The Sacrificial Lamb

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Jason Swede macht sich Sorgen. Der Amerikaner baut auf seinem Betrieb nahe Rochester im Bundesstaat New York neben Mais und Weizen vor allem Sojabohnen an. Rund vier Millionen Dollar erwirtschaftet er im Jahr, inzwischen hat er zehn Angestellte. Mehr als 60 Prozent des Sojas exportiert er, vor allem nach China. “China ist für uns der mit Abstand größte Exportmarkt”, sagt Swede. China verwendet das Soja vor allem als Tierfutter oder verarbeitet es zu Lebensmitteln weiter. Doch ob er weiterhin auf China setzen kann, daran zweifelt der Landwirt. “Wenn die Zölle bestehen bleiben, dann verlieren wir diesen Markt”, sagt er.

Seit China im April erstmals Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Soja aus den USA eingeführt hat, geht die Nachfrage zurück. Einige seiner Kunden berichten, dass der Preis für ein Bushel Soja (35,2 Liter) teilweise um bis zu 20 Prozent eingebrochen sei. “Für die Produzenten in den USA ist das eine Katastrophe”, sagt Swede, der auch Vorsitzender der New York Corn and Soybean Growers Association ist, dem Dachverband der regionalen Mais- und Sojabauern.

Wie auf dem Schulhof

Seit einigen Tagen eskaliert der Handelsstreit der beiden weltgrößten Volkswirtschaften. Vergangene Woche hatte das Weiße Haus angekündigt, Importzölle auf chinesische Güter im Wert von 50 Milliarden Dollar zu erheben. So will Trump Peking dazu zu bewegen, umstrittene Handelspraktiken aufzugeben, mit denen es sich nach Meinung der Amerikaner einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft.

China kündigte daraufhin an, Zölle auf US-Güter im Wert von 70 Milliarden Dollar einzuführen. Das wiederum konterte Trump mit der Ankündigung, weitere Zölle auf chinesische Güter im Wert von 200 Milliarden Dollar zu erheben. Weitere Erhöhungen behielt er sich vor. Wäre dies ein Schulhofstreit, kommentierte der US-Sender NPR, dann habe Trump gerade das Klappmesser gezückt.

Für den US-Präsidenten sind die Zölle vor allem ein Instrument, um sein Wahlkampfversprechen “America first” einzulösen und das vermeintliche Ungleichgewicht zwischen China und den USA in den Handelsbilanzen auszubessern. Viel zu lange hätten Europa und Asien auf Kosten der USA ihre eigene Wirtschaft angekurbelt, so die Argumentation. Trump spekuliert darauf, dass die Regierung in Peking angesichts eines Handelsüberschusses von 375 Milliarden Dollar gegenüber den USA kaum mehr reagieren kann: Worauf soll es noch Importzölle erheben? China, so die Überzeugung, sei abhängiger von Amerika als andersherum.

Doch viele US-Unternehmen fürchten, zum Bauernopfer im Kräftemessens zwischen Washington und Peking zu werden. Man teile zwar die Bedenken des Präsidenten gegenüber den Geschäftspraktiken der Chinesen, so der Business Roundtable, eine der einflussreichsten Wirtschaftslobbygruppen in Washington. “Einen Handelskrieg zu riskieren ist aber der falsche Weg, um die Probleme mit China zu lösen.” Am Ende könnte sich die Trump-Regierung mit dem harten Kurs gegenüber China selbst schaden. Denn Peking weiß, wo die US-Wirtschaft angreifbar ist. Mit seinen Vergeltungszöllen zielt es vornehmlich auf Agrarprodukte wie Fleisch, Milch und Getreide, aber auch den Energiesektor und die Autoindustrie. Damit trifft die chinesische Regierung vor allem jene Regionen, die bei der Präsidentschaftswahl mit überwältigender Mehrheit Donald Trump gewählt haben.

China ist der größte Abnehmer für Schweinefüße aus den USA

Allein im vergangenen Jahr importierten die Chinesen Landwirtschaftsgüter im Wert von 24,1 Milliarden Dollar aus den USA. Agrarprodukte machen etwa 20 Prozent der Gesamtimporte aus. Mit Abstand ist China etwa der größte Abnehmer für Schweinefüße, Innereien und andere Reste aus der amerikanischen Fleischindustrie: 416.000 Tonnen im Wert von 874 Millionen Dollar exportierten die Amerikaner 2017. Seit der ersten Zollrunde im April aber seien die Lieferungen nach China nahezu zum Stillstand gekommen, warnen Branchenanalysten.

Auch die amerikanische Kohleindustrie fürchtet die Vergeltung aus Fernost. Nach der Wahl hatte Trump versprochen, die Branche wiederzubeleben – und tatsächlich haben die USA ihre Kohleexporte im vergangenen Jahr kräftig gesteigert, allein um 61 Prozent im vergangenen Jahr nach Asien. Seitdem Trumps Vorgänger Barack Obama das Exportverbot von Schweröl aufgehoben hat, ist China sogar zum drittgrößten Abnehmer hinter Mexiko und Kanada aufgestiegen. Nach Einführung der Zölle aber wird es immer schwerer für US-Firmen, mit dem asiatischen Markt zu planen.

Die langfristigen Gefahren könnten noch schwerer wiegen, denn der Streit mit China gefährdet die Attraktivität der USA als Produktionsstandort für ausländische Hersteller. Erst am Donnerstag gab der Daimler-Konzern eine Gewinnwarnung für das laufende Geschäftsjahr heraus. Im ersten Quartal hatten die Stuttgarter noch Rekordzahlen gemeldet, vor allem dank der Lieferungen von SUV aus den US-Fabriken nach China. Jetzt aber warnt Daimler: Wegen der neuen Einfuhrzölle werde der Absatz in China zurückgehen, die steigenden Kosten ließen sich eben nicht vollständig an die Kunden weitergeben. BMW, gemessen am Exportwert der größte Autoexporteur der USA, muss laut Analysten der Firma Evercore durch die Zölle sogar mit Einbußen in Höhe von 965 Millionen Dollar rechnen. Allein aus seinem Werk in South Carolina exportierte der deutsche Autobauer im vergangenen Jahr gut 100.000 Fahrzeuge nach China.

Selbst engste Verbündete warnen

Angesichts der Reaktionen aus China ist die einflussreiche US-Handelskammer überzeugt: “Das ist nicht der richtige Ansatz.” Amerikanische Produzenten, Landwirte und Verbraucher seien am Ende die Verlierer des Zollstreits. Dabei ist die Kammer eigentlich ein verlässlicher Verbündeter republikanischer Präsidenten. Selbst Gary Cohn, bis April noch einflussreicher Wirtschaftsberater des Präsidenten, warnte in der vergangenen Woche, ein Handelskrieg mit China könne die Gewinne der US-Steuerreform zunichtemachen. “Wir unterstützen den Präsidenten, aber wir machen uns Sorgen, weil die Landwirtschaft im Zentrum dieses Handelskriegs steht”, sagt auch der republikanische Abgeordnete James Comer aus Kentucky, wo die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.

Unterstützung bekommt Trump dagegen von ungewohnter Seite. “Was der Präsident mit China macht, trifft ins Schwarze”, sagt der demokratische Senator Chuck Schumer – sonst einer der lautstärksten Kritiker des US-Präsidenten. “China ist unser wahrer Feind, wenn es um den Handel geht.” Mit dem Diebstahl von geistigem Eigentum und unfairem Wettbewerb gefährde China Millionen von Arbeitsplätzen in den USA. Seine vehemente Kritik ist nicht uneigennützig: Als Senator von New York ist Schumer nicht nur für die liberale Metropole zuständig, sondern auch für die Landwirte im Norden. Und er ist nicht allein. Auch der demokratische Senator aus Ohio, Sherrod Brown, der sich im November den Wählern stellen muss, nannte die Zölle ein “wichtiges Zeichen, dass sich die USA von China nicht an der Nase herumführen lassen”.

Der Sojabohnen-Landwirt Swede kann die Kritik an China zwar verstehen, doch vorerst hat er andere Sorgen. “Wir versuchen irgendwie in der Gewinnzone zu bleiben”, sagt er. Der Landwirt zurrt etwa die Preise für seine Lieferungen frühzeitig fest, um sich vor weiteren Preiseinbrüchen zu schützen. Und er hofft, dass im Ernstfall eine Versicherung für US-Landwirte einspringt. “Wenn ich Glück habe, merken beide Parteien bis dahin, wie wichtig sie füreinander sind.”

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