Edited by Gillian Palmer
Die Flucht von Edward Snowden ist auch eine politische Reise. Sie erzählt vom Zustand der Welt so viel wie vom Zustand Amerikas. Je mehr Landesgrenzen Snowden überwindet, desto mehr verfließen die moralischen. Seine Fluchthelfer sind keine Helden, sondern bleiben die autoritären Figuren, die sie immer waren.
Edward Snowden reist um die Welt auf der Suche nach dem, was sie in seiner Heimat einen safe haven nennen, einen sicheren Hafen. Es ist eine Flucht vor US-Fahndern, aber auch eine politische Reise, die vom Zustand der Welt so viel erzählt wie vom Zustand Amerikas.
Wie auch immer die Reise des früheren NSA-Zuarbeiters Snowden endet: Die USA sehen als selbsternannte Führer der freien Welt nicht gut aus. Anscheinend hat sich eine globale Allianz gebildet, um einen Whistleblower vor Washingtons erbarmungslosen Vollstreckungsbeamten zu retten. Je mehr Landesgrenzen Snowden überwindet, desto mehr verfließen die moralischen. Snowden als Held? Die USA als Schurke? Wladimir Putin als guter Hirte?
Um bei Snowden zu beginnen: Moralisch hat der 30-Jährige unter allen Beteiligten den besten Stand. Er dürfte gegen Strafgesetze verstoßen haben, aber dieses Unrecht könnte ausgeglichen werden durch den aufklärerischen Dienst, den er geleistet hat. Wie alle Whistleblower mag ihn Eitelkeit antreiben, aber es spricht viel dafür, ihn trotz seiner Schwächen und Widersprüche als Helden zu sehen. Er hat es nicht nur der US-Öffentlichkeit ermöglicht, klarer zu sehen.
Vorerst unterscheidet sich Snowden damit von dem Wikileaks-Gründer Julian Assange. Beide eint eine richtige Erkenntnis: Der Staat weiß zu viel über seine Bürger, die Bürger zu wenig über ihren Staat. Assange aber steht wegen mutmaßlicher sexueller Delikte unter Verdacht und verweigert sich den Ermittlern. Enthüller müssen zuweilen gegen Gesetze verstoßen; sie dürfen aber nicht für ihr ganzes Leben Immunität beanspruchen.
Snowdens Fluchthelfer allerdings sind keine Helden, sondern bleiben die autoritären Figuren, die sie immer waren. Es waren politische Entscheidungen der halbdemokratischen russischen Regierung und der gar nicht demokratischen chinesischen Regierung, ihn ziehen zu lassen. Beide Staaten interessieren sich nicht für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz, sondern dafür, ihre eigenen Dissidenten im Griff zu haben. Eine Verhaftung Snowdens hätte nur unnötige Unruhe erzeugt.
Dazu kommt freilich enorme Schadenfreude. Die USA haben den Chinesen erst jüngst erklärt, dass man Andersdenkende dulden und keine US-Computer hacken sollte. Nun jagen die Amerikaner einen Andersdenkenden, der nebenbei enthüllt, wie tief US-Spione in Chinas Computer eindringen. Auch Russlands Präsident Putin hat etliche Rechnungen mit den Amerikanern offen. Peking und Moskau eint der Widerwille dagegen, dass Washington für Standards eintritt, an die es sich selbst nicht hält.
Ein weiterer Trittbrettfahrer ist Ecuadors Präsident Rafael Correa: Er schikaniert zu Hause zwar kritische Medien, spielt aber den Freund der Transparenz, wenn er Assange Asyl gewährt und vielleicht auch Snowden. Dies verrät Correas Überzeugungen nur insoweit, als er die USA arrogant findet und sie ein bisschen vorführen möchte.
Amerika also. Unter allen genannten Ländern sind die USA dasjenige, in dem der Mensch die größte Freiheit besitzt zu sagen, was er will, selbst größten Unsinn. Andererseits hat der 11. September 2001 das Land nachhaltig verändert. Die Furcht vor neuem Terror spukt immer noch in den Köpfen der meisten Bürger und all jener, die in Washington Verantwortung tragen. Aus ihrer Sicht ist die maßlose Spionage der NSA notwendig. Das Volk ist bereit, einige geliebte Freiheiten aufzugeben für das Gefühl größerer Sicherheit.
Das aber macht die Verheimlichung der NSA-Programme nur verstörender. Statt darüber aufzuklären, zumindest in groben Zügen, erliegt die US-Regierung einem paranoiden Hang zu Verheimlichung. Das gilt sogar für die Aufarbeitung der Vergangenheit: Die Angeklagten in Guantanamo dürfen nicht öffentlich erzählen, was jeder weiß – dass sie gefoltert wurden. Regierungen brauchen Geheimnisse, sie brauchen vertrauliche Debatten, für Politikfindung, für Ermittlungsverfahren, für Spionagetechnik. Aber Regierungen haben nicht das Recht, die großen Linien zu verheimlichen. Präsident Barack Obama regiert nach einer seltsamen Maxime: Ich tue viel von dem, was George W. Bush tat, aber mir könnt ihr vertrauen, weil ich es tue. So viel Vertrauen aber verdient nicht einmal Obama.
Man kann aus dem Fall Snowden drei Lehren ziehen: Amerika, aber auch etliche Verbündete, überwachen zu viel, verheimlichen zu viel und haben keinen angemessenen Umgang mit jenen gefunden, die solche Exzesse aufdecken. Etwas stimmt nicht, wenn Whistleblower das Wohlwollen Chinas oder Correas brauchen, um einen sicheren Hafen zu finden.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.