A Midsummer Night’s Dream

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Barack Obama richtet Kanzlerin Merkel unterm Sternenhimmel ein zauberhaftes Staatsbankett im Garten des Weißen Hauses aus. Es wird schwer, sich zu revanchieren. Obama lädt Wohltäter, die Kanzlerin, Politiker sowie Prominente aus Kultur, Sport und Show zum Dinner. Merkel bekommt die Freiheitsmedaille weniger für Verdienste um als vielmehr als Symbol für die Freiheit in Washington

Bei Einbruch der Dunkelheit wirft ein Mitarbeiter des Weißen Hauses dunklen Stoff über die Flutlichter, die ansonsten die Machtzentrale der USA wie ein Juwel über Washington leuchten ließen. So fällt nur Schummerlicht auf die Fassaden, im Rosengarten bleibt der Eindruck eines endlosen Sonnenuntergangs, den Dutzende Scheinwerfer auf dem mit weißem Teppich ausgelegten Platz erzeugen. Das Gewitter, das für Washington angekündigt war, ist ausgeblieben. Bei 25 Grad weht ein sanfter Wind. Wenige Meter vom Oval Office entfernt, liegt uneinsehbar dieses von weißen Säulengängen umgebene Refugium. An diesem Ort, der wegen der vorherrschenden Blume eigentlich Gladiolengarten heißen müsste, vergessen die Mächtigen, dass Scharfschützen auf dem Dach über ihre Sicherheit wachen.

Hier hat Präsident Barack Obama Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Staatsbankett ausgerichtet, wie sie es noch nicht erlebt hat. Es ist sein erstes für einen europäischen Staatsgast, wie Obama zur Begrüßung hervorhob. Es bot den Rahmen für die Verleihung der Freiheitsmedaille, der höchsten zivilen Auszeichnung der USA, an die Kanzlerin. Sie steht nun in einer Reihe mit Helmut Kohl, Nelson Mandela und Johannes Paul II.

Wie wird sich Merkel für den Sommernachtstraum, den ihr Obama beschert hat, dereinst revanchieren? Orte von solcher Bedeutung und gleichzeitiger Anmut gibt es in Berlin schlicht nicht. 2006 hatte sie Obamas Vorgänger George W. Bush ins beschauliche Örtchen Trinwillershagen zwischen Rostock und Stralsund eingeladen und ihrem Gast Wildschwein am Spieß serviert. Es war ein Grillfest, etwas derbe, beinahe texanisch, auf alle Fälle sehr deutsch. Bush war hingerissen, Merkel glücklich.

Das Staatsbankett im Weißen Haus war da ungleich förmlicher, aber locker und stilsicher – Obama-Stil, nicht Bush- oder Merkel-Stil. Es war das Gartenfest eines Staatsmannes, der durch Bescheidenheit eher auffallen kann als durch Protz. Eleganz beherrschen er und seine Frau Michelle weit besser als Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer. Konsequenterweise hatte das Weiße Haus keine Promi-Elite eingeladen, Typen vom Schlage einer Oprah Winfrey, eines Jay Leno oder Harrison Ford, sondern neben Politikern Gönner und Wohltäter. Insgesamt rund 200 Namen, von denen der ausländische Gast die meisten nicht kennt und nicht kennen muss.

Auf den weiß gedeckten Tischen standen Hortensien, hohe Trinkgläser mit ausladendem Kelch und sehr schlankem Stil. Serviert wurde Haute Cuisine mit Strudel als Dessert, es spielte ein Orchester. Smoking, nicht Cowboy-Look war angesagt. Nicht alle hielten sich daran. Neben Merkel, die in einem sehr einfachen langen schwarzen, eng anliegenden Abendkleid erschien, nahmen auch rund 30 von ihr persönlich eingeladene Gäste teil. Die Auswahl offenbarte ebenfalls das andere Stilempfinden als das der Gastgeber. Thomas Gottschalks Tisch 19 war weit von der Ehrentafel entfernt am Fußende der Gesellschaft. Dort fiel es nicht auf, dass Gottschalk seinen Oberkörper zwar in Smoking-Optik präsentierte, die Beine allerdings in eine schwarze Jeans mit eingesticktem Blumenmuster hüllte. Schließlich blieben die blank polierten schwarzen Cowboystiefel meist unter dem Tisch. Seine Nachbarn, der Architekt Daniel Libeskind (von Obama geladen) und Fußballtrainer Jürgen Klinsmann (von Merkel geladen), wird es nicht gestört haben.

Die Sitzordnung folgte einem unbekannten, aber kalkulierten Prinzip. Neben den mitgereisten fünf deutschen Ministern saßen etwa ihre Amtskollegen, Guido Westerwelle neben Hillary Clinton, Philipp Rösler neben Vizepräsident Joe Biden. Überhaupt Rösler. Der amüsierte sich nicht wenig über die Ehre, die ihm in den USA widerfuhr. Während in Deutschland der Titel des Vizekanzlers wenig bis nichts zählt, fungiert der in den Staaten als tatsächlicher Stellvertreter des Präsidenten, protokollarisch, politisch, gefühlt. Röslers Auftritte provozierten also nervöses Tuscheln unter den Anwesenden, wähnten sie sich doch in Gegenwart des wichtigen “Vice Chancellor!”. Wie alle anderen Minister suchte Rösler während des zweitägigen Aufenthalts der Kanzlerin das Gespräch mit seinen amerikanischen Kollegen. So bekam der Besuch den Charakter von Regierungskonsultationen.

Am Abend im Rosengarten jedoch war die aktuelle Politik weit weg. Es ging eher um Vergangenes. Weshalb Angela Merkel die Auszeichnung wohl erhält, fragten sich viele in ihrer großen Delegation. Die Reihe ihrer Vorgänger verrät bereits, dass wirklich Großes leisten muss, wer die Freiheitsmedaille tragen will. Nelson Mandela rang die Apartheid nieder, Johannes Paul II. den Kommunismus, und Helmut Kohl vollbrachte die deutsche Einheit – grob gesagt. Und Angela Merkel? Die hat bisher in Deutschland vor allem eine Wirtschaftskrise in den Griff bekommen, die Amerika noch immer empfindlich spürt. Das mag beeindrucken, doch wo ist hier der Gedanke der Freiheit?

Merkel ist, wie es Obama bei der Verleihung sagte, vor allem ein “Symbol des Triumphs der Freiheit”. Um das zu erklären, wird er zum Märchenonkel. Er spricht von einem “kleinen Mädchen” – “Ihr Name war Angela” -, das unter Millionen Menschen im unfreien Teil Deutschlands in einer kleinen Stadt lebte. Aber, so macht Obama klar, die Frau, die einmal dieses kleine Mädchen war, werde heute nicht dafür geehrt, dass ihr die Freiheit verweigert worden sei, sondern “dafür, was sie erreicht hat, als sie die Freiheit erlangte”. Weil sie ist, was sie ist – Ostdeutsche, erste weibliche Kanzlerin des wiedervereinigten Deutschland -, deshalb erhält Angela Merkel die höchste Auszeichnung der USA. Die Kanzlerin sei eine “eloquente Stimme für Menschenrechte und Würde weltweit”, lobte der Präsident.

Verbunden sind beide Politiker einander im Bewusstsein dafür, was es heißt, anders und in eine nicht selbst verschuldete Außenseiterrolle geboren zu sein. Obamas Entscheidung, Merkel den Preis zuzusprechen, ist in erster Linie keine politische, sondern eine menschliche, persönliche. So wirkte der Präsident am Nachmittag im East Room fast unsicher, als ihn Journalisten fragten, ob die Medaille eher für vergangene Leistungen oder zukünftige Aufgaben der Kanzlerin verliehen werde. Es liege noch viel Arbeit vor ihr, sagte er schließlich.

“Sie wird mir Ansporn sein”, sagte auch Angela Merkel im Rosengarten. Natürlich kehrt sie bei ihrem Dank zu den Wurzeln ihrer Biografie zurück, spricht von ihrer ersten politischen Erfahrung, dem Mauerbau. “Dass ich einmal aus der Hand des US-Präsidenten die Freiheitsmedaille erhalten könnte, lag jenseits aller Vorstellungskraft.” Das klingt pathetisch, ist aus dem Mund der Angela Merkel jedoch eher eine nüchterne Faktenfeststellung. Pathos ist ihre Sache einfach nicht. Dass sie künftig mit der Freiheitsmedaille auftritt, ist unwahrscheinlich. Schon in Washington lässt sich Merkel den Orden nicht anlegen. Die symbolische Natur von Obamas Geste muss man ihr nicht erklären, sie beansprucht die Auszeichnung nicht exklusiv für sich. “Ich verneige mich in Demut”, sagt sie, “vor allen, die für die Freiheit ihr Leben in Gefahr bringen.”

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