Nichts ist gut
Das Electoral College hat Joe Bidens Sieg bestätigt, die Demokratie hat gesiegt. Doch Donald Trumps Abgang wird nicht überdecken, dass in den USA etwas zerstört wurde.
Joe Biden wird der nächste Präsident der USA. Das haben die Bürgerinnen und Bürger vor sechs Wochen bei der Wahl entschieden. Vier Tage später riefen es CNN und die anderen TV-Sender aus. In mehr als 50 Klagen bestätigen Gerichte von Pennsylvania bis Georgia die Stimmen für den Demokraten. Das Justizministerium sah keine Anzeichen von Wahlbetrug. Schließlich stellte sich noch der Oberste Gerichtshof in gleich zwei abgewiesenen Klagen gegen jeden juristischen Versuch, Bidens Sieg noch zu verhindern. Und am Montag wählten die Wahlleute des Electoral College auch formal Joe Biden. Am Ende erhielt er alle 306 demokratischen der insgesamt 538 Stimmen. Niemand scherte aus.
Eigentlich ist die Zusammenkunft des Electoral College sechs Wochen nach einer Präsidentschaftswahl nicht mehr als eine Randnotiz. Eine Formalität, von der kaum jemand weiß, wann und wie genau sie stattfindet. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die sechs Wahlleute in Nevada etwa hielten ihre Stimmzettel während ihrer Zoom-Konferenz lang und deutlich in die Kamera. Am 6. Januar wird der neue Kongress noch einmal alle Stimmen zählen und Mike Pence als Präsident des Senats den Sieger ausrufen. Es wird Joe Biden sein.
Schon werden Witze erzählt, wie oft Biden wohl noch zum Präsidenten gewählt werden wird bis zur Amtsübergabe am 20. Januar. Allein, witzig ist das leider nicht. Es ist erschreckend. Die letzten vier Jahre haben etwas zerstört in diesem Land
Am Ende hat die Demokratie standgehalten, ja. Nicht nur die Wahlleute haben ihre Rolle ausgefüllt. Auch die Judikative hat sich resilient gezeigt. Richterinnen und Richter haben in Bundesstaaten jede noch so absurde Klage des Trump-Lagers geprüft und beurteilt. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen. Der Supreme Court, mehrheitlich konservativ besetzt, weil Trump selbst während seiner Amtszeit drei Posten neu besetzen konnte, hat sich nicht zum Instrument des Präsidenten machen lassen. In ihrer jüngsten Entscheidung bezüglich möglicher Wahlmanipulationen zeigten sich alle neun Richter entschlossen, vor allen anderen Dingen das Gesetz zu achten. Und signalisierten dem Präsidenten außerdem, es gut sein zu lassen. Das alles ist ermutigend. Ein Signal dafür, dass die USA sich noch einmal für die Demokratie entschieden haben.
Donald Trump wird es nicht gut sein lassen
Doch in diesem “noch einmal” liegt das ganze Drama der vergangenen Wochen. Darin liegt die Erleichterung, dass sich die Institutionen und eine Mehrheit der Bürger erfolgreich gegen den Versuch gewehrt haben, eine Präsidentschaftswahl zu stehlen. Darin liegt aber auch die Erkenntnis, dass es anders hätte ausgehen können. Dass es lange nicht mehr ausgemacht ist, dass die demokratischen Werte in diesem Land immer über allem stehen werden.
Donald Trump wird es nicht gut sein lassen. Seine Anhänger werden es nicht gut sein lassen und substanzielle Teile der Republikanischen Partei auch nicht. 77 Prozent der Trump-Wähler sind laut einer Fox-News-Umfrage der Ansicht, dass ihr Präsident gewonnen hat. Das ist keine marginale Gruppe, das lässt sich nicht wegwischen mit Bildern, wie Joe Biden die Hand auf die Bibel legt und dann als Präsident gemeinsam mit Kamala Harris ins Weiße Haus schreitet.
Misstrauen braucht keine Fakten
Donald Trump ist nicht mehr als Phänomen abzutun, das kommt und geht und der Stabilität dieser zweieinhalb Jahrhunderte alten Demokratie nichts anhaben kann. Er wird sich weiterhin weigern, seine Niederlage einzugestehen. Würde es noch einen Weg geben, diese Wahl zu stehlen, Trump würde ihn gehen. Wie illegitim er auch sein möge.
Einige seiner treuesten Anhänger im Repräsentantenhaus wollen die offizielle Auszählung am 6. Januar nutzen, um noch einmal Einspruch gegen einzelne Ergebnisse einzulegen, und damit die Stimmen der Wahlleute aus dem jeweiligen Bundesstaat für ungültig erklären lassen. Es ist derart unwahrscheinlich, dass nicht mal die eigene Partei daran glaubt. Außerdem ist die Rede davon, “alternative Wahlleute” nach Washington zu schicken. Und der Klage aus Texas, die der Supreme Court abgeschmettert hat, hatten sich 126 republikanische Abgeordnete angeschlossen.
Das Gewinnen über alles stellen
Bei all dem geht es nicht um den Glauben an den Erfolg, es geht um das Misstrauen und den Zweifel, die darin liegen: gegenüber dem Staat, den Gerichten, den demokratischen Prinzipien und dem politischen Gegner sowieso. Misstrauen braucht kein logisches Ende einer Geschichte, Misstrauen braucht keine Fakten. Millionen Menschen glauben Trump den Zweifel, den er über Jahre hinweg gesät hat. Und den seine Partei in weiten Teilen mitgetragen hat und weiterführen wird.
Auch wenn sich ein paar republikanische Politiker nun endlich aus der Deckung trauen und Joe Bidens Sieg anerkennen, ist es nicht mehr ausgemacht, dass diese Partei die Demokratie verteidigen wird. Oder doch lieber das Gewinnen über alles stellt, egal mit welchen Mitteln.
Joe Biden sagte am Montagabend, das Land solle nach der Wahl nun ein neues Kapitel aufschlagen. Viele sehnen sich danach. Doch Amerika wird das Kapitel Trump nicht einfach zuklappen können, ohne zu akzeptieren, was es der Geschichte des Landes hinzugefügt hat. Es ist eine Erzählung einer fragilen Demokratie und einer Gesellschaft, die sich nicht mehr einig darüber ist, wie diese Geschichte weitergeschrieben werden soll.
81.283.495 Wählerinnen und Wähler glauben an die Demokratie und daran, dass es sich lohnt, die mit ihr verbundenen Werte zu verteidigen. Ihnen gegenüber stehen 74.223.755, die Donald Trump weitere vier Jahre ihr Land überlassen wollten. Es ist noch einmal gut gegangen. Und doch ist nichts gut in Amerika.
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