Der naive Glaube an den Befreiungsschlag
Von Christoph von Marschall
Datum 18.10.2011
Amerika und Europa bezichtigen sich der Untätigkeit in der Schuldenkrise. Dabei hat die Politik beiderseits des Atlantiks das gleiche Problem, kommentiert C.v.Marschall.
Deutschland sitzt auf der Anklagebank. In amerikanischen Zeitungen hat sich dieses Narrativ festgesetzt: Die Schuldenkrise der Euroländer ist derzeit die größte Gefahr für die Weltwirtschaft. Deshalb kommt die Konjunktur nicht in Gang. Deutschland könnte das Risiko ausschalten, wenn es endlich den Widerstand gegen großzügig ausgestattete Rettungsschirme aufgäbe.
Ähnlich klingt es, wenn das Weiße Haus Präsident Barack Obamas Telefonate mit Kanzlerin Angela Merkel beschreibt: Er habe sie gebeten, entschlossen zu handeln. Finanzminister Tim Geithner mahnt die Euro-Kollegen fast täglich. Wäre Deutschland daran schuld, wenn Obama 2012 nicht wiedergewählt wird, weil die Wirtschaft nicht in Gang kommt? Von Amerikas Schuldenkrise ist in US-Medien kaum noch die Rede. Manche zeigen eine erstaunliche Amnesie. Im Rückblick führte die Washington Post kürzlich auch die Börsenturbulenzen im Juli und August auf die Euro-Krise zurück. Tatsächlich war damals der Streit im Kongress um die Schuldenobergrenze der Auslöser gewesen.
Nun hat Merkel öffentlich zurückgerempelt. Es sei “nicht in Ordnung”, wenn andere Europa zu entschlossenem, koordiniertem Handeln auffordern, das aber selbst nicht täten, von der Transaktionssteuer bis zum Schuldenmanagement, sagte sie beim IG-Metall-Kongress. Jeder verstand, wen sie meinte – die USA und Obama. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen werden die Märkte wohl kaum beruhigen. Im besten Fall erreicht Merkel, dass Obama und Geithner sich zurückhalten.
USA sind ein schlechter Ratgeber
Kaum ein Europäer wird stolz darauf sein, wie die Regierungen mit der Euro-Krise umgehen. Die USA sind jedoch ein schlechter Ratgeber. Sie bekommen ihre eigene Schuldenkrise nicht in den Griff. Und es fehlt ihnen an Geduld und an Verständnis, wie die EU und die Eurozone funktionieren.
Die Erwartung, Regierungen könnten solche Krisen rasch überwinden, wenn sie entschlossen und sachgerecht handeln, ist naiv. Politik und Finanzwirtschaft folgen unterschiedlichen Logiken und Sachzwängen. Mag sein, dass die Märkte seit einem Jahr wissen, dass man am Schuldenschnitt für Griechenland nicht vorbeikommt. Nach ökonomischer Logik ist es billiger, das Unvermeidliche rasch zu tun. Die Politik muss jedoch klären, wer welche Lasten trägt, welche Banken zusätzliche Sicherheiten brauchen, um nicht pleitezugehen. Und es muss Druck erhalten bleiben, damit Griechenland und andere die Rettung nicht als Vorwand nehmen, die Reformen zu verschieben. Das alles erfordert Zeit – nicht Monate, sondern Jahre, selbst wenn alles optimal läuft.
Von außen wirkt das wie ein peinliches Durchwurschteln. Doch das ist das Prinzip der EU: Durchwurschteln von Kompromiss zu Kompromiss. Amerika hält es mit seinen Schulden nicht anders. Die für den Herbst angekündigte Kommission wird die schmerzlichen Schnitte auf die Zeit nach der Wahl 2012 verschieben. Es gibt kein Zaubermittel, das die Schulden verschwinden lässt. Es dauert Jahre, sie abzutragen – hier wie dort.
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