Die USA beschuldigen Pakistans Geheimdienst, das Netzwerk des Haqqani-Clans und damit den Terror zu unterstützen. Islamabad dementiert und warnt die Amerikaner vor Militäraktionen. Der Streit kommt zwei anderen Mächten gelegen – China und Saudi-Arabien.
Hamburg/Islamabad – Amerika, sagt der General im Armeehauptquartier im pakistanischen Rawalpindi, mache derzeit “ziemlich viele Fehler”. “Wenn das Ziel von Außen- und Sicherheitspolitik ist, seinen Einfluss in einer bestimmten Region zu stärken und seine Interessen durchzusetzen, betreibt Washington gerade eine schlechte Politik.” Die Gründe dafür seien “Überheblichkeit, Größenwahn und Rücksichtslosigkeit”. “Am Ende wird das den USA schaden.”
Der Ärger des hohen Militärs, der seinen Namen nicht genannt haben will, entzündet sich an den Worten von US-Generalstabschef Mike Mullen, der am vergangenen Donnerstag vor Mitgliedern des US-Senats erklärte, der pakistanische Geheimdienst ISI habe das berüchtigte Haqqani-Netzwerk dabei unterstützt, die US-Botschaft in Kabul sowie das dortige Nato-Hauptquartier anzugreifen. Das Haqqani-Netzwerk sei ein “regelrechter Arm” des ISI und für weitere Angriffe auf US-Einrichtungen in Afghanistan verantwortlich. Islamabad reagierte prompt: Washington riskiere, seinen wichtigsten Verbündeten im Anti-Terror-Kampf zu verlieren, sagte Außenministerin Hina Rabbani Khar.
Tatsächlich hat das angespannte Verhältnis zwischen den USA und Pakistan Konsequenzen: Offensichtlich plant Islamabad seit Monaten eine Verteidigungsallianz mit China. “In dieser schwierigen Lage, mit einem instabilen Afghanistan im Westen, aus dem die Nato bis 2014 abziehen will, und einem immer offensiveren Indien im Osten, das inzwischen weltgrößter Waffenkäufer ist, brauchen wir einen starken, zuverlässigen Partner”, erklärt der pakistanische General. “Mit China führen wir seit längerem regelmäßig Gespräche, auf politischer wie auf militärischer Ebene.” Die USA seien “mit ihren haltlosen Beschuldigungen selbst Schuld”, wenn “wir uns an andere Mächte wenden und sie selbst an Einfluss in der Region verlieren”. Man nehme außerdem “mit Sorge zur Kenntnis, dass manche Kräfte in den USA ein militärisches Eingreifen in Pakistan befürworten”.
Die pakistanische Zeitung “Express Tribune” berichtet, Pakistan führe seit Jahresanfang geheime Verhandlungen über eine “östliche Verteidigungsallianz”. Dies solle “ein starkes Signal in die Welt schicken, dass Pakistan nicht alleine ist. Eine künftige Weltmacht steht hinter uns”, zitiert das Blatt einen namentlich nicht genannten pakistanischen Offiziellen.
“Die Karten in der Region werden neu gemischt”
Offiziell wollen Peking und Islamabad Gespräche über eine solche Allianz nicht bestätigen, aus Sorge, die USA oder auch Indien zu sehr zu verschrecken. Wer die Lage analysiere “und eins und eins zusammenzählen kann”, könne sich ausrechnen, “dass die Karten neu gemischt werden in dieser Region”, sagt ein Mitarbeiter der pakistanischen Außenministeriums in Islamabad.
Bereits nach der Tötung Osama Bin Ladens durch ein US-Spezialkommando in einer mit Pakistan nicht abgesprochenen Geheimaktion bat Premierminister Yousuf Raza Gilani Peking offiziell um Hilfe. Chinesische Diplomaten versprachen seinerzeit, einen weiteren Angriff der USA auf pakistanischem Boden als Angriff auf China zu werten und entsprechend zu reagieren – eine Aussage, die man in den USA aufmerksam zur Kenntnis nahm. Für weitere Aufregung sorgten Meldungen, dass Pakistan Informationen über den bei der Bin-Laden-Aktion abgestürzten “Stealth”-Hubschrauber an China weitergegeben habe. Islamabad und China dementierten das zwar umgehend, dennoch glaubt man in Washington, dass Peking Material von dem neuartigen Hubschrauber erhalten hat.
Auch Saudi-Arabien nutzt den Streit zwischen den USA und Pakistan, um seine Position zu stärken. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE trafen mehrere arabische Unterhändler in Islamabad ein, um die Lage mit pakistanischen Geheimdienstlern zu besprechen. Sie boten an, zwischen Pakistan und Washington zu vermitteln. Mehrere Quellen gaben an, ISI-Chef General Ahmed Shuja Pasha habe sich auf dem Luftwaffenstützpunkt in Rawalpindi mit saudischen Geheimdienstlern getroffen und sei anschließend zu Gesprächen nach Dschidda geflogen.
Konkret geht es darum, dass die USA von Pakistan verlangen, militärisch gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen. Nach Ansicht von US-Beobachtern hat diese Organisation ihren Sitz in der Region Nord-Waziristan, nahe der Grenze zu Afghanistan.
Pakistanische Streitkräfte am Ende ihrer Leistungsfähigkeit
Pakistans Armee dagegen weigert sich, eine neue Offensive im Inneren zu starten. Die offizielle Begründung lautet, die Streitkräfte seien am Ende ihrer Leistungsfähigkeit. Derzeit sind rund 140.000 Soldaten entlang der Grenze zu Afghanistan stationiert, an vielen Stellen liefern sie sich Gefechte mit Extremisten, die von Afghanistan kommend angreifen. Nach offiziellen Angaben sind seit Einmarsch der Nato in Afghanistan vor zehn Jahren mehr als 3000 pakistanische Soldaten im Anti-Terror-Krieg gefallen. “Der Westen hat in Afghanistan dagegen 2735 Soldaten verloren”, sagt der General in Rawalpindi. “Man muss auch mal sehen, was wir schon geleistet haben: Wir haben die Taliban im Swat-Tal und in der umliegenden Region sowie in Süd-Waziristan bekämpft.”
In Wahrheit aber hat Pakistan kein Interesse, das Haqqani-Netzwerk zu bekämpfen. “Was haben die uns getan?”, fragt ein Brigadegeneral aus Peschawar. “Würden wir diese Gruppe bekämpfen, hätten wir keinen Nutzen, aber einen großen Schaden, denn der Terror im eigenen Land würde dramatisch zunehmen.” Bislang kämpfe das Haqqani-Netzwerk “ausschließlich in Afghanistan”.
Benannt ist diese Organisation nach dem Gründer Jalaluddin Haqqani. Angeführt wird sie inzwischen von seinem Sohn Sirajuddin Haqqani, der vermutlich dem obersten Gremium der Taliban-Führung, der Quetta-Schura, angehört und dem gute Verbindungen zum Geheimdienst ISI nachgesagt werden.
Pakistans Innenminister Rehman Malik betont, das Haqqani-Netzwerk sei von den USA zur Zeit der sowjetischen Invasion in Afghanistan geschaffen worden. Die CIA habe die Kämpfer über viele Jahre unterstützt. Fotos zeigen, wie hochrangige US-Politiker, darunter Präsident Ronald Reagan, die Haqqanis empfingen. “Pakistan hat damals die USA und damit auch das Haqqani-Netzwerk unterstützt.” Aber diese Zeit sei vorbei, Pakistan habe keinerlei Kontakte mehr zu den Haqqanis, sagt Malik.
Anders klingt dagegen Armeechef Ashfaq Parvez Kayani. Der kritisiert US-Generalstabschef Mullen zwar wegen dessen Vorwürfen, räumt aber indirekt Kontakte zu den Extremisten ein: “Admiral Mullen weiß sehr genau, welche Länder im Kontakt mit den Haqqanis stehen. Pakistan herauszugreifen, ist weder fair noch konstruktiv.” Für Verärgerung sorge, dass die USA Pakistan unterstellten, Extremisten zu unterstützen, ohne Beweise dafür zu liefern.
Außenministerin Khar sagte dem arabischen Sender al-Dschasira, sie sei sich sicher, “dass die CIA ebenfalls Kontakte zu vielen Terrororganisation in der Welt hat”. Mehrere Politiker erklärten, Pakistan müsse die Verbindung zu den Haqqanis unbedingt aufrechterhalten, allein schon, um mit ihnen zu verhandeln. Der Grund für die amerikanischen Vorwürfe, erklärt der General in Rawalpindi, sei ganz einfach: Die USA suchten einen Sündenbock für ihr Scheitern in Afghanistan.
Und Pakistans Premier Gilani warnte die USA in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters nachdrücklich: Jede Militäraktion gegen das Hakkani-Netzwerk auf pakistanischem Boden sei ein Angriff auf die Souveränität seines Landes. “Wir sind ein souveränes Land. Wie kommen sie zu diesen Überfallen in unserem Land”, fragte er. Die negativen Nachrichten verärgerten sein Volk.
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