Die Mieten in New York steigen sprunghaft. Gleichzeitig lässt der Bürgermeister mehr Obdachlosencamps räumen. Und wer es sich leisten kann, baut Hühnern einen Palast.
Es sind die glücklichsten Hühner der Welt. Das zumindest behauptet Pietro Cicognani. Der Architekt mit einem selbst erklärten Faible fürs Barock hat sich darauf spezialisiert, die Wünsche sehr wohlhabender Auftraggeber zu erfüllen. Und weil seine Klientel die Hühnerhaltung als Hobby entdeckt hat, entwirft Cicognani nun Luxushühnerställe.
Sein bisheriges Meisterwerk steht in den Hamptons, New Yorks Goldküste, auf einem “himmlischen Stück Land”, wie die High-Society-Postille Town & Country jüngst zu berichten wusste. Es gehört zum Anwesen von Katharine Rayner, Milliardenerbin des Kabelanbieters Cox, deren Tätigkeit in dem Bericht als “Wohltäterin” beschrieben wird. Ihre beachtlichen Ressourcen steckt sie nun zum Teil in den Erhalt rarer Hühnerrassen.
Bei seinem Entwurf für den Federviehpalast ließ sich Cicognani angeblich vom Chinesischen Pavillon von Sanssouci inspirieren, dem Potsdamer Lustschloss von Friedrich dem Großen. Fast wären die Vögel allerdings aus ihrem stilvollen Heim hinausgeflogen, weil Rayner den Bau so begeisternd fand, dass sie ihn als Homeoffice nutzen wollte. Doch dann überwog ihre Liebe zu den Tieren und die Wohltäterin verzichtete.
Dagegen zeigten die New Yorker Polizisten keinerlei Nachsicht, als sie am vergangenen Mittwoch ein weiteres Zeltlager von Obdachlosen räumte. Acht Personen wurden dabei verhaftet, die meisten davon Aktivisten, die versucht hatten, die Räumung zu verhindern. An einem der Zelte hing ein Schild mit der Aufschrift: “Enthält ein menschliches Wesen, bitte nicht wegwerfen.”
Die Zahl dieser Zeltlager in der Stadt hat während der Pandemie zugenommen: in Brooklyns Prospect Park, unter Highway-Brücken, auf Bürgersteigen vor Kirchen. New Yorks neuer Bürgermeister Eric Adams hat angeordnet, die Camps notfalls mit Gewalt zu räumen. Adams, ein ehemaliger Polizist, sieht darin offenbar die Lösung für das wachsende Problem der Obdachlosigkeit. Wenn sein Kalkül dabei sein sollte, die Menschen, die auf der Straße leben, in die Obdachlosenheime zu zwingen, dann ist das bisher nicht gelungen. Seit März wurden 710 Zeltstädte geräumt, aber nur 39 der dort Lebenden waren bereit, in ein Obdachlosenheim zu gehen.
Die Heime, die meist von gemeinnützigen Organisationen im Auftrag der Stadt betrieben werden, sind berüchtigt für Gewalt und Chaos, die dort herrschen. Für manche sind sie allerdings ein gutes Geschäft. Im vergangenen Jahr deckten Reporter der New York Times auf, wie Victor Rivera, der Chef einer gemeinnützigen Organisation, die eine ganze Reihe solcher Heime betrieb, über Jahre die Stadt betrogen hat.
Riveras Bronx Parent Housing Network erhielt seit 2017 über 274 Millionen Dollar aus den öffentlichen Kassen. Davon zweigte er mehr als eine Million ab, mit denen er Immobilien, darunter ein 780.000 Dollar Anwesen mit beheiztem Swimmingpool mit Wasserfall finanzierte. Nach Angaben von ehemaligen Heimbewohnerinnen nutzte er seine Position zudem, um die Frauen sexuell zu missbrauchen. Das berichteten Betroffene den Reporterinnen.
Traurigerweise ist Rivera kein Einzelfall. Die Betreiberin eines anderen Heims mit dem glanzvollen Namen Millenium Care gestand etwa im vergangenen November, mehr als zwei Millionen Dollar veruntreut zu haben. Sie nutzte das Geld, das die New Yorker Steuerzahler ihr anvertrauten, um in Luxuskaufhäusern wie Bergdorf Goodman und Bloomingdale’s shoppen zu gehen und sich Schuhe bei Ferragamo und Manolo Blahnik zu besorgen.
Warum gelang es diesen korrupten Figuren, sich über Jahrzehnte unbehelligt zu bereichern? Die bittere Antwort ist wohl, dass sie eine scheinbar einfache Lösung für ein Problem bieten, an dem sich nicht erst Adams als Bürgermeister abarbeitet. New York ist zu teuer für einen wachsenden Anteil seiner Bewohner. Und die Lage spitzt sich zu. Die Mieten sind im vergangenen Jahr im Schnitt um 33 Prozent gestiegen.
Der extreme Sprung spiegelt die erholte Nachfrage, nachdem die Pandemie in 2020 einen kurzfristigen Exodus ausgelöst hatte. Sicher nutzen vor allem große Immobilienkonzerne die wieder hohe Nachfrage, um mehr zu kassieren und Verluste wettzumachen. Doch es ist nicht zu leugnen, dass Wohnraum notorisch knapp ist in New York, auch weil Bauen in der Metropole extrem teuer ist. Tatsächlich gilt New York City diesbezüglich als eine der teuersten Städte der Welt.
Wahr ist auch, dass die Betriebskosten gestiegen sind, für Heizung, Strom und Handwerker. Nach den Sturmschäden durch den Hurrikan Ida, der vergangenen Sommer durch New York fegte, haben die Versicherungen ihre bereits hohen Prämien weiter angehoben. Und die Stadt hat die Grundsteuer deutlich erhöht. Das bringt vor allem kleinere Vermieter in Bedrängnis. Es ist zu befürchten, dass bald noch mehr New Yorker auf der Straße landen. Nach dem Ende des Moratoriums, das den Rauswurf von Mietern während der Pandemie verbot, melden die Gerichte nun eine neue Flut von Räumungsklagen.
Adams will als Antwort auf die Misere noch mehr Heime im Auftrag der Stadt bauen lassen. Dafür hat er angekündigt, 171 Millionen Dollar bereitzustellen. Gleichzeitig hat der Bürgermeister erfolgreich dafür gekämpft, den Etat für die Polizei wieder deutlich anzuheben. New York’s Finest, wie sich die Cops gerne nennen lassen, erhalten 465 Millionen Dollar mehr. Insgesamt beläuft sich das Jahresbudget der New Yorker Ordnungshüter damit auf knapp zehn Milliarden Dollar.
Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was sich mit einem solchen Betrag in Sachen Wohnungsnot tun ließe. Fest steht, weder mehr Mittel für Obdachlosenheime noch für die Polizei beseitigen die Ursachen, die so viele Menschen in der reichsten Metropole der USA unter Plastikplanen im Park enden lässt. Wären sie doch nur Hühner in den Hamptons.
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