Not at the Cost of Our Liberty

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Sicherheit nicht auf Kosten der Freiheit

Wer spioniert wen aus? Und welchen Preis zahlt die Demokratie? Auch in den USA wird der Ruf lauter, die Bürgerrechte gegen den Überwachungsstaat zu verteidigen. VON MATTHIAS NASS

13. Mai 2015 07:13 Uhr 23 Kommentare

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Matthias Naß ist Internationaler Korrespondent der ZEIT. Von 1998 bis 2010 war er ihr stellvertretender Chefredakteur.

Matthias Naß ist Internationaler Korrespondent der ZEIT. Von 1998 bis 2010 war er ihr stellvertretender Chefredakteur. | © Nicole Sturz

Zwei Jahre ist es nun her, seitdem uns Edward Snowden die Augen öffnete für die maßlose Daten-Sammelwut der US-Nachrichtendienste. Seit zwei Jahren liegt deshalb ein Schatten über den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Alle Bemühungen um Aufklärung blieben bisher vergeblich.

Nun, so scheint es, hat das Misstrauen in die Arbeit der Geheimdienste einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die Enthüllungen über die Zusammenarbeit von BND und NSA bei der Ausspionierung von Industrieunternehmen sowie von europäischen Politikern und Spitzenbeamten zeigen, dass aller öffentlicher Protest bisher nicht gefruchtet hat und dass die Kontrollversuche parlamentarischer Gremien ins Leere laufen.

Das ist ein deprimierender Befund. Und nichts deutet darauf hin, dass sich die Dinge zum Besseren wenden könnten. Bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheitsrechten entscheiden sich die Regierungen in Washington und in Berlin im Zweifel nach wie vor für die Sicherheit. Niemand will sich den Vorwurf machen lassen, nicht alles zum Schutz der eigenen Bürger zu unternehmen.

Wie wenig sich die US-Regierung dabei Beschränkungen unterwerfen will, dokumentiert die E-Mail-Korrespondenz zwischen Bundeskanzleramt und Weißem Haus, die am Wochenende in der Süddeutschen Zeitung nachzulesen war. Bemerkenswert ist der beharrliche Widerstand der amerikanischen Seite gegen das von der Bundesregierung vollmundig angekündigte No-Spy-Abkommen, und der fast unterwürfige Ton, mit dem der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin um Beachtung der deutschen Wünsche bittet.

Bei der Regierung Obama ist er damit abgeblitzt. Und weil der Eindruck, den dies alles macht, außerordentlich peinlich ist, lässt die Bundeskanzlerin ihren Sprecher beteuern: “Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen die Öffentlichkeit informiert.” Viel Wissen war dabei offenbar nicht im Spiel.

Nun wäre es allerdings falsch, die Welt der geheimen Nachrichtenbeschaffung in arglose Deutsche und finstere Amerikaner zu scheiden, gewissermaßen in Täter und Opfer. Dafür arbeiten die Dienste beider Länder zu lange, zu routiniert und zu reibungslos zusammen. BND und Bundesregierung haben bisher keine ausgeprägte Neugier gezeigt, wenn es um die Quellen ging, aus denen die amerikanischen Partner ihr Wissen schöpften, oder um die Methoden, mit denen dies gewonnen wurde.

Und der BND selbst liefert in großem Stil Informationen in die USA. Bis zu 1,3 Milliarden Metadaten, zeigen von ZEIT ONLINE ausgewertete Akten, gibt der deutsche Auslandsgeheimdienst pro Monat an die NSA weiter. Es ist ein munteres Geben und Nehmen.

Täter und Opfer – das stimmt auch deshalb nicht, weil in den Vereinigten Staaten genauso wie hierzulande eine intensive Debatte darüber begonnen hat, was den Nachrichtendiensten gestattet sein soll und was nicht. Am Donnerstag der vergangenen Woche hat ein Berufungsgericht in New York eine Passage des als Reaktion auf den 11. September verabschiedeten Patriot Act für illegal erklärt, die der NSA eine massenhafte Telefonüberwachung in den USA erlaubte.

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Im Kongress wächst die Zahl der Abgeordneten und Senatoren, die – auch als Reaktion auf das New Yorker Urteil – der Regierung das grenzenlose Sammeln von Telefondaten der US-Bürger verbieten will. Schon in den nächsten Wochen könnte das Repräsentantenhaus ein entsprechendes Gesetz beschließen.

Die American Civil Liberties Union (Aclu), die das Gerichtsverfahren in New York angestrengt hatte, streitet seit vielen Jahrzehnten für die Bürgerrechte. Sie ist eine Zierde amerikanischen zivilgesellschaftlichen Engagements. Und damit ist sie eine Verbündete all jener in Deutschland und in Europa, die sich dem Überwachungsstaat widersetzen.

Nicht der Atlantik trennt jene, die den Freiheitsraum in ihren Gesellschaften einengen oder wahren wollen. Der Graben verläuft vielmehr innerhalb Amerikas und Europas – zwischen den von Angst und Allmachtsfantasien getriebenen Überwachungsfanatikern und den auf Demokratie und Transparenz vertrauenden Kontrolleuren in den Parlamenten, in der Justiz und in den Medien.

Die Verteidigung der Bürgerrechte bleibt eine gemeinsame amerikanisch-europäische Aufgabe.

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