Mit dem Urteil des Obersten Gerichts kann der Präsident wieder offensiv spielen
Die kleine Meldung klang nach geschickt lancierter Stänkerei: Etwa doppelt so viele Amerikaner, so hieß es, trauten es eher Barack Obama zu, eine Invasion von Außerirdischen abzuwehren, als dessen republikanischem Gegner Mitt Romney. Diese Umfrage eröffnete am Donnerstag den seit langem wichtigsten innenpolitischen Tag in den Vereinigten Staaten. Den Tag, an dem der Präsident nicht “Mars Attacks” zu begegnen hatte, sondern eine beinahe außerirdische politische Kraftanstrengung zu einem erfolgreichen Ende brachte: Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Verfassungsmäßigkeit seiner umstrittenen Gesundheitsreform.
Damit feiert Obama etwas mehr als vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen im November einen großen innenpolitischen Sieg. Das Wahlversprechen, in das er den Großteil seines politischen Kapitals in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft gesteckt hat, wird Wirklichkeit. Ein großer Teil der 50 Millionen unversicherten Amerikaner wird ab 2014 ins Kassensystem genommen werden, die Kosten für die Gesundheitsausgaben (18 Prozent des BIPs, doppelt so viel wie in jedem anderen industrialisierten Land) sollen erstmals seit langem sinken. Nun darf der Präsident die politische Dividende dieses Kraftaktes kassieren – auch wenn die Versicherungspflicht laut Supreme Court nicht unter strenge Strafe gestellt werden, sondern nur mit einem Bußgeld geahndet werden kann.
Obama war als Agent des Wandels angetreten. Als einer, der, wenn schon nicht einen Systemwechsel, so doch eine Modernisierung der USA auf den Scherben der Finanzkrise zustande bringen wollte. Gelungen ist ihm – auch auf der ersten, hohen Welle der “Yes, we can”-Euphorie – seither relativ wenig: Die Erneuerung der miserablen Infrastruktur des Landes kommt nur schleppend voran. Die großen amerikanischen Autokonzerne sind zwar gerettet, produzieren aber nach wie vor am Weltmarkt vorbei. Die Finanzriesen an der Wall Street spielen noch immer Katz und Maus mit der Politik.
Mit der Entscheidung des Höchstgerichts zur Gesundheitsreform verbessert sich Obamas Bilanz deutlich: Immerhin etwas von dem “Change”, den er wieder und wieder gepredigt hat, hat sich nun materialisiert.
Die Opposition gegen die Reform, da soll sich niemand täuschen, wird weiter bestehen bleiben – bei Romney, im Kongress und auch in der Bevölkerung. Für Obama ist es dennoch ein Wendepunkt in seiner Präsidentschaft. Er ist mit seinem Triumph aus einer langen Phase des politischen Verteidigungsspiels herausgekommen und kann seine republikanischen Gegner nun offensiv angehen. Er, von dem immer in historischen Kategorien gesprochen wird, hat nun endlich auch etwas Historisches erreicht. Und schließlich haftet ihm auch wieder jener Geruch des Gewinners an, dem am wenigsten die Amerikaner widerstehen können.
Ob das Erkenntnis der entscheidende Durchbruch in der Wiederwahlkampagne Obamas ist, lässt sich heute schwer sagen. Noch immer gilt, dass die Wirtschaft entscheidend sein wird. Das deuten auch Umfragen an, in denen sie für 52 Prozent der Befragten Topthema ist und die Gesundheitsreform nur für sieben Prozent. Aber: Das Powerplay kommt wieder von Barack Obama. Yes, he can – das dürfen ihm die Wähler nun nicht mehr nur bei außerirdischen, sondern auch bei irdischen Agenden zutrauen.
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