Babyboomer belasten Börsenkurse
Die Weltbevölkerung wächst zwar weiter – allerdings nur außerhalb der Industriestaaten. Für die Kapitalmärkte verheißt das nichts Gutes: Wer in Rente geht, zieht sein Kapital ab. Und genau das tun die geburtenstarken Jahrgänge gerade. von Christian Kirchner Frankfurt
Glaubt man den US-Notenbankmitgliedern Zheng Liu und Mark Spiegel von der Federal Reserve in San Francisco, schwappen Aktienanlegern derzeit die ersten kleinen Wellen eines Trends um die Füße, der künftig eine der wichtigsten Determinanten für Aktienrenditen sein könnte: Die Rede ist vom demografischen Wandel und seinem Einfluss auf das Anlageverhalten. Denn global wächst zwar die Bevölkerung um knapp 80 Millionen pro Jahr. Das Wachstum aber ist ungleich verteilt und in den USA sowie vielen anderen Industrieländern von einer Besonderheit geprägt: Die geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis 1965, die Babyboomer, gehen nach und nach in Rente.
Und diese Entwicklung heißt auch: Sie sorgen nicht länger mit Sparplänen oder über Pensionsfonds für ihr Alter vor, sondern geben das Ersparte aus oder schichten es zumindest in risikoärmere Anlagen als Aktien um.
Tatsächlich haben Studien nachgewiesen, dass es seit nunmehr einem halben Jahrhundert schon einen signifikanten Zusammenhang gibt zwischen dem Bewertungsniveau, das Investoren dem US-Aktienmarkt zubilligen, und der Zahl der Amerikaner, die auf dem Höhepunkt des Erwerbslebens stehen, also 40 bis 49 Jahre alt sind. Dies würde auch den Boom der amerikanischen Börsen in den 80er- und 90er-Jahren erklären sowie die anschließende Stagnation ab dem Jahr 2000 – und vor allem die seit 1990 währende Krise am japanischen Aktienmarkt: Kaum ein Industrieland altert so drastisch wie Japan.
Und es könnte – warnen jedenfalls die Forscher der Fed von San Francisco – bedeuten, dass sich selbst bei unveränderten Unternehmensgewinnen die US-Börsen bis 2025 nochmals halbieren, weil man ihnen nur noch ein halb so hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis zubilligt wie derzeit.
Teil 2: Mehr als nur ein Phänomen
Die historisch niedrigen Anleiherenditen in Industrieländern lassen sich ebenfalls zumindest in Teilen mit dem demografischen Wandel erklären. Sie könnten mehr als nur ein krisenbedingt temporäres Phänomen sein: Weil ältere Menschen risikoscheuer investieren als junge, steigt in einer alternden Gesellschaft strukturell die Nachfrage nach vermeintlich ungefährlichen Investitionen wie Staatsanleihen, während die nach Aktien fällt und mit dem Renteneintritt häufig sogar umgeschichtet wird.
Die lange gängige Theorie einer regelrechten Vermögensschmelze aufgrund des demografischen Wandels halten Forscher zwar inzwischen für überzogen: Schließlich ist die Information der wahrscheinlichen Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahrzehnten bekannt und somit bereits im Markt eingepreist.
Zudem hat die Globalisierung auch die Geldanlage erfasst: Blieben Investoren noch vor 20 Jahren auch bei der Aktienanlage meist im eigenen Land, ist heute eine globale Streuung populärer – was auch heißt: Die Mittel stark wachsender Volkswirtschaften etwa in Asien fließen auch in Aktien aus Europa und den Vereinigten Staaten.
Unstrittig ist freilich der Zusammenhang zwischen Bevölkerungs- und Konjunkturwachstum einer Volkswirtschaft – was wiederum aus Sicht von Anlegern in den schrumpfenden Industrieländern einen einfachen Schluss zulässt: Mit einer Vermögensstreuung, mit der Teile des Geldes in Ländern angelegt werden, deren Bevölkerung ebenso rasch wächst wie die Wirtschaft, lassen sich die Effekte des demografischen Wandels zumindest abfedern.
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