Obama Can Still Accomplish Plenty

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Was Barack Obama überhaupt noch erreichen kann

Von Matthias Kolb

12.27.2015

2016 wird der US-Präsident zur “lahmen Ente” und zum Wahlkämpfer. Eigenmächtig könnte Obama in Sachen Guantánamo und Waffengesetze Reformen umsetzen – und eine historische Reise antreten.

Als Barack Obama mit seiner Familie zum alljährlichen Weihnachtsurlaub nach Hawaii fliegt, ist er zufrieden. Kurz zuvor hatte die Welt in Paris ein ambitioniertes Klima-Abkommen abgeschlossen und der US-Präsident sagte voller Pathos: “Ich stelle mir vor, wie ich mit meinen Enkeln einen Sonnenuntergang anschaue. Dabei werde ich wissen, dass die künftigen Generationen saubere Luft und sauberes Wasser haben werden. Was kann es Wichtigeres geben?”

Der Klima-Deal ist ein großer Erfolg für Obama, für den er nicht auf die Republikaner und den US-Kongress angewiesen ist. Per Dekret hatte er bereits die Keystone-Pipeline abgelehnt und strengere CO₂-Emissionen für US-Kohlekraftwerke angeordnet. Mit dem Rest der Welt für saubere Luft zu kämpfen, diese Führungsrolle mag der Demokrat – er könnte der Öl- und Autoindustrie weitere Auflagen machen.

Obama selbst gab sich in der Abschluss-Pressekonferenz “optimistischer denn je”, doch auch ein US-Präsident ist getrieben von Entwicklungen, die er nicht beeinflussen kann. Und dass er im Kampf gegen den IS nicht nur in den Augen vieler Republikaner zu wenig leadership zeigt, ist die andere Geschichte des siebten Jahres von Obamas Amtszeit.

Die Rede, mit der er sein verunsichertes Volk nach Paris und San Bernardino beruhigen will, illustriert das Dilemma. Zwar steht Obama hochsymbolisch im Oval Office, doch er bietet nichts Neues. Er verkündet nur, was er nicht tun werde und dass er die USA aus einem weiteren Krieg in Nahost heraushalten wolle. Also schimpfen die Republikaner über den “Schwächling im Weißen Haus”, während die Demokraten ihn pflichtschuldig verteidigen. Dies wird in Europa oft übersehen: Obama ist zwar ein glänzender Rhetoriker, aber er überzeugt im polarisierten Amerika nur noch jene, die seine Meinungen teilen.

Fünf Themen, die dem Präsidenten wichtig sein dürften

Also sollte niemand allzu viel von seiner letzten “Rede zur Lage der Nation” erwarten, die Obama am 12. Januar 2016 halten wird. Traditionell werden in einem Wahlkampfjahr wenig neue Gesetze initiiert, damit der neue Präsident mehr Spielraum hat – und weil der Amtsinhaber mit jedem verstreichenden Tag an Macht verliert. Doch auch als lame duck kann Obama Akzente setzen – und dem 54-Jährigen werden wohl diese fünf Themen wichtig sein.

Sein Nachfolger muss ein Demokrat sein. Als erster Afroamerikaner wird Obama stets einen besonderen Platz unter den US-Präsidenten haben. Damit seine anderen Leistungen – Obamacare, Abschiebestopp für illegale Einwanderer, höherer Mindestlohn für Staatsbedienstete – Bestand haben, sollte ihm kein Republikaner nachfolgen. Dieser könnte das Pariser Klima-Abkommen ignorieren oder den im Sommer beschlossenen Atom-Deal mit Iran kippen. Egal ob für Hillary Clinton oder Bernie Sanders: Obama wird sich ins Zeug legen, damit viele Schwarze und Latinos wählen gehen. Je höher deren Beteiligung, umso eher können die Demokraten den Senat zurückerobern. Noch gefragter ist aber jemand anders: First Lady Michelle ist viel populärer als ihr Mann.

Klare Worte zu Rassismus, Gefängnissen und Polizeigewalt. Ende 2014, nach Ferguson, waren manche Afroamerikaner von Obama enttäuscht. “Er hat mehr für Schwule getan als für Schwarze”, bilanzierte der New Yorker-Kolumnist Jelani Cobb. Nun ist das anders: Er spricht selbstbewusster über Amerikas Rassismus (“nicht vorbei, weil die Leute nun in der Öffentlichkeit nicht mehr Nigger sagen”), er hat als erster Präsident ein Bundesgefängnis besucht und mit Häftlingen gesprochen. Er hat Drogendealer begnadigt und will Mindeststrafen reduzieren. Je näher Obamas letzter Tag im Weißen Haus rückt, umso klarer drückt er sich aus. Ob er – wie bei der Trauerfeier in Charleston – 2016 wieder singt, wird sich zeigen.

Strengere Waffenkontrollen – irgendwie. Obama klagt selbst über die “Routine”: Regelmäßig muss er nach Schießereien Opfer-Familien trösten. Dass die Gesetze nicht strenger werden, frustriert ihn, doch 2016 könnte er es erneut versuchen: Er könnte die Waffenhersteller einladen und drängen, selbst für mehr Sicherheit zu sorgen (etwa durch einen Fingerabdruck-Scan). Das Kalkül: Ein Treffen im Weißen Haus auszuschlagen und nichts zu tun, das kann sich nicht mal die Waffenindustrie leisten. Alternativ könnte er etwa per Präsidialdekret verfügen, dass Waffengeschäfte ab einer bestimmten Zahl an Verkäufen den persönlichen Hintergrund der Käufer überprüfen müssen. Begründen könnte das Weiße Haus diesen kontroversen Schritt mit der öffentlichen Sicherheit – und der Tatsache, dass laut Umfragen die Mehrheit der US-Bürger mehr Kontrollen befürwortet.

Waffengewalt in den USA – Land der Schießereien

Lässt sich das Lager auf Guantánamo per Dekret schließen? Es scheint völlig offen, ob Obama sein Wahlversprechen doch noch erfüllt und das “schandvolle” Gefangenenlager auf Kuba schließt. Nicht nur die New York Times argumentiert, dass der Präsident dies per Dekret anordnen könnte: Das Lager nütze nur der IS-Propaganda und schade dem Ansehen der USA – und in den 14 Jahren seines Bestehens wurden fünf Milliarden Dollar ausgegeben. Die etwa 100 Gefangenen müssten dann aufs US-Festland transferiert werden – ein Schritt, den die Republikaner im Kongress vehement ablehnen (per Gesetz müssen die Abgeordneten 30 Tage vor einer Verlagerung informiert werden). Sollte Obama es dennoch tun, würde er sein Recht, als Präsident Fakten zu schaffen, extrem ausreizen. Die Entscheidung wird dem Juristen Obama schwerfallen: Einerseits könnte er etwas “Unamerikanisches” beenden. Andererseits würde er einen Präzedenzfall schaffen, auf den sich künftige Republikaner-Präsidenten berufen können, wenn sie sich über – demokratische – Mehrheiten im Kongress hinwegsetzen.

Historische Reise nach Havanna. Ende 2014 erklärte Obama, dass die USA wieder diplomatische Beziehungen mit Kuba aufnehmen sollten. Mittlerweile gibt es offizielle Botschaften in beiden Staaten und Obama hat die Hoffnung, dass er noch als US-Präsident nach Havanna reisen kann. Im Interview mit ABC News berichtet er, dass Präsident Castro eine Bedingung gestellt habe: “Ich reise nur, wenn ich Demokratie-Aktivisten treffen kann. Ich will mit jedem reden können.” Ein solcher Besuch – zuletzt reiste 1928 Calvin Coolidge als US-Präsident nach Kuba – würde die passenden Bilder für diese bemerkenswerte Kehrtwende liefern und an etwas erinnern, was Obama bei seiner Amtseinführung gesagt hat: “Wenn Länder den Willen zeigen, ihre Faust zu öffnen, dann werden sie unsere ausgestreckte Hand finden.”

Zum Ende der zweiten Amtszeit konzentrieren sich US-Präsidenten gern auf die Außenpolitik – Bill Clinton setzte alles daran, den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern voranzutreiben. Hier wird sich Obama wohl kaum persönlich engagieren, denn mit Premier Benjamin Netanjahu verbindet ihn eine gegenseitige tiefe Abneigung.

Sein Image als Präsident wird auch beeinflussen, ob der US-Kongress das transpazifische Freihandelsabkommen TPP akzeptiert, für das Obama ständig wirbt. Ansonsten werden das Verhältnis zur aufstrebenden Supermacht China, die Rivalität mit Russlands Präsident Putin und die Lage in der Ostukraine sowie der Kampf gegen die IS-Dschihadisten viel von Obamas Zeit in Anspruch nehmen.

Und da langfristige Lösungen wohl nicht zu erwarten sind, wird sich sein Nachfolger – oder seine Nachfolgerin – vom 20. Januar 2017 an genau mit diesen Themen beschäftigen müssen.

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