überzeugenden Mehrheit war man bei einer Testabstimmung weit entfernt.
Obama und die Klimaschützer an seiner Seite haben in dieser Sache mächtige Gegner. Von den mehr als 1100 Interessengruppen, die laut dem Center for Public Integrity in Washington auf die Klimagesetzgebung Einfluss nehmen wollen, kämpfen die einflussreichsten und finanzstärksten gegen den Klimaschutz.
Das American Petroleum Institute etwa, eine Lobbytruppe der Öl- und Gasindustrie, hat fast unbegrenzt Mittel zur Verfügung, um die Klimapolitik des Weißen Hauses als Arbeitsplatzvernichter zu brandmarken. Das schüchtert viele Abgeordnete ein, die in diesen Tagen verstärkt nach Hause fahren, um Wahlkampfreden zu halten: Im November sind Parlamentswahlen. Verliert Obama seine Mehrheit, könnte das Klimapaket auf Jahre nur eine Vision bleiben.
Auch deshalb hatte sich das Lager des Präsidenten auf einen Kompromiss eingelassen, der vielen schon viel zu weit ging: Als Teil eines neuen Energiekonzepts sollten die Tiefsee-Bohrungen nach Öl im Golf von Mexiko ausgeweitet werden. Auch die Atomkraft sollte expandieren. Im Gegenzug würde es die landesweite Deckelung des CO2-Ausstoßes ins Gesetz schaffen.
Doch angesichts der Ölpest im Golf von Mexiko rudert Obama nun zurück. Die Zustimmung zu den Ölbohrungen vor der Küste kippte nach der BP-Katastrophe von 66 Prozent auf 49 Prozent, wie Umfragen ergeben haben. Aktuell kämpft Obama sogar vor Gericht für ein zweitweiliges Verbot. Doch damit verliert der Präsident jene Demokraten und Republikaner, die sich auf den Kompromiss einlassen wollten und nun ihre Zustimmung zurückziehen.
Obama versucht zwar, die Erschütterung über die Ölpest zu nutzen, um seine Klimapolitik voran zu bringen. “Wir können es uns nicht länger leisten, uns nicht zu ändern”, sagte er in seiner ersten TV-Rede aus dem Oval Office überhaupt. “Die Tragödie, die sich an unserer Küste entfaltet, ist die schmerzhafteste und mächtigste Erinnerung daran, dass die Zeit gekommen ist, um eine Zukunft mit sauberen Energien aufzubauen.” Doch ohne den Kompromiss, der auch auf mehr Ölförderung vor der eigenen Haustür beruhte, sinken die Chancen auf einen Erfolg dramatisch.
“Der Emissionshandel wird zum Opfer der amerikanischen Politikspiele”, fürchtet Frank O’Donnel von der Umweltorganisation Clean Air Watch. “Ich bin pessimistisch, dass das noch was wird.” Die Gegner des Gesetzes nutzen die Ölpest bereits, um eine Abstimmung über das Gesetz auf die Zeit nach den Wahlen zu verschieben. “Die Amerikaner wollen, dass wir die Öl-Katastrophe stoppen”, wetterte Senator Mitch McConnell. “Vorher sind sie nicht in der Stimmung, einer Regierung, die nicht in der Lage ist, auf die Krise zu reagieren, mit einer neuen Energiesteuer noch mehr Macht zu geben.” Die Stimmen, die darauf hinweisen, dass überhaupt erst die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu der Katastrophe geführt habe, dringen kaum durch.
In der Solar-Stadt Toledo ist man ohnehin skeptisch, was die Unterstützung aus Washington betrifft. “Im Januar”, erzählt Solaranlagenbauer James Heider, “war Joe Biden in der Stadt.” Zehn Millionen Dollar Förderung habe der Vizepräsident dem Unternehmen versprochen. “Angekommen ist davon bis heute nichts.”
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