Frostiger Frühling
Die USA hissen ihre Fahne in Havanna, doch amerikanisiert wird Kuba so schnell nicht. Obama wie Castro müssen vorsichtig sein, zudem braucht Kuba die USA heute weniger. VON THOMAS FISCHERMANN
Da sind sie wieder: die verklemmten diplomatischen Spielchen zwischen Kuba und den USA. Der amerikanische Außenminister John Kerry hisst heute die Flagge neben seiner frisch eröffneten Botschaft an der Seepromenade von Havanna, und das Außenministerium beeilt sich mitzuteilen, dass dies wirklich nur im ganz kleinen Rahmen stattfinde. Kubanische Regierungsgegner seien deshalb nicht eingeladen. Kerry werde sich mit ihnen aber kurz treffen. Mit dem Staatschef Raúl Castro und dessen Bruder Fidel jedoch nicht. “Steht nicht im Terminplan”, lautet die Begründung.
So läuft das schon die ganze Zeit. Barack Obama und Raúl Castro haben im Dezember 2014, nach diplomatischen Geheimverhandlungen über knapp zwei Jahre, einen diplomatischen Frühling angekündigt. Seither betonen Vertreter beider Seiten ständig, wie frostig das Klima in Wahrheit sei.
Als am 20. Juli die kubanische Botschaft in Washington historisch bedeutsam eröffnete, erklärte ein Sprecher: Von der US-Regierung gehe da so gut wie keiner hin. Raúl Castro erinnert die Kubaner im Gegenzug gerne daran, dass das jahrzehntealte Wirtschaftsembargo der Amerikaner abgeschafft werden solle, bevor man überhaupt von “normalen Beziehungen” reden könne. Und die USA wiederum protestieren dagegen, dass auf Kuba neuerdings wieder so viele Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten festgenommen werden, so wie vor wenigen Tagen.
Daraus kann man zwei Dinge ablesen. Erstens: Obama wie Castro haben große Probleme damit, ihre zarte Liaison vor der Verwandtschaft zu rechtfertigen. Obama will mit der Öffnung nach Kuba diplomatische Tore in andere und wichtigere lateinamerikanische Länder öffnen, und vielleicht auch eine historische Tat für die Geschichtsbücher hinterlassen. Doch er darf nicht zu weit gehen, um konservative Kubahasser im Land nicht zu verärgern, wozu viele Ältere unter den Exilkubanern zählen. Castro muss erst recht vorsichtig agieren, denn auf Kuba waren und sind die USA ein äußerst beliebter äußerer Feind. Wenn es innenpolitisch brenzlig wird, konnte man immer noch vor den kriegslustigen Imperialisten im Norden warnen und damit den Parteiapparat zusammenhalten.
Die plötzliche Annäherung an die Nachbarn ist so schwer zu erklären, dass Castro bei Fernsehansprachen zu den USA sicherheitshalber in seiner Militäruniform auftritt. Der Staatschef versucht die Gratwanderung: eine wirtschaftliche Öffnung, die für Castro vor allem eine Lockerung auf US-Seite bedeutet – also weniger Embargo, mehr Rum- oder Zigarrenexporte in die USA und mehr Importe dringend benötigter Technikerzeugnisse, Baustoffe, Touristen und Autoteile. Dabei soll aber die Herrschaft des Parteiapparats und des Militärs gestärkt, der Sozialismus nicht abgeschafft, sondern verbessert werden. Zudem sollen Errungenschaften wie der hohe Bildungsgrad der Kubaner und die vergleichsweise egalitäre Einkommensverteilung gesichert bleiben. Eine äußerst vorsichtige, vom Staat straff gemanagte Öffnung der Wirtschaft steht also auf dem Programm, inspiriert von China oder Vietnam. Begleitet wird das von Machtgesten, zu denen unter anderem alle paar Wochen eine Massenfestnahme von Oppositionellen gehört.
Alle reden jetzt von einer bevorstehenden Invasion Amerikas, einschließlich Burgerbuden an jeder Ecke und brandneuen Autos aus Detroit statt Fünfziger-Jahre-Amischlitten. Aber es ist unklar, ob und wann diese kommt. Das Regime sitzt erstaunlich fest im Sattel. Kubanern fehlt es an vielem, und sie hätten gerne ein besseres Einkommen – aber dass sie deswegen über Nacht ihre Regierung absetzen wollten oder könnten, ist Träumerei. Schnelle Regime-Transformationen, so wie sie nach dem Mauerfall in Russland versucht wurde, haben dort zu einem Kaper-Kapitalismus und zu Oligarchien geführt, seither gelten sie sogar im Westen als diskreditiert.
Vor allem aber braucht das kubanische Regime die Amerikaner heute weniger als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. Zwar hätte man die USA gerne auf Kuba, ihr Geld und ihr Know-how wären überaus nützlich. Es ist aber nicht mehr um jeden Preis erforderlich. Aus aller Welt buhlen inzwischen private und staatliche Kapitalgeber um einen Platz auf der Insel. China trifft schon seit einiger Zeit riesige Investitionsvereinbarungen mit den Castros. Brasilien finanziert und baut derzeit einen riesigen Hafen neben Havanna. Venezuela liefert seit Jahren Öl nach Kuba und erhält dafür Dienstleistungen wie verliehene Ärzte und Krankenschwestern. Russland bietet eine Wiederbelebung der alten Freundschaft an und hat Kuba kürzlich eine Menge Altschulden erlassen.
Vor wenigen Wochen wurde sogar der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Havanna eingeladen. Raúl Castro empfing ihn zu einem unerwartet langen Gespräch. Man will künftig besser zusammenarbeiten, in der Technologie, im Handel, im Kulturaustausch. Signal an den Rest der Welt: Selbst 90 Meilen vor der amerikanischen Küste ist die Welt nicht mehr so sehr auf die USA fokussiert wie früher.
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