Die Sache mit den Visa
Von Volker Hermsdorf
21.01.2013
Jahrzehntelang hat Washington Havanna vorgeworfen, die Reisefreiheit einzuschränken, jetzt steht genau das als US-Forderung gegenüber Kuba im Raum
Am vergangenen Donnerstag wurden von einem Bundesgericht in Miami (Florida/USA) zwei Mitglieder einer Bande verurteilt, die für jeweils 10000 bis 15000 US-Dollar gefälschte kubanische Geburtsurkunden an Einwanderer aus Lateinamerika verkauft hat. In den letzten dreieinhalb Jahren hatte die Gruppe damit gut eine halbe Million Dollar eingenommen. Der aus Kuba ausgewanderte Chef der Organisation, Fidel Morejón, steht am Montag kommender Woche vor Gericht. Die Urteile entlarven die Absurdität eines US-Gesetzes, das als Instrument zur Destabilisierung der sozialistischen Karibikinsel verabschiedet wurde und jetzt seinen Schöpfern selbst auf die Füße fällt.
Nach dem im Jahr 1966 erlassenen »Cuban Adjustment Act« (CAA) erhalten »illegal« eingereiste kubanische Staatsbürger automatisch den Status von politischen Flüchtlingen. Während lateinamerikanisch Einwanderer ohne Papiere normalerweise verhaftet und abgeschoben werden, bekommen Kubaner eine Wohnung, eine Arbeitserlaubnis und nach einem Aufenthalt von einem Jahr plus einem Tag die dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Offiziell als »Hilfe für die Opfer einer kommunistischen Diktatur« deklariert, sollte das Gesetz tatsächlich die illegale Auswanderung aus Kuba stimulieren sowie den Exodus und letzten Endes Zusammenbruch des dortigen Gesellschaftssystems herbeiführen.
Außer dem harten Kern der terroristischen Anti-Castro-Gruppen in Miami und deren politische Vertreter in Parteien, Parlamenten und Regierungen hat sich vor allem eine Mafia von Menschenhändlern für das Gesetz stark gemacht. Schätzungen zufolge haben die Schlepperbanden mit dem illegalen Transport von Einwanderern aus Kuba jährliche Gewinne von fünf bis sechs Millionen US-Dollar kassiert. Das skrupellose Geschäft hat in den letzten Jahrzehnten Zigtausenden Menschen, die bei der Überfahrt in der rund 100 Kilometer breiten Florida-Straße ertrunken sind, das Leben gekostet. Trotzdem ist der gesetzliche Anreiz für die illegalen aber lukrativen Todesfahrten seit 47 Jahren fester Bestandteil der US-Politik gegen Kuba. US-Politiker und Journalisten, die in den letzten Jahren vorsichtig dessen Abschaffung gefordert hatten, zogen sich wütende Haßattacken der Ultrarechten in Miami zu.
Seit dem Inkrafttreten der neuen kubanischen Reiseregelungen am 14. Januar hat sich die Situation verändert. Zur Ausreise brauchen kubanische Bürger jetzt nur noch einen gültigen Paß und ein gegebenenfalls notwendiges Visum des Ziellandes. Die veränderten Bestimmungen versetzen die militanten Anti-Castro-Gruppen in Panik, und auch die Einwanderungsbehörden sehen mit einem Mal Handlungsbedarf. Denn das seit Jahrzehnten als Waffe gegen Kuba dienende Gesetz wird für die US-Politik plötzlich zum Bumerang.
Nach den neuen Regelungen können sich kubanische Staatsbürger bis zu 24 Monate und länger in den USA aufhalten ohne irgendwelche Rechte und Privilegien in ihrem Heimatland einzubüßen. Da sie in den USA nach einem Jahr und einem Tag Rechtsanspruch auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung haben, kann diese Gruppe künftig beliebig zwischen beiden Ländern pendeln, ohne ein Visum beantragen zu müssen. Die legale Möglichkeit, in Kuba zu wohnen und in den USA zu arbeiten, dürfte für viele Bürger der sozialistischen Insel reizvoll sein, wird angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit vom nördlichen Nachbarn aber als Bedrohung empfunden.
Ausgerechnet diejenigen, die Kuba bisher vorgeworfen haben, die Reisefreiheit seiner Bürger einzuschränken, fordern dies jetzt selbst. Auf einer Pressekonferenz in Miami kritisierten Vertreter mehrerer Anti-Castro-Gruppen in der letzten Woche, daß Kubaner zunehmend aus wirtschaftlichen Gründen in die USA kämen und nicht mehr das System in ihrer Heimat in Frage stellten. Sie forderten deshalb, die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach dem »Cuban Adjustment Act« mit einem Rückreiseverbot nach Kuba zu verbinden.
Das bekannteste Sprachrohr der ultrarechten Exilkubaner, die Kongreßabgeordnete Ileana Ros-Lethinen, die das Gesetz aus dem Jahr 1966 stets mit Zähnen und Klauen verteidigt hat, fordert jetzt dessen Veränderungen. Der »Cuban Adjustment Act« soll ihrer Vorstellung nach nur noch solchen kubanischen Bürgern zugute kommen, die aktiv für einen Umsturz und den Systemwechsel in ihrer Heimat kämpfen.
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