Usama Bin Ladin getötet: Der Kopf der Hydra
Bin Ladins Bedeutung war rückläufig. In Washington weiß man, dass mit dem Saudi nicht auch Al Qaida zum Tode befördert worden ist. Noch immer wachsen der Hydra neue Köpfe nach, wenn man ihr einen abschlägt.
Von Berthold Kohler
03. Mai 2011. Von Rache war nicht die Rede. „Justice has been done“, sagte der amerikanische Präsident Obama, als er verkündete, dass der Staatsfeind Nummer eins erschossen worden sei: Der Gerechtigkeit ist Genüge getan worden. Allein die Beschwörung dieses uramerikanischen Topos macht deutlich, wie unsinnig die wiederkehrenden Behauptungen waren, Washington sei aus politischem Kalkül gar nicht darauf aus gewesen, Bin Ladin zu fangen. Amerika wollte ihn fassen, tot oder lebendig, weil nur danach die noch nach einem Jahrzehnt schwärende Wunde von „9/11“ vernarben kann. Der Gerechtigkeit werde Genüge getan, griff auch Obamas Vorgänger George W. Bush das Thema auf, ganz gleich, wie lange es dauere.
Für die Amerikaner ist die geglückte Kommandoaktion ein Akt der Selbstvergewisserung, nach innen wie nach außen. Niemand, das sollten die Feinde Amerikas wissen, greift es ungestraft an. Die Nation „unter Gott“, auch diesen Mythos ließ Obama in seiner Rede nicht aus, habe einen langen Atem und schaffe (eben doch) alles, was sie sich vornehme. Daran waren auch in ihrer eigenen Brust Zweifel aufgekommen, je länger sich die im Vergleich zu dem tödlichen Nadelstich von Abbottabad gigantischen militärischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001 hinzogen. Die Interventionen im Irak und in Afghanistan kosteten Amerika Tausende eigener Toten, Abermilliarden Dollar, die anderswo dringend gebraucht werden, und eine Verfinsterung seines Ansehens nicht nur, aber vor allem in der islamischen Welt. Das Engagement am Golf schränkte die Handlungsfreiheit Washingtons auch im Verhältnis zu anderen Staaten wie etwa Iran ein. Amerika band sich mit beiden Kriegen viel stärker und länger als geplant. Doch Staat und „Demokratie“ im Irak sind über ein prekäres Stadium nicht hinausgekommen, der Ausgang der „Stabilisierungsmission“ in Afghanistan ist vollkommen ungewiss.
Eine überaus willkommene Nachricht
In dieser Lage ist die Tötung desjenigen, der – jedenfalls aus amerikanischer Sicht – Urheber einer die Welt umspannenden Kette von Tod und Gewalt war, eine überaus willkommene Nachricht. Für viele Amerikaner wird jetzt die Versuchung groß sein, die Mission endlich als erfüllt anzusehen und sich wieder auf die heimischen Probleme zu konzentrieren. In Washington aber weiß man, dass mit Bin Ladin nicht auch bereits Al Qaida zum Tode befördert worden ist. Der Saudi war schon lange nicht mehr der Feldherr im Untergrund, der von einer Kommandozentrale aus Terrorzellen in der ganzen Welt steuerte. Dazu ließ ihm die amerikanische Verfolgung keinen Raum. Seit seinem Jahrhundertschlag gegen Amerika diente er seiner Sache hauptsächlich als Spiritus rector für islamistische Extremisten überall auf der Welt. Bin Ladin lieferte jungen, zum Hass auf den Westen erzogenen Muslimen die Ideologie und das Beispiel, wie auf dem Weg zum „Gottesstaat“ die „Ungläubigen“ am härtesten zu treffen seien. Seither wachsen Metastasen des islamistischen Terrorismus auch im Gewebe der westlichen Gesellschaften heran, ohne dass sie noch direkte Anleitung brauchen.
Bin Ladins Bindung zu den arabischen Massen ließ dagegen deutlich nach. Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten liefen den Zielen von Al Qaida zuwider. Das Terrornetz verlor in vielen arabischen Ländern an Rückhalt, auch der großen Zahl muslimischer Opfer seiner Anschläge halber. Doch noch immer wachsen der Hydra neue Köpfe nach, wenn man ihr einen abschlägt. Vor allem in Pakistan und im Jemen wird weiter Nachwuchs produziert. Der dürfte darauf brennen, den „Märtyrer“ zu rächen.
Ansporn für die Epigonen
Die Sicherheitsdienste überall auf der Welt tun daher gut daran, so wachsam wie bisher zu bleiben. Auch der Aufwand, der im Verborgenen getrieben wird und werden muss, um den islamistischen Terrorismus in Schach zu halten, ist nach wie vor gewaltig. Seit Gavrilo Princip hat kein Attentäter größeren Einfluss auf das Handeln von Großmächten und das Schicksal von Millionen Menschen genommen als Bin Ladin. Sein einzigartiger „Erfolg“ wird den Epigonen Ansporn sein, auch wenn Amerika unter Obama (bis hin zur Bestattung Bin Ladins nach muslimischem Brauch) alles tut, um Frieden mit einer Welt zu schließen, mit der es nach eigenem Bekunden nie Krieg führen wollte.
Dazu reicht aber nicht nur der gute Wille einer Seite. Bin Ladins Ende fällt in eine Zeit, von der sich viele erhoffen, sie werde ein Anfang sein: der Beginn der Demokratisierung der muslimischen Länder im Nahen Osten. Demokratien, davon sind ihre Anhänger im Westen überzeugt, neigten nicht zu Krieg und Extremismus. Nur mit einer eisernen Hand ließen sich die Extremisten niederhalten, behauptete dagegen Ägyptens Präsident Mubarak, bevor ihn sein Volk vom Thron stürzte. Damit sind freilich noch nicht alle möglichen Wege der Entwicklung beschrieben, wie ein Blick in den Gazastreifen zeigt. Die dortige Hamas-Regierung ist aus einer Wahl hervorgegangen. Das hielt sie dennoch nicht davon ab, Bin Ladins Tötung zu verurteilen und für das Seelenheil eines Massenmörders zu beten, der den Tod von Tausenden von Unschuldigen, auch Muslimen, auf dem Gewissen hat.
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