2 Thankless Issues for the Vice President*

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Zwei undankbare Themen für die Vizepräsidentin

Die Erwartungen immens, die Realität mühsam: Kamala Harris tut sich auch neun Monate nach Amtsantritt als US-Vizepräsidentin schwer. Das hat auch mit Joe Biden zu tun.

Die Scharfschützen bräuchten ihre Ferngläser im Grunde nicht. Das Dach der ehemaligen Rettungsstation ist nicht besonders hoch, der Platz, der überblickt werden muss, klein. Nichts an diesem Hinterhof ist weitläufig oder gar glamourös. Obwohl die Vizepräsidentin an diesem Tag kommt. Aber Vizepräsidentin in den Vereinigten Staaten zu sein, das ist weniger oft der rote Teppich, als es der Titel glauben macht. Profis brauchen auch keinen roten Teppich und Kamala Harris ist Profi. Als sie in der Dämmerung auf die Bühne läuft, auf der nicht mehr als ein paar Menschen Platz haben, stimmen die Zuschauerinnen und Zuschauer spontan Happy Birthday an. Harris ist einen Tag zuvor 57 geworden. Im Weißen Haus gab es Torte; in Dumfries in Virginia gibt es ein nicht besonders lautes, etwas schiefes Ständchen. Harris lacht dazu ihr Lachen, das nichts Einstudiertes hat, nicht so recht zu den perfekten images passen mag, die die US-amerikanische Politik oft produziert, und das sie gerade deshalb so gut macht auch auf diesen kleinen Bühnen.

Und Harris zeigt an diesem frühen Abend nur eine knappe Autostunde vom Weißen Haus in Washington, D. C., entfernt eine zweite Qualität. Sie spricht noch nicht lang, um Werbung für den demokratischen Gouverneurskandidaten Terry McAuliffe zu machen, der Anfang November gewählt werden will, als es im Publikum unruhig wird. Ein paar Klimaaktivisten sind gekommen. In einer kleinen Menge sind auch wenige Stimmen laut, sie schreien an gegen Harris und gegen eine geplante Teersandpipeline. Sie fordern mehr Klimaschutz von der Regierung ein. Kurz wird es hektisch, der Secret Service eilt herbei, alle sind abgelenkt davon, worum es eigentlich gehen soll.

Bis Harris die Kontrolle übernimmt. Laut wird, ohne zu schreien, energisch, ohne zu übertreiben. “Wir werden uns nicht ablenken lassen. Wir werden uns nicht beirren lassen. Wir werden uns nicht abschrecken lassen. Diese Wahl ist zu wichtig”, ruft sie ins Mikrofon. Alle Aufmerksamkeit liegt wieder bei ihr. Und sie hält sie bis zum Schluss. Es ist ein flüchtiger Moment, aber er zeigt, wie der Profi Harris aufdrehen kann, und ihre Willenskraft. Die es braucht auf den Hinterhöfen und roten Teppichen Amerikas. Die es braucht, um nach 48 weißen Männern die erste weibliche Vizepräsidentin und erste Person of Color im Amt zu sein.

Der Rest des Auftritts verläuft wie geplant, eine kompakte Rede, gemeinsames Abschlussfoto mit den Kandidaten und die wenigen Stufen runter von der Bühne. Während die Scharfschützen ihre Ferngläser und die Menschen ihre Wahlkampfschilder wegpacken, ist Harris schon wieder Richtung Washington, D. C., unterwegs. Die Tage sind voll und längst nicht alles ist so leicht zu erledigen wie die Wahlkampfhilfe für ihre Partei. Obwohl die Vizepräsidentschaft stets im Halbschatten des Präsidenten stattfindet, ist wohl noch niemand in diesem Halbschatten so ausgeleuchtet worden wie Kamala Harris.

Sie steht mehr unter Beobachtung als andere

Das liegt zum einen darin begründet, dass sie die erste Vizepräsidentin ist, seit das Amt 1789 das erste Mal besetzt wurde. Das wurde von allen Seiten instrumentalisiert. Harris nutzte es für sich in ihrem Wahlkampf. “Was für eine Kühnheit von Joe, eine Frau als Vizepräsidentin zu wählen”, sagte sie im vergangenen November, als der Sieg von Joe Biden feststand. Gegner wiederum nutzen Harris’ Geschlecht und ihre Hautfarbe für alle möglichen und unmöglichen Angriffe auf sie, weil es immer noch genug Menschen gibt, die auch als Vizepräsident Nummer 49 nur einen weißen Mann sehen wollen.

Zum anderen steht Harris unter stärkerer Beobachtung als andere mächtige Vizepräsidenten – Dick Cheney etwa in der Regierung George W. Bush –, weil Joe Biden der Präsident ist. Der 78-Jährige ist der älteste Präsident, den das Land je hatte. Seit Harris in seinem Team ist, wird spekuliert, dass sie 2024 als Kandidatin für die Demokraten antreten wird, Biden nur eine Amtszeit macht. Doch sicher ist das nicht. Biden ist durchaus zuzutrauen, noch einmal anzutreten. Und Harris tut sich auch neun Monate nach ihrem Amtsantritt schwer mit ihrer Rolle. Es gibt Berichte über ein schlecht geführtes Büro und problematische Arbeitsbedingungen; von Beginn an wurde debattiert, womit sich Harris profilieren kann, mit Blick auf ihr Amt und auch ihre Rolle innerhalb der Demokraten.

Es sind vor allem zwei Themen, um die sich Harris kümmern soll. Und beide sind aus strategischer Sicht keine Gewinnerthemen. Biden übertrug ihr zunächst die Einwanderungs- und Grenzpolitik. Von Oktober 2020 bis Ende September 2021 haben die Einwanderungsbehörden mehr als 1,7 Millionen Menschen an der Grenze zu Mexiko festgenommen, so viele wie seit Jahren nicht mehr. Es ist ein Geschenk für die Republikaner, um die Biden-Regierung als unfähig und ineffektiv zu bezeichnen und die Angst vor einer massenhaften illegalen Einwanderung ins Land schüren zu können. Harris wartete lange mit ihrem ersten Besuch an der Grenze, Ende Juni ging sie nach El Paso, auch weil der Druck der Republikaner immens war.

Kann Harris Präsidentin?

Eine Lösung in der schwierigen Einwanderungspolitik hatte sie natürlich nicht dabei. “Wir können nicht einfach davon ausgehen, dass es nur ein Element oder einen Weg gibt, das Gesamtproblem anzugehen”, sagte sie damals. Damit sind keine positiven Schlagzeilen zu machen, es ist nichts, womit Harris glänzen kann. Politisches Kapital lässt sich für die Republikanerinnen hier sehr viel leichter gewinnen. Als im September in Del Rio die nächste Katastrophe drohte, als Tausende Migranten überwiegend aus Haiti die Grenze überqueren wollten, war lediglich der Heimatschutzminister vor Ort. Es sind keine Bilder, mit denen die Regierung assoziiert werden will.

Auch Harris’ zweites Kernthema ist ein zentrales, aber kaum lösbares Projekt. Um dieses soll sie selbst gebeten haben, berichteten US-Medien. Das Wahlrecht wollen die Demokratinnen stärken, das For-the-People-Gesetz soll auf Bundesebene dafür sorgen, Zugang zu Wahlen zu stärken und für alle Bürgerinnen und Bürger leicht möglich zu machen. Genau das versuchen die Republikaner in einzelnen Bundesstaaten mit Reformen zu verhindern. Auch hier wird es schwer werden für Harris, schnelle Erfolge zu verkünden.

Harris braucht, will sie ihr Profil stärken, mehr als sichtbare Auftritte an der Seite von Biden. Sie braucht eigene. Das Problem eines jeden Vizepräsidenten und einer jeden Vizepräsidentin ist die Abhängigkeit vom Präsidenten. Niemand in der Regierung ist stärker an ihn gebunden. Harris und Biden betonen stets, wie eng sie zusammenarbeiten, fast täglich beraten sie gemeinsam. Das heißt aber auch, dass Harris nur schwer eigenständig agieren kann. Alles geschieht stets in enger Abstimmung mit dem West Wing. Auch andere Kabinettsmitglieder sollten ihrem Präsidenten nicht in den Rücken fallen. Aber ein Verkehrsminister Pete Buttigieg etwa, der auch gern genannt wird, wenn es um die Zukunft der Partei geht, kann sich in seiner Rolle sehr viel freier profilieren als Harris.

“Sie ist mitfühlend”

Seit Bidens Sozialagenda in der eigenen Partei blockiert wird, tourt Harris wie der Präsident durchs Land, um für die Programme zu werben. Der Plan war einmal ein anderer gewesen. Harris war im vergangenen Jahr selbst für die Präsidentschaftskandidatur angetreten. Sie musste schnell aufgeben, weil sie in den Umfragen chancenlos war. Einer der Gründe dafür war auch, dass viele Wählerinnen und Wähler keine klare Vorstellung davon hatten, wofür die ehemalige Generalstaatsanwältin und Senatorin aus Kalifornien stand. Ein Problem, das sich als Vizepräsidentin nicht unbedingt leichter lösen lässt. Medien aus dem rechten Spektrum wie The Daily Wire titeln bereits, Harris sei die unbeliebteste Person in diesem Amt seit 50 Jahren. Die Umfragen in Bezug auf die Vizepräsidenten sind tatsächlich weniger klar, als es die Schlagzeile gern hätte. Eine aktuelle Gallup-Umfrage sieht Harris bei einer Zustimmungsrate von 49 Prozent. Das ist kein brillanter Wert, aber das erste Mal seit Amtsantritt liegt der Präsident in der Gallup-Erhebung noch niedriger, bei 43 Prozent. Es wird ein schwieriger Balanceakt für Harris, Loyalität zu Biden zu zeigen und trotzdem ihre unabhängige, eigene Stimme zu finden.

Im Publikum in Dumfries hat sie ihre Fans. Hilda Thompson glaubt an eine Präsidentin Kamala Harris. “Sie ist mitfühlend”, sagt Thompson. Für Claudine Beckford, die mit ihr gekommen ist, ist vor allem das Thema Wahlrecht entscheidend. Die 72-Jährige ist regelmäßig Wahlhelferin und sieht in den Reformen der Republikaner einen Angriff auf die Demokratie des Landes. “Es macht unseren ganzen Fortschritt zunichte.” Sie hofft auf die Demokraten und auf Kamala Harris.

Es könnte das Thema für Harris sein, das zwar keinen einfachen politischen Erfolg verspricht, aber die Demokraten in kommenden Wahlkämpfen mobilisiert. “Save our democracy”, Demokratie schützen, lässt sich auf jeden Fall gut auf T-Shirts und Buttons drucken. Und es ist eine Botschaft, die auch international gut funktioniert. Dort tritt Harris schon mehr und mehr aus dem Halbschatten heraus, sie war in Zentralamerika und in Asien. Im November unternimmt sie ihre dritte Reise, in Frankreich kommt sie auf der Libyen-Konferenz mit anderen Staats- und Regierungschefs zusammen. Und sie wird auf dem Pariser Friedensforum eine Rede halten. Die Bühnen werden größer.

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