US-Haushaltsstreit
Zocken um die Zukunft der Weltwirtschaft
Die USA rasen ungebremst auf eine fiskalische Klippe zu. Die Lehman-Krise ist im Vergleich dazu nur ein laues Lüftchen. Im Streit zwischen Obama und den Republikanern geht es um viel mehr als Macht.
Von Thomas Straubhaar, Washington
Wer kennt nicht die Szene, in der zwei Autos frontal aufeinander zurasen. Keiner der Kampfhähne ist bereit, auszuweichen. Beide warten darauf, dass der andere die Notbremse zieht. Lieber sterben als schwach werden, lautet die Devise einer Mutprobe für Halbstarke, die als “Chicken game” in der ökonomischen Spieltheorie ausführlich analysiert wird.
Was im Film “The Fast and the Furious” adrenalingeladene Action, aber eben lediglich Utopie ist, findet in absurder Weise momentan in der Wirklichkeit statt. Der amerikanische Präsident Barack Obama und sein republikanischer Gegenspieler John A. Boehner liefern sich ein “Chicken game”, bei dem es jedoch nicht wie im Kino nur um Sex and Crime, sondern um die Zukunft der Weltwirtschaft geht.
Ohne zu bremsen, rasen die beiden Protagonisten auf die fiskalische Klippe zu. Den USA droht das Geld auszugehen, sollten die Republikaner nicht in den nächsten Tagen nachgeben und einer Erhöhung der Staatsschuldengrenze zustimmen. Passiert das nicht, sind die USA spätestens am 17. Oktober zahlungsunfähig.
Ein Schock für die Weltwirtschaft wäre die Folge. Die Lehman-Krise würde vergleichsweise zum lauen Lüftchen. Jetzt käme es zu einem richtigen Sturm mit unberechenbaren Zerstörungen.
Ein Spiel um alles oder nichts
Wie kann es sein, dass sich intelligente Menschen zu einem “Chicken game” provozieren lassen? Vordergründig ist es ein Machtspiel. Der demokratische Präsident hatte gegen den Willen der Republikaner eine Gesundheitsreform durchgesetzt. Sie war für Barack Obama der größte politische Sieg und für die Republikaner die schmerzlichste Niederlage mit bleibenden Verletzungen.
In einem Spiel um alles oder nichts verband der Präsident sein gesamtes Prestige mit dem Gelingen der Gesundheitsreform. Geschickt argumentierte er, dass es nicht sein könne, während und nach der Finanzmarktkrise den Reichtum der Wohlhabenden mit staatlicher Hilfe zu retten und gleichzeitig nicht genug Geld zu haben, um kranke Menschen gesund werden zu lassen.
Damit hatte Obama die oppositionellen Republikaner auf die Anklagebank gesetzt und für die notwendige Unterstützung in der Öffentlichkeit gesorgt. Um nicht als einäugige Gehilfen der Wall Street am Pranger der Main Street zu stehen, mussten die Republikaner klein beigeben. Sonst hätten sich Zorn und Ärger der Massen gegen sie gerichtet.
Jetzt, Jahre nach der Finanzmarktkrise und am Anfang einer wenn auch noch nicht nachhaltig abgesicherten, so doch bereits deutlich spürbaren ökonomischen Verbesserung, sahen die Republikaner die Stunde gekommen, um Obama zu zeigen, wie die Machtverhältnisse wirklich sind.
Als Gegenleistung zu einer von ihnen verlangten Zustimmung zu neuen Staatsschulden konnten sie vom Präsidenten eine Rücknahme der Gesundheitsreform fordern. Das ist für sie die Chance, den Spieß umzudrehen und dem Präsidenten die Niederlage vergangener Tage heimzuzahlen.
Eitelkeiten und Verletzungen
Damit wird deutlich, dass es beim amerikanischen “Chicken game” zwar durchaus um Macht und Prestige geht. Jedoch spielen Eitelkeiten und Verletzungen, Hoch- und Demut sowie vergangene Erfolge und Misserfolge ebenso eine wichtige Rolle. Deutlich wird das in der Berichterstattung vor allem im Fernsehen.
Die geifernde Aggressivität der republikanischen Argumente, die Schrille des Tons und die unversöhnliche Schärfe der Rhetorik sind eindeutige Zeichen dafür, dass es der Opposition um mehr geht als um die Gesundheitsreform, die lediglich als Medium der eigentlichen Botschaft missbraucht wird.
Mit Hass und Häme wird Obama von den Republikanern als Verräter amerikanischer Ideale angeprangert. Dabei sind die ausufernden Staatsschulden nur das eine. Die Abkehr von der eigenen, privaten und individuellen Verantwortung für Gesundheit ist das andere.
Schlacht zwischen Liberalen und Konservativen
Eigentlich aber geht es den Republikanern ganz grundsätzlich um die Frage, ob Amerika im 21. Jahrhundert eines Sozialstaates bedarf und wieweit der eine für das Schicksal anderer verantwortlich sein soll. Hier tobt die von Michael Stürmer diagnostizierte ideologische Schlacht zwischen liberalen Demokraten und der radikal konservativen Tea-Party. Und was fehlt, ist ein tragender Fundamentalkonsens.
Anders als der schwarze Präsident, der offen ist für eine bunte Modernisierung alter Grundsätze fordern die Republikaner, teilweise sogar hinter die konservativen Prinzipien der Gründungsväter des 18. Jahrhunderts zurückzukehren. Für eine Rückkehr zum alten Amerika der WASP, der weißen, angelsächsischen Protestanten, sind sie bereit, alles zu riskieren und nichts aufzugeben. Für sie geht es hier um Kapitalismus oder Sozialismus, Leben oder Tod.
Lieber gemeinsam untergehen als dem anderen den Sieg überlassen. Das ist ein mögliches Ende des “Chicken game”, das nun auch den USA droht. Dass es andere Lösungen gibt, wissen selbst die Halbstarken aus “2 Fast 2 Furious”. Vielleicht sollten sich Barack Obama und John A. Boehner gemeinsam den Film ansehen. Dann würden die Chancen steigen, dass der Weltwirtschaft eine völlig unnötige Krise erspart bliebe.
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