The NRA Is King Herod Today

Published in Die Zeit
(Germany) on 19 December 2012
by Andrea Böhm (link to originallink to original)
Translated from by Richard Burck. Edited by Kyrstie Lane.
What can we learn from, and what is the least we can do after, the massacre in Newtown?

There is a belief that every civilization in the world holds and must hold: The belief that all children are innocent and must be protected from evil, that even the most brutal and most sadistic murderer takes his finger off the trigger to spare the lives of six-year-olds.

We know how delusional this belief is. Children die in wars and are victims of crimes. Yet, this taboo meant to civilize society is seldom broken in the West, even with America’s terrible history of mass shootings, especially in schools. Never before has someone in the U.S. mowed down an entire first and second grade class at an elementary school. Such a tragedy extends beyond America’s borders.

Therefore, it is not enough to rant in quick resignation about the crazy gun culture of “Americanism” and to declare the National Rifle Association all-powerful and American society archaic. First, the obsession with guns is relatively new. Second, the foolish gun enthusiasts are only as powerful as their opponents allow. This simply means that attitudes toward guns were once different and they must change again — not only for the comfort of Americans, but the comfort of the rest of the world.

Guns Are the True Weapons of Mass Destruction

As long as U.S. government administrations, either Republican or Democrat, continue to kowtow to the National Rifle Association, they also block international efforts to halt the spread of small arms, a nice-sounding technical term for contemporary weapons of mass destruction. These small arms, not nuclear warheads and chemical agents, are used to inflict most of the world’s devastation. The UN’s attempts to interfere with the small arms trade make them enemies of the National Rifle Association, which asserts the right of everyone to bear the arms of a sharpshooter.

Whether or not Barack Obama manages to strengthen gun laws in the U.S. (and he wants to try), he cannot stop the next massacre. In the U.S. there are about 300 million firearms owned by about a third of all American households. Among these gun owners are not just mass shooters, but also drug dealers, gang members and the average Joe who ends their family arguments with just a pull of the trigger.

According to current statistics, guns will kill about 50,000 people during Obama’s second term. So why go through all the trouble to keep a couple hundred thousand guns from being sold?

Because historical reforms — as disarming America would be — begin with a battle of wits. According to the National Rifle Association’s logic, arming teachers is an appropriate solution to the Newtown massacre. To declare this logic of a modern society which calls on unending armament would be the first step to avoiding more massacres like Newtown’s.

Mass shooters are not American phenomena. And any society penetrated by pure evil must deal with it in its own way. Norway found itself in a painful public trial against Anders Breivik, which upheld its constitutional and legal principles even after the massacre in Utoya. In Great Britain, concerns after the 1996 Dunblane elementary school bloodbath led to an expansive policy banning guns. In Germany, after the school shootings in Erfurt and Winnenden, it was revealed that a frightening number of people owned guns. This prompted some thousand gun owners to hand them over.

By no means is it certain that the mass shooting in Newtown will have a cathartic effect on the U.S. But it is possible. Back in the 1990s, a protest movement declared America’s love affair with guns unpatriotic and the Clinton administration passed stricter regulations. But after 9/11, any plea to regulate guns was actually considered treason.

Now, 10 years later, this ideology is becoming less popular. The tea party, which advocates unrestricted gun ownership in its platform, faced a setback in the last election. Hispanics, the fastest growing minority, largely consider guns to be a threat rather than a household appliance — if for no other reason than that in the inner cities, their children are often victims of gun crimes. On the municipal level, over 700 mayors from both parties have created a coalition against the crazy gun culture. Obama has the historical opportunity to achieve disarmament: First in the heads and gun racks of his countrymen, then worldwide in the battle against small arms.


NACH DEM AMOKLAUF: Herodes heute

Gibt es eine Lehre, wenigstens aber eine Konsequenz aus den Kindermorden in Newtown?

Es gibt einen Glauben, an dem jede Gesellschaft auf dieser Welt festhält, ja festhalten muss: der Glaube, dass Kindern eine Unschuld innewohnt, die sie vor Bösem schützt. Dass selbst der brutalste und verrückteste Mörder den Finger vom Abzug nimmt, wenn sechsjährige Schüler vor ihm stehen.

Wir wissen, wie trügerisch dieser Glaube ist. Kinder sterben in Kriegen, sie werden Opfer von Verbrechen. Amerika hat eine traurige Geschichte von Amokläufen auch und gerade an Schulen. Aber selten zuvor wurde dieses zivilisatorische Tabu im Alltag einer westlichen Gesellschaft so dramatisch und so erschütternd gebrochen wie im amerikanischen Newtown. Denn nie zuvor hat jemand in den USA mit einem Sturmgewehr in einer Grundschule zwanzig Erst- und Zweitklässler niedergemäht. Das macht das Massaker von Newtown zu einem Trauma, das über Amerikas nationale Grenzen hinausreicht.

Deshalb genügt es nicht, sich in vorauseilender Resignation wieder einmal über den »uramerikanischen« Waffenwahn zu ereifern, die US-Waffenlobby für allmächtig und die dazugehörige Gesellschaft für archaisch zu erklären. Erstens ist die Obsession mit Gewehren und Pistolen relativ neu. Zweitens sind die Waffennarren nur so mächtig, wie ihre Gegner es ihnen erlauben. Das heißt schlicht: Die Zeiten waren schon einmal anders – und sie müssen wieder anders werden. Nicht nur um der Amerikaner willen, sondern auch um der restlichen Welt willen.

Pistolen und Gewehre sind die wahren Massenvernichtungswaffen

Denn solange US-Regierungen, egal, welcher Couleur, im politischen Schwitzkasten der gun lobby stecken, blockieren sie auch auf internationaler Ebene alle Versuche, die Verbreitung der sogenannten small arms einzudämmen. Kleinwaffen – dieser niedlich klingende Name ist der Fachbegriff für die Massenvernichtungsmittel unserer Zeit: Nicht Atomsprengköpfe oder chemische Kampfstoffe richten auf der Welt die größte Verheerung an, sondern Pistolen, Revolver und Sturmgewehre. Weil die Vereinten Nationen an Konventionen zur Regulierung des Handels mit Kleinwaffen arbeiten, gelten auch sie für die National Rifle Association (NRA) als Feinde des vermeintlichen Bürgerrechts, wonach sich jedermann ausstatten darf wie ein Scharfschütze.

Eines vorweg: Egal, wie Barack Obama nun die Waffengesetze in den USA verschärfen will (und er wird es versuchen), das nächste Massaker kann er wohl nicht verhindern. In den USA verteilen sich über 300 Millionen Handfeuerwaffen auf etwa ein Drittel aller Haushalte. Aus diesem unfassbaren Arsenal bedienen sich nicht nur Amokläufer, sondern auch Drogenhändler, Gangmitglieder sowie Durchschnittsbürger, die ihren Familienstreit mit dem Revolver beenden.

Rechnet man die aktuellen Statistiken hoch, werden in Obamas zweiter Amtszeit fast 50.000 Amerikaner durch Schusswaffen sterben. Wozu dann all die Mühe, um den Verkauf von ein paar Hunderttausend zusätzlichen Gewehren und Pistolen zu verhindern?

Weil historische gesellschaftliche Reformen – und die Demilitarisierung Amerikas wäre eine – immer mit einem Kampf um die Debattenhoheit beginnen. Die gun lobby fordert als logische Konsequenz aus dem Massaker von Newtown nun die Bewaffnung der Lehrer. Diese Logik der unendlichen Aufrüstung für wahnsinnig und einer fortschrittlichen Gesellschaft für unwürdig zu erklären wäre ein erster Schritt, mit dem Trauma von Newtown umzugehen.

Amokläufer sind kein amerikanisches Phänomen, und jede Gesellschaft muss auf ihre Weise mit diesem Eindringen des scheinbar puren Bösen umgehen. Norwegen versicherte sich in einem schmerzhaften öffentlichen Gerichtsprozess gegen Anders Breivik, dass es auch nach einem Massaker wie dem von Utoya an seinen rechtsstaatlichen und rechtspolitischen Prinzipien festhält. In Großbritannien, wo 1996 in Dunblane schon einmal ein Attentäter ein Blutbad unter Grundschülern anrichtete, reagierte die Politik mit einem weitreichenden Waffenverbot. Deutschland musste nach den Schulmassakern von Erfurt und Winnenden erkennen, dass erschreckend viele Waffen in Umlauf sind, was wiederum mehrere Tausend Besitzer dazu veranlasste, ihre Gewehre und Pistolen abzugeben.

Zwar ist keineswegs gesichert, dass der Amoklauf von Newtown eine kathartische Wirkung auf die USA haben wird. Aber es ist vorstellbar. Man erinnere sich an die neunziger Jahre, als eine Protestbewegung Amerikas »Liebesaffäre« mit der Schusswaffe für »unpatriotisch« erklärte und die Clinton-Regierung eine Gesetzesverschärfung durchsetzte. Dann kam der 11. September 2001, in dessen Folge jede Forderung nach Waffenkontrolle faktisch zum Landesverrat wurde.

Über zehn Jahre später bröckelt diese ideologische Front. Die Tea Party, zu deren Grundpfeilern der uneingeschränkte Waffenbesitz gehört, hat bei den vergangenen Wahlen eine Schlappe einstecken müssen. Hispanics, die am schnellsten wachsende Minderheit, halten Schusswaffen eher für eine Gefahr als für ein Haushaltsgerät – nicht zuletzt auch darum, weil in den inner cities oft ihre eigenen Kinder den Kugeln zum Opfer fallen. Und auf der Ebene der Kommunen haben inzwischen über 700 Bürgermeister aus beiden Parteien eine Koalition gegen den Waffenwahn gebildet. Obama bietet sich also die historische Chance eines Abrüstungsprozesses. Erst in den Köpfen und Waffenschränken seiner Landsleute. Dann weltweit im Kampf gegen Kleinwaffen.

This post appeared on the front page as a direct link to the original article with the above link .

Hot this week

Russia: Political Analyst Reveals the Real Reason behind US Tariffs*

Taiwan: Making America Great Again and Taiwan’s Crucial Choice

Topics

Taiwan: Making America Great Again and Taiwan’s Crucial Choice

Russia: Political Analyst Reveals the Real Reason behind US Tariffs*

Poland: Meloni in the White House. Has Trump Forgotten Poland?*

Germany: US Companies in Tariff Crisis: Planning Impossible, Price Increases Necessary

Japan: US Administration Losing Credibility 3 Months into Policy of Threats

Mauritius: Could Trump Be Leading the World into Recession?

India: World in Flux: India Must See Bigger Trade Picture

Related Articles

Germany: US Companies in Tariff Crisis: Planning Impossible, Price Increases Necessary

Germany: Trump’s False Impatience

Germany: Trump’s Campaign against Academics

Germany: Trump in the Right?

Germany: Simply Shut Down X in Response