Europas gefährliche Abhängigkeiten – Was Joe Biden anders als Donald Trump macht
Die EU muss gegenüber China und den USA souveräner werden – vor allem ökonomisch und technologisch. Der Gastbeitrag von Jürgen Trittin.
Erinnern Sie sich an Donald Trump? Seit dem 20. Januar heißt der 46. Präsident der USA Joe Biden. Er hat viel getan, um seinen Vorgänger vergessen zu machen. Präsident Biden hat ein 1,9-Billionen-Dollar-Investitionsprogramm aufgelegt und im ersten Quartal 2021 mehr Menschen gegen Corona geimpft, als Europa seinen Bürger:innen an Impfdosen versprochen hat. Die USA sind in das Pariser Klimaabkommen und den UN-Menschenrechtsrat zurückgekehrt. Sie stehen wieder zum Iran-Abkommen und haben den New-Start-Vertrag verlängert.
Donald Trump: Europa „worse than China“ – USA machen der EU nun das Angebot einer Klimapartnerschaft
Während unter Trump Europa als „worse than China“ galt, machen die USA der EU nun das Angebot einer Klimapartnerschaft. Wir sollten es annehmen. Europas Green Deal und das US-Investitionsprogramm können gemeinsam einen großen Schub in der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bewirken. Europa wie die USA wissen aber, dass dies nicht genügt. Die Welt wird ohne oder gar gegen China nicht auf den notwendigen 1,5-Grad-Pfad beim Klimaschutz kommen. Daher wollen die USA, nach dem Theaterdonner ihrer Außenminister in Anchorage, gemeinsam mit China eine Klimaarbeitsgruppe bilden.
Ist also wieder alles gut im transatlantischen Verhältnis? In der gleichen Woche, in der Außenminister Antony Blinken mit den Nato-Außenminister:innen tagte, in der sich Joe Biden in den Europäischen Rat schalten ließ, hatten die USA eine klare Botschaft an die europäischen Staaten: Nord Stream 2 darf nicht gebaut werden. Wer sich daran beteiligt, wird sanktioniert. Völkerrecht hin, europäisches Recht her. In der Energiepolitik gesteht auch die neue US-Administration Europa nur eingeschränkte Souveränität zu.
USA und Europa: Was Joe Biden anders als Donald Trump macht
Nun gibt es für Europa Wichtigeres als den Bau einer überflüssigen, gegen die eigenen Klimaziele gerichteten Pipeline. Die Idee, Gazprom und seinen europäischen Finanziers bei einem Pipeline-Stopp Milliarden an Schadenersatz zahlen zu müssen, wird den deutschen Finanzminister ärgern, aber Gazprom nicht schrecken.
Doch der Vorgang weist weit über das Rohr in der Ostsee hinaus. In der gleichen Woche verkündeten die USA die Vorbereitung von Strafzöllen gegen mehrere EU-Mitgliedstaaten, die digitale (US-)Plattformen mit Steuern belegt haben. Die belgische Organisation Swift, deren System weltweit für den globalen Zahlungsverkehr genutzt wird, ist auch unter Präsident Biden von Sanktionen bedroht.
Offensichtlich gibt es nicht nur beim zügigen Ausstieg aus Kriegen wie in Afghanistan eine Kontinuität von Trump zu Biden, sondern auch bei der Geoökonomie in einer multipolaren Welt. Auf Feldern von strategischer Bedeutung wie Energie, Digitalisierung, Finanzindustrie gilt Bidens „Buy American“.
Europa muss das ernst nehmen. Es muss mehr Souveränität wagen, will es sich nicht den extraterritorialen US-Sanktionen sowie den aggressiven und unfairen Handelspraktiken Chinas beugen müssen. Es ist nicht in Europas Interesse, sich dem Staatskapitalismus chinesischer Prägung zu unterwerfen. Aber es ist auch nicht in seinem Interesse, sich privaten Tech-Monopolen zu unterwerfen oder zu sehr von innenpolitisch motivierten Entscheidungen des US-Kongresses abhängig zu sein.
EU: Stärke von Chinas Cloud-Zwang und Tech-Giganten der USA bedroht
Europas Stärke etwa in der Autoindustrie wird nicht nur von Chinas Cloud-Zwang und Tech-Exportverbot bedroht, sondern auch von Apple, Google und Co. Die Mobilität von morgen, dekarbonisiert und autonom, hängt an Big Data. Europa muss seine Defizite in der IT-Industrie beheben. Das fängt damit an, dass deutsche Polizeien die Bilder ihrer Bodycams nicht mehr bei Amazon in der Cloud speichern – und die Bundeswehr ihre Daten nicht bei Microsoft. Wer mit Steuergeld eine europäische Cloud wie Gaia-X aufbaut, kann nicht ausgerechnet sicherheitsrelevante Daten dem Zugriff des Patriot Acts aussetzen.
Deutschland muss aufhören, eine europäische Besteuerung von Plattformumsätzen zu blockieren. Nur mit einer europäischen Digitalsteuer wird es eine global verhandelte Lösung geben.
Es ist klug, Chinas Investitionen in Europa auf ihre strategische Relevanz zu prüfen. Europäische Unternehmen in strategischen Industrien aber müssen verpflichtet werden, ihre globalen Geschäfte künftig nicht mehr in Dollar, sondern in Euro zu fakturieren.
Solange der Euro keine wirklich globale Währung ist, brauchen wir öffentlich-rechtliche Institutionen, die sicherstellen, dass europäische Unternehmen Ge-schäfte unabhängig von unilateralen US-Sanktionen legal machen können. Was heute nur Iran betrifft, kann morgen China gelten.
Europa kann weder auf den US-Markt noch auf den Rest der Welt verzichten. Um im Wettbewerb mit China und den USA mithalten zu können, muss es mehr Souveränität wagen. Das ist weniger eine militärische Frage als eine ökonomische und technologische.
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