When JD Vance published his autobiographical “Hillbilly Elegy” in 2016, no one, probably not even he, thought the 32-year-old would ever be a candidate for U.S. vice president.
At the time, the author had successfully produced something of a social report on the white working class in his home state of Ohio. A not inconsequential portion of Donald Trump’s voter base comes from the social group that Vance describes, often somewhat disparagingly, as “hillbillies.” The book says something about how Trump ascended to the U.S. presidency in that it shows those people in the American working class who gave their vote to, and, to this day continue to follow, the egocentric billionaire who has never given a thought to the social needs of workers. And not too long ago, Vance was anything but a Trump loyalist. He even vehemently criticized Trump until he had a change of heart. The Republican senator, who calls himself a post-liberal and who some described as a neo-reactionary politician, entered the political arena in 2022 and was elected senator from Ohio. Once humiliated by Trump, the former president named him as his running mate.
With “Hillbilly Elegy,” Vance added to the innumerable variations of the American Dream, that rags-to-riches saga that says that everyone can make something of themselves if they just believe and work their way up with diligence and cleverness. From a literary perspective, the book is not outstanding. The “Elegy” — the term, in fact, refers to a poetically melancholic genre — is rather modest in terms of language and style. But it can at least teach us something. What is incomprehensible, though, is that Ullstein, the German publishing house that published “Hillbilly Elegy” in 2017, decided against reprinting it and forfeited its license for the book because the politician is now representing a “demagogic, exclusionary policy.”
The deciding factor should have been whether the book reflects Vance’s reactionary positions. Certainly, they align in many respects with the touches of social romanticism and the author’s presentation of himself as self-made. But it would be entirely ridiculous to describe “Hillbilly Elegy” as a discriminatory, inflammatory pamphlet. Vance will offer his opponents plenty of opportunities to get angry at him in the coming weeks of the campaign, such as when he recently referred the left wing of the Democratic Party as the “Hamas wing.”
Moreover, the publisher’s decision inaugurated a new chapter in the unending discussion about literature and political correctness — regardless of the fact that Vance quickly found another publishing house (Yes Publishing). There are plenty of examples of this debate, which have not diminished the literary quality of works like “Journey to the End of the Night” (“Voyage au bout de la nuit”), the 1932 novel by French antisemite and Nazi collaborator Louis-Ferdinand Céline, or the work of Austrian Nobel Prize winner Peter Handke. Handke drew criticism because of his pro-Serbian position during the Yugoslav wars and because he trivialized Serbian war crimes. He also gave a eulogy for Serbian despot Slobodan Milošević. Vance doesn’t even come close to those two great authors. But his example teaches us once again that one should carefully check whether there is a direct correlation between a book and its author’s political intentions and opinions before the book is relegated to literature’s toxic waste bin.
Im Giftschrank: Zum Spannungsverhältnis von Literatur und politischer Korrektheit
Als J.D. Vance im Jahr 2016 die autobiografische „Hillbilly-Elegie“ veröffentlichte, dachte niemand daran, wohl auch er selbst nicht, dass der damals 32-Jährige einmal für das Amt des US-amerikanischen Vizepräsidenten kandidieren würde.
Dem Autor war damals eine Art Sozialreportage über die weiße Arbeiterschaft in seinem Heimatstaat Ohio gelungen. Aus der Bevölkerungsschicht, die er beschreibt, häufig etwas verächtlich als „Hillbillies“ bezeichnet, was man ins Deutsche mit „Hinterwäldler“ übersetzen kann, stammt ein nicht geringer Teil von Donald Trumps Wählerschaft. Das Buch sagt einiges darüber aus, wie es zum Aufstieg von Trump zum US-Präsidenten kam, indem es jene Menschen der amerikanischen „Working Class“ zeigt, die dem egozentrischen Milliardär, der nie etwas für die sozialen Bedürfnisse der Arbeiterschaft übriggehabt hat, ihre Stimme gaben und bis heute folgen. Dabei war J.D. Vance vor nicht allzu langer Zeit alles andere als ein Anhänger Trumps. Er kritisierte diesen sogar vehement, bis es zu einem Gesinnungswandel kam. Der sich selbst postliberal nennende und von manchen als neoreaktionärer Politiker bezeichnete Republikaner stieg 2022 in den politischen Ring und wurde zum Senator von Ohio gewählt. Einst von Trump gedemütigt, ernannte dieser ihn zu seinem „Running Mate“.
Mit „Hillbilly-Elegie“ hatte er den unzähligen Varianten des American Dream – jener amerikanischen Aufsteigersaga nach dem Motto, dass jeder es schaffen, es zu etwas zu bringen kann, wenn er nur daran glaube und sich mit viel Fleiß und List hocharbeite, eine weitere hinzugefügt. Literarisch betrachtet ist das Werk kein großer Wurf. Sprachlich und stilistisch ist die „Elegie“ – der Begriff steht eigentlich für eine lyrische Form mit einer melancholischen Grundstimmung – eher bescheiden. Aber sie kann zumindest als Lehrstück herhalten. Unverständlich hingegen ist es, dass der deutsche Ullstein-Verlag, bei dem „Hillbilly-Elegie“ 2017 erschienen war, sich gegen eine Neuauflage entschloss und die Lizenz für das Buch abgab, weil der Autor heute „eine aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik“ vertrete.
Entscheidend hätte jedoch sein müssen, ob er seine reaktionären Positionen in dem Buch selbst anklingen lässt. Sicherlich stehen die in dem Buch anklingende Sozialromantik und die Selfmade-Haltung des Autors in vielerlei Hinsicht im Einklang mit diesen. Aber die „Hillbilly-Elegie“ als diskriminierende Hetzschrift zu bezeichnen, wäre reichlich absurd. Im Wahlkampf wird J.D. Vance in den kommenden Wochen seinen Gegnern noch etliche Gelegenheiten bieten, um sich über ihn zu empören, etwa aufgrund seiner jüngsten Bezeichnung des linken Flügels der Demokratischen Partei als „Hamas-Flügel“.
Nicht zuletzt wurde mit der Entscheidung des Verlags ein neues Kapitel in der unendlichen Diskussion über Literatur und politische Korrektheit eröffnet – unabhängig davon, dass sich schnell ein anderer Verlag fand (Yes Publishing). Beispiele hat es bereits zuhauf gegeben, was die literarische Qualität von Werken wie „Voyage au bout de la nuit“ (1932) des französischen Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Louis-Ferdinand Céline oder das Werk des österreichischen Nobelpreisträgers Peter Handke nicht schmälerte. Letzterer war wegen seiner proserbischen Position während der Jugoslawienkriege und der Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen in die Kritik geraten. Zudem hatte er eine Grabrede für den serbischen Despoten Slobodan Milošević gehalten. Vance kommt zwar nicht ansatzweise an die beiden großen Schriftsteller heran. Aber sein Beispiel lehrt uns einmal mehr, dass erst genau überprüft werden sollte, ob ein direkter Zusammenhang zwischen einem Buch und den politischen Ab- und Ansichten des Autors besteht, bevor das Werk in den Giftschrank der Literatur verbannt wird.
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